Eigentlich hatte Oberbürgermeister Burkhard Jung die Pressekonferenz am Dienstag, 20. Dezember, angesetzt, um noch einmal das Jahr 2016 Revue passieren zu lassen und einen Blick ins Jahr 2017 zu wagen. Aber dann kam der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt Breitscheidstraße dazwischen und die Terrorgefahr sorgte nicht nur für eine Themenverschiebung, sondern auch für mächtig Medienandrang.
Man kennt das aus Leipzig schon: Wenn über Zahlen, Finanzen, Stadtentwicklung gesprochen wird, dann sitzen die drei, vier emsigen Medien am Tisch, vielleicht noch ein, zwei freie Kollegen. Das war es dann schon. Wenn es aber zu gewalttätigen Randalen in der Südvorstadt kommt, zu Schießereien in der Eisenbahnstraße oder – wie an diesem Dienstag – die Terrorgefahr auf deutschen Weihnachtsmärkten Thema ist, dann drängen sich die Kamerateams aller möglichen Sender, schickt wirklich jeder Radiosender einen Reporter oder zwei, um O-Töne einzusammeln, und auch der Ton ändert sich. Wo sonst mit Akribie nach Zahlen, schwerfälliger Bürokratie, fehlendem Personal oder fehlenden Einnahmen gefragt wird, herrscht auf einmal kurzzeitig ein Ton wie im Gerichtssaal, muss der OBM Rede und Antwort stehen zu Betonpollern, Polizisten und der richtigen Einschätzung der Terrorgefahr.
Was verständlich ist.
Und dann ist die Frage abgehakt und all die emsigen Kamerateams verlassen den Raum der Pressekonferenz. Ein paar Radioleute bleiben noch, weil sie doch noch einen eigenen O-Ton haben wollen. Und die üblichen Unentwegten, die über die knarrenden Scharniere der Stadtpolitik berichten. Wie immer. Oder: trotz alledem.
Und man merkt in einer kurz aufflammenden Diskussion, dass hier die Wurzeln liegen für den Riss, der durch die Berichterstattung geht und die Welt. Selbst der „Bild“-Redakteur spricht jetzt von den seriösen Medien und den anderen. Und er hat Recht, auch wenn er Stadtpolitik gern etwas flockiger und forscher berichtet als die anderen Kollegen. Aber er berichtet.
Und er arbeitet genauso gegen eine Entwicklung an, die die Meinungs- und Deutungsmacht im Land weit weg verschoben hat von den detailbesessenen Berichterstattern der regionalen Medien hin zu einer Medienroutine, in der dutzende Kamera- und Reporterteams nur noch unterwegs sind, um die wichtigsten Nachrichten und Bilder so schnell wie möglich auf Sendung zu kriegen. Es muss heißer Stoff sein, sensationeller Inhalt, Aufregung, das, worüber alle anderen auch gerade berichten – so laut und heftig wie möglich. Möglichst mit Blut.
Ein Rennen, in dem die großen Sendeanstalten genauso eifrig nach Quote und Zuschauern jagen wie die privaten Sender oder die Nachrichtenschleudern aus dem Internet. So wie gestern nach dem Attentat in Berlin. Ein Thema auf allen Kanälen, mit immer neuen Details und Vermutungen aufgeladen. Ein fieberhaftes Spiel mit den Emotionen der Zuschauer.
Und in einem Moment der Stille merken es auch die Dagebliebenen im Raum der Pressekonferenz mit dem OBM: Die anderen haben mit ihrem Feuereifer längst alle Kanäle verstopft.
Und Burkhard Jung muss sich gar nicht wundern, dass die Polarisierung der Gesellschaft immer mehr zunimmt, dass immer mehr Menschen in Welten abtauchen, in denen die blutigen Attentate dominieren – und die seriösen Nachrichten verschwinden.
Da kann er selbst aus diesem eigentlich erfolgreichen Jahr 2016 berichten, in dem er viele seiner selbstgesteckten Ziele erreicht hat: die Arbeitslosenquote weiter gesenkt, weitere Beschäftigung aufgebaut, weitere 15.000 neue Leipziger dazugewonnen, selbst die Gewerbesteuern steuern auf einen Höchststand hin. Doch immer wieder erlebt er auch bei Vor-Ort-Gesprächen, wie allgegenwärtig die Aggressivität in Teilen der Bevölkerung ist, wie menschenfeindliche Ansichten immer öfter immer lauter und offensiver vorgetragen werden und die Aggression jeden Dialog unmöglich macht.
Das macht ihm Sorgen, sagt er an diesem Dienstag. Vor allem, weil die Menschen zunehmend die Demokratie als unsere Lebensform infrage stellen. Und kaum noch ansprechbar sind, selbst dann nicht auf Fakten eingehen, wenn man sie zum Gespräch bringt.
Das ist der Moment, da er sich von den noch anwesenden Medien Unterstützung wünscht bei diesem Versuch, das Gespräch in Gang zu halten. „Man muss im Gespräch bleiben, es geht nicht anders.“ Und dann sitzen die Redakteure da, die die ganze Zeit nichts anderes tun und selbst erleben, dass ein nicht gerade kleiner Teil der Gesellschaft abgetaucht ist in eine Welt, die nicht mehr kommuniziert, die keine Fakten und Zusammenhänge mehr wissen will.
