Da war dann wohl die SPD-Fraktion ein bisschen erschrocken, als jüngst die Piraten-Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann vorpreschte und mehr Transparenz im Leipziger Stadtrat beantragte. Gerade die (Vor-)Entscheidungen der Ausschüsse seien für die Bürger meist gar nicht transparent nachvollziehbar. Da fühlte sich die Fraktion, deren Mitglied Gabelmann ja ist, an einen eigenen Uralt-Antrag erinnert.
Den hatte die SPD-Fraktion schon im Herbst 2015 ins Verfahren gegeben: „Verschwiegenheitspflichten“ nannte der sich. Ja, diese Seite der Stadtratsarbeit gibt es auch: Alle diskutieren in den Fachausschüssen emsig darüber, welche Lösung nun für ein bestimmtes Problem vielleicht die beste ist. Oft bewusst hinter verschlossenen Türen, weil die Sache noch längst nicht nach einer Lösung aussieht.
Und dann ruft dennoch jemand aus der Runde noch spätabends seine Lieblingszeitung an und am nächsten Tag steht die ganze Debatte – ziemlich verdreht – in der Zeitung.
Denn der Anrufer hat ja immer ein Eigeninteresse und nutzt die Chance, wo alle anderen vorerst nicht plaudern, um ein Thema mit seiner eigenen Sicht auf die Dinge zu besetzen. Die Leser glauben dann meist auch, dass die Entscheidung dann auch so laufen wird.
Geschehen im Sommer 2015, als im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau erstmals die Vorschläge des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) vorgestellt wurden, mit welchen alternativen Finanzierungsmodellen man künftig den ÖPNV in Leipzig besser ausstatten könnte. Der MDV hatte die Finanzierungsvorschläge noch ohne jede Priorität vorgestellt, denn eine Untersuchung, ob die Vorschläge überhaupt rechtlich umsetzbar sind und was sie möglicherweise an Geld einspielen könnten, stand ja noch aus. Diese Untersuchung hat der MDV erst im Dezember 2016 vorgestellt.
Aber schon im Sommer 2015 posaunte die LVZ heraus, dass Leipzig wohl die EinfĂĽhrung des BĂĽrgertickets plane.
Das war einer der sechs möglichen Finanzierungsvorschläge. Das Thema war besetzt, alle redeten hinfort vom Bürgerticket. Geradeso, als sei es das Wundermittel, mit dem man das Leipziger Finanzierungsdilemma lösen könnte.
Der Fahrgastverband Pro Bahn warnt mittlerweile deutlich vor allen sechs vorgeschlagenen Lösungsvorschlägen. Sie alle lösen das Dilemma nicht, sondern verlagern es nur und belasten vor allem fast alle wieder die Geldbeutel der Einkommensschwächeren.
Die SPD zumindest war ziemlich sauer, dass das damals so passierte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass man eine Entscheidungsfindung aus dem Ausschuss derart öffentlich ausgebreitet und vor allem schon interessengeleitet besetzt sah. Das macht Stadtratsarbeit schwerer, weil es auch einen geschützten Raum zerstört.
„Dadurch wird die für diese Gremien vereinbarte Vertraulichkeit empfindlich gestört, was die Arbeit des Stadtrates sowie der Aufsichtsgremien deutlich erschwert“, stellt die Fraktion fest. „Offene Diskussionen von Problemlagen werden so immer schwieriger, weil befürchtet werden muss, dass entsprechende Informationen kurze Zeit später in verschiedenen Medien zu finden sein werden.“
Nach dem Antrag prüfte die Verwaltung damals übrigens, ob so eine Art Geheimnisverrat zu ahnden sei. Dazu gäbe es zwar ein Prozedere. Aber wenn man nicht weiß, wer geplaudert hat, hilft auch die Androhung von Strafgeldern nichts.
Nun hat aber die Stadträtin der Piraten, Ute Elisabeth Gabelmann, auch die andere Seite des Problems auf den Tisch gepackt: Es sind ja nicht nur die offenen Diskussionen aus den Ausschüssen, die für gewöhnlich unter Verschluss gehalten werden. Auch über die tatsächlichen Entscheidungen erfahren die Bürger nichts, obwohl sie die Grundlage für die späteren Stadtratsentscheidungen werden. Denn die 70 Stadträtinnen und Stadträte entscheiden sich ja nicht erst im Ratssaal, wie sie abstimmen wollen. Sie haben alle ihre Fachkollegen in die Fachausschüsse entsandt, wo auch die Stadtverwaltung zu jedem Beschlussthema Rede und Antwort stehen muss, wo Für und Wider abgewogen werden und auch die verschiedenen Fraktionen ihre Positionen abklären.
DarĂĽber, so findet Gabelmann, sollte die Ă–ffentlichkeit mehr erfahren. Nicht jede Ausschusssitzung solle hinter verschlossenen TĂĽren stattfinden. Es brauche eine Balance, die vor allem dazu fĂĽhren soll, dass ĂĽber die Arbeit in den AusschĂĽssen mehr Transparenz hergestellt wird.
Ist das nun das Gegenteil dessen, was die SPD-Fraktion 2015 gefordert hat?
Nicht unbedingt. Sie hat ihren alten Antrag von 2015 noch einmal hervorgeholt und einen neuen Passus eingefĂĽgt.
Im alten Antrag ging es um ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Einhaltung der Verschwiegenheitspflichten in den Gremien der Stadt und ihrer Eigenbetriebe. Jetzt haben die Sozialdemokraten das Anliegen ihrer Piraten-Stadträtin mit aufgegriffen und als Punkt 3 eingefügt: Der OBM solle zum Verschwiegenheitskonzept auch „ein Konzept für mehr Transparenz der Entscheidungen der Gremien“ vorlegen und beide Konzepte „schlüssig aufeinander abstimmen“. Ende des II. Quartals 2017 soll das Ganze vorgelegt werden.
Nach wie vor dominieren die „Einhaltung der Verschwiegenheitspflichten und die Sicherheit nichtöffentlicher Dokumente“. Das Problem scheint sich trotz aller Debatte seit Herbst 2015 nicht gebessert zu haben. Mancher Fraktionär scheint die Informationen aus den Ausschüssen emsig zu nutzen, um seine politische Position über die Medien zu stärken. Da kann man dann in den Ausschussrunden tatsächlich nicht mehr unbefangen diskutieren.
Und wie ist es mit der Transparenz? Was hält die SPD-Fraktion für möglich?
Ganz schwierige Frage. Eine „verbesserte Darstellung der öffentlichen Abstimmungsergebnisse aus den Gremien“ könne man sich zumindest vorstellen.
Der erste Antrag der SPD-Fraktion von 2015.
Der neu formulierte Antrag der SPD-Fraktion.
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Wie viel Transparenz?
Was soll diese Frage?
Volle natĂĽrlich!!!
Oder spricht etwas dagegen?