Dass da ein Dissenz ist, das wurde in der Stadtratssitzung am 12. April offenkundig, als die Stadträtin der Linken, Naomi-Pia Witte, nicht nur gegen die neuen Eigentümerziele für die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) stimmte, sondern auch dagegen redete. Eigentümerziele, die dann auch die LWB schockten. Die Wohnungsgesellschaft soll nun stemmen, was die vereinigten Politiker von Sachsen verpennt haben.

Und das ist noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Denn dass Leipzig beim Sozialen Wohnungsbau in ein riesiges Dilemma hineinsteuert, das ist seit Jahren klar. Aber selbst Leipzigs Oberbürgermeister vertagte und verschob die notwendigen Beschlüsse immer wieder. Womit der soziale Wohnungsbau ebenfalls da steht, wo der Bau von Kindertagesstätten und Schulen und die Zukunftsplanung für die LVB seit Jahren stecken: im Stau. Unterfinanziert, nicht durchgeplant, nicht ausreichend, nicht schnell genug.

Und dass der OBM im Stadtrat immer wieder seine Mehrheiten sucht und findet, ist ein Teil des  Dilemmas. Viele Stadträte haben sich in dem Stückwerk eingerichtet, sind eher immer wieder neu enttäuscht, wenn versprochene und beschlossene Strategiepapiere ausbleiben, um Jahre verzögert werden. Was nur deshalb möglich ist, weil die Ratsversammlung sich selbst oft genug zum Spielball machen lässt.

Dieser Hauruckbeschluss im Stadtrat war dann der Auslöser, dass die beiden FDP-Stadträte mit Naomi-Pia Witte ins Gespräch kamen. Man fand Gemeinsamkeiten. Und man gründete eine Fraktion, so wie es die beiden FDP-Stadträte Sven Morlok und René Hobusch schon 2014 gemeinsam mit der Piratin Ute Elisabeth Gabelman geplant hatten. Nur fehlte damals das notwendige vierte Fraktionsmitglied.

Mit Naomi Pia Witte wurde es jetzt gefunden.

Ganz offiziell trat sie aus der Linksfraktion aus.

Dort freilich hatte man damit nicht gerechnet, auch wenn nach ihrem offiziellen Parteiaustritt vor einigen Wochen zumindest die zunehmende Entfremdung deutlich wurde. Immerhin war Witte seit 2009 Mitglied der Fraktion. Am Dienstag informierte sie ihre Fraktion über den Austritt.

“Dieser Schritt von Frau Witte kommt für uns trotz einer spürbaren inhaltlichen sowie persönlichen Entfremdung in der jüngsten Vergangenheit sehr überraschend, zumal die Fraktion für die diversen persönlichen Probleme von Frau Witte in den letzten Jahren ausgesprochen viel Verständnis aufgebracht hatte”, teilt die Fraktion nun nach der offiziell verkündeten Gründung der Freibeuter-Frakion mit.

Dazu erklären Sören Pellmann, Vorsitzender der Linksfraktion im Stadtrat Leipzig, und Adam Bednarsky, Vorsitzender der Leipziger Linken und Leipziger Stadtrat: “Wir schätzen Frau Witte persönlich und möchten ihr Dank und Anerkennung für ihre langjährige erfolgreiche Tätigkeit als sozialpolitische Sprecherin in der Linksfraktion aussprechen. Für uns bleibt aber völlig unverständlich, wie sie dieses Engagement in einer Fraktion mit FDP-Stadträten künftig glaubwürdig fortsetzen will. Wer denkt, dass ein soziales und nachhaltiges Leipzig mit einer neoliberalen FDP erreicht wird, unterliegt einem gravierenden Irrtum und begibt sich auf politische Geisterfahrt. Zunehmende Altersarmut, fehlender sozialer Wohnungsbau, schlecht bezahlte Arbeit und Gängelung im Jobcenter und auf dem Arbeitsamt sind doch unmittelbare Folgen einer von der FDP über Jahrzehnte mitgeprägten Politik. DIE LINKE steht sowohl auf der Bundesebene als auch im Leipziger Stadtrat für einen konsequenten Bruch mit dem Neoliberalismus. Auch mit nunmehr 16 Fraktionsmitgliedern werden wir diesen Kurs, für den wir 2014 gewählt wurden, unbeirrt fortsetzen. Leipzig braucht eine starke und klar positionierte soziale Kraft wie Die Linke.”

Der Pressesprecher der Leipziger Linken, Kay Kamieth, bringt gleich die Rückgabe des Stadtratsmandats zur Sprache: “Als Partei Die Linke. Leipzig erwarten wir von unserer ehemaligen Genossin und Mitstreiterin, dass sie ihr über unsere Liste bei der letzten Kommunalwahl errungenes Stadtratsmandat wieder zurückgibt und damit anderen engagierten GenossInnen den Weg in den Stadtrat frei macht. Mit einem linken Stadtratsmandat nun FDP-Politik zu machen bzw. zu stützen, ist unglaublich frech.”

Für eine entsprechende Überraschung sorgte dann auch der ebenfalls am Dienstag bekannt gegebene Fraktionsaustritt von Ute Elisabeth Gabelmann bei der SPD-Fraktion. Dort hatte sie sich 2014 angeschlossen, weil ihr die SPD-Fraktion in vorhandenen Strukturen eine aktive Mitarbeit in den Stadtratsgremien ermöglichte. Doch in einer großen Fraktion sind auch viele Arbeitsfelder schon besetzt. Das war auch bei der SPD der Fall, so dass Gabelmann am Mittwoch betonte, dass sie sich von einer neuen, aber deutlich kleineren Fraktion deutlich mehr Mitwirkungsmöglichkeien erwartet.

Aus SPD-Sicht war der Schritt trotzdem überaschend, denn eigentlich hatte man gut miteinander zusammengearbeitet.

Was dann am Mittwoch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heiko Oßwald kommentierte: “Gestern Nacht informierte Frau Gabelmann die Fraktionsmitglieder per E-Mail darüber, dass sie die Fraktion verlässt. Für uns kam das sehr überraschend, weil es aus unserer Sicht keine Anzeichen für inhaltliche oder persönliche Differenzen gab, die einen Fraktionsaustritt nahe gelegt hätten. Auch Frau Gabelmann selbst nannte uns in ihrer Mail keine Gründe, weshalb sie diesen Schritt geht. Natürlich wäre es besserer Stil gewesen, wenn sie die Fraktion vorher informiert hätte. Wie wir heute aus den Medien erfahren haben, hat sie bereits mit drei anderen Ratsmitgliedern eine neue Fraktion gegründet. Wir wünschen ihr alles Gute in der neuen Fraktion.“

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