Messias, โjetzt ist Schulzโ, Gerechtigkeit โ mindestens die Tonlage hat sich bereits geรคndert, seit Martin Schulz zum neuen Hoffnungstrรคger der Sozialdemokraten fรผr die Bundestagswahl am 24. September 2017 ausgerufen wurde. Seither ist zumindest klar, Emotionen werden tatsรคchlich ein groรe Rolle in diesem Jahr spielen, denn noch ganz ohne Wahlprogramm lรคuft die SPD Kopf an Kopf bei รผber 30 Prozent mit der CDU. Am Sonntag, 26. Februar, war es also so weit โ Martin Schulz besuchte Leipzig, hielt eine Rede und stimmte so vor allem die eigene Partei im โKunstkraftwerkโ in Neulindenau auf den anstehenden Wahlkampf ein. Die L-IZ.de war dabei, filmte und suchte nach den ersten erkennbaren Konturen bei einzelnen Themen.
Schaute man am Nachmittag des 26. Februar in die Gesichter der mehr als zahlreich anwesenden Genossen aus Leipzig und darรผber hinaus, so fand man in den Augen vieler durchaus das eine oder andere Leuchten. O-Ton am Rande angesichts der prall gefรผllten ehemaligen Werkshalle zwischen Neulindenau und Plagwitz: โLange her, dass man bei der SPD keinen Platz mehr findetโ. Mehr noch: weit รผber die Hรคlfte der Gรคste musste stehen, Fotografen sprangen sich gegenseitig ins Bild und nach der Veranstaltung war man sich einig, dass eine einzige Gardarobe eben dazu fรผhrt, dass es eine Stunde dauert, bis die Gรคste die รrtlichkeiten wieder verlassen konnten.
Euphorie gegen Aussitzen?
Spรคtestens beim Einmarsch des Geladenen dann Euphorie, Umarmen und ein bisschen USA-Feeling angesichts der gestiegenen Wรคhlergunst und eines durchaus sympathisch strahlenden Kanzlerkandidaten. Mit Schulz kรถnnte gelingen, was noch vor wenigen Monaten unmรถglich schien โ die stรคrkste Kraft im kommenden Bundestag zu werden.
Wenn das Wรถrtchen โwennโ nicht wรคr. Wรคhrend sich die Presse bereits eifrig im Hoch- oder Runterschreiben versucht (und โGlaubwรผrdigkeitsrankingsโ streut), die Linke Zweifel am ehrlichen Wunsch nach โGerechtigkeitโ bei der SPD anmeldet und die Grรผnen im Moment Punkte an die Sozialdemokraten verlieren, versucht sich die CDU noch aus der Schockstarre zu lรถsen. Denn โ und das ist durchaus als weitere Voraussage zulรคssig: ein passiver, aussitzender Wahlkampf allein wird nicht genรผgen. Und ob die amtierende Kanzlerin Euphorie kann, darf nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre zumindest deutlich angezweifelt werden.
Also versucht man sich erst einmal an der Infragestellung des politischen Gegners in Person von Martin Schulz.
Noch zu frรผh, die Aussagen vage
Dass es alles in allem viel zu frรผh ist, die Umfragen allzu ernst zu nehmen, zeigt auch ein Blick auf die nackten Fakten. Bislang bekannt ist, dass Martin Schulz nach Themen sucht und mit โden Menschen sprichtโ. Und dabei nach eigener Aussage viel lernt. Erfahrungen, die er im Wahlprogramm spiegeln will. Konkret ist die Aussage, das Arbeitslosengeld 1 lรคnger zahlen zu wollen und dass die โAgenda 2010โ nicht mehr sakrosant, nicht mehr als unfehlbar innerhalb der SPD gesehen wird.
In Leipzig nun legte Schulz in den wenigen faktischen Aussagen nach. Bildung mรผsse von Kita bis Schulabschluss gebรผhrenfrei sein.
Ansonsten darf man auch die Ansprache in Leipzig durchaus als eine Art Oppositionsrede verstehen, viel (berechtigte) Kritik, wie an den unmรถglichen Zustรคnden in der Altenpflege, dem Wert der Arbeit an sich in vielen in den letzten Jahren prekarisierten Berufen und am Erstarken der rechten Parteien in Europa sowie dem Verhalten Deutschlands innerhalb des Staatenbundes. Hoppla โ โStaatenbundโ? Geht es nach Schulz, muss Europa enger zusammenrรผcken und darf sich nicht spalten lassen.