Und die Bitte hallt nach in einem Raum, in dem nun auf einmal erstaunliche Leere und Stille herrscht. Denn die Eiligen, die auf die schnelle, heiße Nachricht Versessenen, die sind weg. Sie wollen nicht wissen, was der Leipziger OBM zur Zukunft der Stadt zu sagen hat, wie er das mit knappem Geld hindeichseln will.
Genauso wie die Menschen, denen dieser OBM begegnet, wenn er die Stadtteile besucht oder zu Bürgerwerkstätten einlädt.
Sie sind einfach nicht mehr da.
Genauso, wie ihre Berichterstattung aus dem Leben und Sorgen der sächsischen Städte nicht da ist. Dafür gibt es keine Formate und auch keine Moderatoren. Die Kamerawagen kommen nur, wenn es brennt. Aber auch nur, wenn es richtig brennt. Der Riss geht mitten durch die Medienlandschaft.
Den Wunsch von Burkhard Jung haben wir vernommen. Und da müssen wir nicht mal auf unseren Sendeplan gucken: Den erfüllen wir auch nächstes Jahr wieder. Wohl wissend, dass die wilde Jagd weitergeht und Dutzende Senderchefs mit großer Reichweite tagtäglich Ausschau halten nach Orten, wo es brennt. Da schicken sie ihre Mannschaften hin.
Deswegen brennt die Welt und die Panik geht um. Und Terror hat eine Bühne, wie er sie sich nur wünschen kann.
Hat Burkhard Jung noch was zur Zukunft gesagt?
Ein wenig. Das erzählen wir hier auf der L-IZ.de.
In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 4 Kommentare
Danke Olaf.
Sehr ausführlich und in unzähligen Punkten sehr treffend beschrieben. Dem ist so gut wie nichts hinzuzufügen.
Die Selbstregulierung der Demokratie – Anpassung und Nachjustierung von “Regeln” innerhalb von Lern- und Erfahrungsprozessen – die wir uns gegeben haben, funktioniert leider nicht.
Genauso wie die Kontrolle, ob diese “Regeln” auch von allen eingehalten werden.
Stagnation und Rückschritte werden nicht ausgewertet, nur durch Höher-Schneller-Weiter-Parolen (Noch mehr Arbeitsplätze, Umsätze, Spitzenzahlen) überbrüllt und für einen kurzzeitigen Leuchtturmeffekt gepusht. Besser und fortschrittlicher wird im Großen und Ganzen nichts dadurch – und das ist es, was viele resignieren oder zu radikal Denkenden werden lässt.
Oder man ist Jung & Co und überlegt sich jeden Tag zum Frühstück, was man am Tag so von sich geben kann, um das Wahlvieh zu beglücken.
Das beantwortet die Frage/den Einwand von Christian nicht.
In Deutschland befinden wir uns immer noch im Über-/Unterordnungsverhältnis Staat/Bürger. Es ist also von Gesetzes wegen definiert, wer hier das Sagen hat. Weshalb sich die Grundrechte insbesondere auch gegen und an den Staat richten.
Das gilt im dreigliedrigen System Bund/Land/Kommune auch für die unterste Verwaltungsebene. Auch deshalb hat die vierte Gewalt als Kehrseite der Pressefreiheit auch eine Pflicht.
Das Positive tragen Parteien und die von ihnen getragenen Wahlbeamten von sich aus in die Öffentlichkeit. Und zwar überbetont. Weil sie wiedergewählt werden wollen.
Mehrfach erlebt, persönlich, daß Kritik an Politk von dieser mit der ihr eigenen, von Gesetz zugewiesenen, Macht beantwortet wird. Gerne auch mit der Presse gemeinsam. Nicht mit “der Presse”, sondern konkret mit der LVZ.
Jung hat nicht einen einzigen Arbeitsplatz geschaffen. Eine weitere Frage ist, ob die Arbeitsplätze, auf die die Verwaltung unmittelbar (selbst oder durch eigene Unternehmen) oder mittelbar (Ausschreibungen) Einfluß hat, solche sind, die ein auskömmliches Einkommen gewährleisten. In der Kernverwaltung sicher keine Frage.
Und wenn der OBM bedauert, daß die Gesellschaft eine Gespaltene ist, muß die Frage gestellt werden, ob und inwieweit “die Politik” hierfür verantwortlich ist.
Und da gibt es in Leizpig genung Baustellen. Flughafen, Kiesabbau Rehbach, Gewässermotorisierung, Kitas, Schulen, ÖPNV, Charta 2030, Rechtsstaatlichkeit.
Es wundert schon, daß ausgerechnet Jung (die Liste ließe sich jedoch fortsetzen im Rathaus selbst (Rosenthal), der Landesdirektion, dem Freistaat, dem Regionalen Planungsverband, der LTV und ist auf keine der Parteien beschränkt) die Spaltung der Gesellschaft beklagt. Ist er doch mitverantwortlich dafür. Nach den eigenen bisherigen Erfahrungen “Gespräche”, wenn sie denn überhaupt stattfinden, nur nutzt, um andere Auffassungen, Kritik, wegzubügeln oder in den Verwaltungsweg zu verweisen, wo diese dann im Wortsinne im Sand verläuft. “Schön, daß wir drüber gesprochen haben!”
Das ist immerhin etwas in einem Staat, in dem dieser dem Bürger übergeordnet, der Bürger lediglich Bittsteller ist. Aber nun wirklich nicht der Rede wert.
Dieses System ist dann so angelegt, daß, wenn es seinen Job macht, diesen auch macht – und gut ist. Oft genung verselbständigt sich dieses System aber.
“Gelesen, gelacht, gelocht.” , diese “Weisheit” kommt nicht von Ungefähr.
Von einem verantwortlichen Politiker erwarte ich auch die Beantwortung der Frage: Was passiert, wenn der Bürger feststellt, wenn die “Alternative” keine ist.
Ich hatte immer gehofft, daß die wachsende Zahl der Nichtwähler verantwortlich Politiker zur Beantwortung der Frage führt, was in diesem Fall mit dieser Demokratie passiert, wohin sich diese entwickelt. Jede Wahl, bzw. diesen folgenden Interpretationen der Ergebnisse, hat diese Hoffnung auf Feststellung und Konsequenzen beseitigt.
Doch nun ist ein neuer Zustand eingetreten. Die Frage ist allerdings, was passiert, wenn offenbar wird, daß die Alternativen keine sind?
Jung & Co. hoffen offenbar, daß es dann so weitergeht, wie bisher. Bestenfalls die Zahl der Nichtwähler wieder größer, deutlich größer als vorher, wird. Die kann man aber, auch, wie bisher, ignorieren. Was eine Möglichkeit ist, wenn auch eine, die ein verantwortungsvoller Politiker ehr nicht verfolgeen sollte. Denn diese führt die Demokratie ad absurdum.
Eine weitere Möglichkeit ist eine starke Macht. Diese nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit darf andernorts gerade “bestaunt” werden.
Eine wirkliche Alternative könnte das Herstellen einer Gemeinschaft sein. Doch davon sind sowohl Jung, als auch verantwortliche Politiker in anderen staatlichen Gliederungen, Ebenen (Bund, Land, Kommune) und Parteien weit entfernt. Im Gegenteil.
Ein Bitte an die Medien ist der völlig falsche Ansatzpunkt. Eine Änderung der Politik wäre ein wirklicher. Und oft genug denke ich selbst: Es wäre hilfreich, hielte sich der Staat an die Gesetze. Denn diese sind nichts anderes als Regeln, die die Menschen sich selbst und dem Staat dem Bürger ggü. im Umgang miteinander gegeben haben. Nichts Anderes. Und bei diesem Wunsch denke ich beispielhaft an die oben geschilderten Beispiele. Die sicher problemlos erweitert werden könnten.
Und es sollte endlich ein Ende haben mit der Lobpreisung der Schaffung von Arbeitsplätzen. Jedenfalls dann, wenn nicht konkret nachweisbar ist, ob diese Arbeitsplätze auskömmlich sind, eine dauerhafte Zukunft gewährleisten, die auch Basis für die Gründung einer Familie ist und in der für´s Alter vorgesorgt werden kann (oder diese Aufgabe übernimmt die Allgemeinheit) und diese auch wirklich zusätzlich sind.
Da dieses nicht konkret nachweisbar ist, sollten Arbeitsplätze unerwähnt bleiben. (Und selbst wenn, fallen diese Arbeitsplätze an anderer Stelle weg?! Fließt das in die Bilanz ein?!))
Die (weder beweisbare, noch nachprüfbare) Behauptung spielt letztlich im Hinblick auf die Wiederwahl “nur” mit den Hoffnungen der Adressaten. Das ist aber keine verantwortungsvolle Politik.
Die letzten 30/40 Jahre, davon 27 Jahre selbst erlebt und davon wiederum einen kleinen Teil selbst mitgestaltet, sollten für diese falsche Argumentation Nachweis genug sein.
Und letztlich: ein “schwarzes Brett” (LVZ) ist nun wirklich genug.
Mmhhhh. Ich finde schon, dass Politik, die auch für negative Entwicklungen Haue bekommt, bei positiven Entwicklungen (kritisch beäugt natürlich) auch mit genannt werden sollte. Irgendwie 😉
“…Jahr 2016 berichten, in dem er viele seiner selbstgesteckten Ziele erreicht hat: die Arbeitslosenquote weiter gesenkt, weitere Beschäftigung aufgebaut, weitere 15.000 neue Leipziger dazugewonnen, selbst die Gewerbesteuern steuern auf einen Höchststand hin.”
Entschuldigung, aber ich glaube nicht, dass dies der Verdienst jener Person ist. Das ist die Attraktivität der Stadt, welche die Leipziger selber aufbauen und gestalten, TROTZ der kopfschüttelwürdigen Amtselite. Und genau dieses unglaubwürdige Abgehobensein sorgt u.a. mit dafür, dass Nachrichten inflationär und uninteressant werden.