Was letztlich heiรen mรผsste: Wie innerhalb der Bundesrepublik mรผssen Geber- und Nehmerlรคnder anders, fairer miteinander umgehen. Die Zeit der โPleitegriechenโ und der โExportnationโ Deutschland mรผsste innerhalb Europas letztlich zugunsten eines gerechten Lastenausgleichs enden.
Zeit fรผr eigene Frames und Visionen
Gerechtigkeit, Respekt, Fairness. Die drei entscheidenden Frames der Sozialdemokraten und Schulz ist sichtlich bemรผht, diese ehrlich zu prรคsentieren. Und ein โWรผrselen ist รผberallโ, humorig eingestreut vom Redner โ was bei Bรผrgermeistern und Kommunen im Land die Hoffnung wecken soll, dass die letzthin dramatische Unterfinanzierung der Stรคdte in einer Kanzlerschaft von ihm ein Ende haben kรถnnte. Deutlich sichtbar ist die verschobene Finanzierung an Milliardenรผberschรผssen im Bundeshaushalt und die Verschuldung der Kommunen โ da, wo der Bรผrger die Politik nah erfรคhrt, Burkhard Jung nennt Schulz in seiner Begrรผรung einen โKommunalenโ.
Derzeit baut Schulz bei seiner Roadshow durch die Stรคdte erst einmal an sozialen Leitbildern und versucht, das ganz Konkrete klugerweise als Angriffsflรคche auch in Leipzig noch zu meiden. Nicht nur, weil das offizielle Programm noch fehlt, auch, weil offen ist, ob die CDU รผberhaupt nach dem โSie kennen michโ, noch etwas Substantielles nachzulegen hat.
Der Applaus ist donnernd an diesem Sonntagnachmittag, das Geschubse um einen geraden Blick auf den Hoffnungstrรคger hier und da ungewohnt fรผr die SPD-Mitglieder und ein leichter Wind zieht ein in einen Wahlkampf, den sich Schulz โhart in der Sacheโ, aber als einen fairen wรผnscht.
Ein Zusammenschnitt des 26.02. 2017, Martin Schulz in Leipzig. Video L-IZ.de auf Facebook
Ein Gefallen, den ihm so mancher garantiert nicht tun wird
Die AfD, weil sie nicht (anders) kann, wenn die SPD ihrer Wutstrategie wirklich ernst gemeinte Nestwรคrme fรผr die Enttรคuschten entgegensetzt und die Prozente noch weiter fallen wie zuletzt. Und die CDU, weil sie sich derzeit in der Defensive wiederfindet, wรคhrend sich am Rand ein paar neue FDP-Spieler warmlaufen โ ungewiss, in welches Team sie wollen. Und weil ein Spiel 90 Minuten dauert, was jedoch den Ex-Fuรballer Schulz nicht รผberraschen dรผrfte.
Der 24. September ist noch sieben Monate weit entfernt, aber die ersten Spielzรผge sind zumindest gelungen. Sagen wir mal 1:0 fรผr die SPD nach knapp 10 Minuten in der Partie, die Feststellung, dass der ehemals zerstrittene Haufen einen passablen Mannschaftskapitรคn hat und tatsรคchlich mal wieder gewinnen will.
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Ein Zusammenschnitt des 26.02. 2017, Martin Schulz in Leipzig. Video L-IZ.de auf Facebook
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Selbst wenn er es ehrlich meinen sollte, muss aber auch ehrlich sazugesagt werden, dass wir eben nicht in einer Autokratie leben. ER will dafรผr sorgen, ER will abschaffen โฆ So ganz ohne Parlament gehts nun aber nicht. Und genau von dort wird ihm ein gar heftiger Wind entgegenwehen von den neoliberalen, die es auch in der SPD reichlich gibt. Zumindest in Fรผhrungspositionen. Die Wirtschaftshรถrigen werden sich wehren und alles mindestens fรผr einen Erhalt des Status Quo tun. Wenn die SPD weiter so zerstritten bleibt, sind Abstimmungsverhalten und weitere Politik klar vorauszusehen