Die Zeit rennt. So völlig falsch lag die SPD-Fraktion nicht, als sie Anfang 2016 vorschlug, am Rossplatz ein neues großes Technisches Rathaus zu errichten. Denn die Stadt wächst – und mit ihr wachsen die Aufgaben der Stadtverwaltung. Insbesondere die im Sozialbereich. Im Sozialdezernat wird jetzt die Reißleine gezogen. Mit den überlasteten Strukturen geht es nicht mehr. Es braucht jetzt sofort ein neues, größeres Haus.

Und der Leipziger staunt und wundert sich. In einer Vorlage schlägt das Baudezernat dem Stadtrat jetzt vor, das Büroobjekt Prager Straße 21 anzumieten. Vielen Leipzigern wird die Adresse bekannt sein: Das ist das Bürogebäude mit der Keksrolle vorne dran, in dem bis vor einem Jahr die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) ihren Sitz hatte. Die dann lieber ein neues eigenes Zentralgebäude an der Wintergartenstraße errichtete, weil das auf Dauer preiswerter ist.

Aber ganz so überraschend ist die Wahl der Verwaltung dann auch wieder nicht. Denn: „Die im Vorfeld vorgenommene Recherche zur zentralen Unterbringung des Sozialamtes an einem Standort hat gezeigt, dass die aktuelle Büroimmobilienmarktlage die zur Verfügung stehenden Alternativen begrenzt sind.“

Wachstumsschmerzen sind das. Und zwar echte. Vor zehn Jahren hätte sich die Stadt die schönsten und üppigsten Bürogebäude zu kleinem Preis anmieten können, wo immer sie gewollt hätte. Da gab es in Leipzig noch einen riesigen Überhang an Büroflächen. Doch die haben sich in den letzten Jahren fast alle mit neuen, dienstleistungsgetriebenen Unternehmen gefüllt, die Arbeitsplätze schaffen und Zuzügler nach Leipzig locken. Die Stadt füllt sich, die Verwaltung bekommt mehr Arbeit …

Eigentlich eine ganz logische Kette. Und die Verwaltung hätte gut daran getan, vor fünf Jahren eine eigene Taskforce einzurichten, die überhaupt erst einmal errechnet, was auf eine Stadt zukommt, die mit 7.000 bis 10.000 Einwohnern pro Jahr wächst. So hoch war das Wachstumstempo auch damals schon. Heute sind es 15.000 bis 16.000. All diese Dinge, die heute ungelöst in der Sonne qualmen – vom sozialen Wohnungsbau über fehlende Schulen und Kitas bis hin zum fehlenden Platz für die Verwaltung – waren damals schon absehbar. Darüber schreiben wir ja nun die ganze Zeit, verärgern überforderte Verwaltungsmitarbeiter, ernten komische Kommentare von Leuten, die überall noch Platz und Puffer sehen. Das Ganze hätte in ein richtiges Planungsbüro gehört – samt Kostenanalyse. Denn Wachstum kostet. Es muss investiert werden und das muss frühzeitig geplant werden.

Tatsächlich kam die SPD mit ihrem Vorschlag zum Neuen Technischen Rathaus sogar zu spät. Man kann sicher sein, dass über die wachsenden Nöte der Verwaltung im Verwaltungsausschuss schon seit Jahren gesprochen wurde – aber augenscheinlich sehr zurückhaltend. Die Vorlage macht aber deutlich, dass die Luft längst brennt.

„Keine Unterbringung weiterer Mitarbeiter mehr möglich“, heißt es jetzt in der Vorlage. Insbesondere die Betreuung der Asylsuchenden hat den Personalbedarf deutlich erhöht: „Ohne zusätzliche Räumlichkeiten kann die Arbeitsfähigkeit der Abteilung Migrantenhilfe nicht mehr sichergestellt werden. Weitere Mitarbeiter der Abteilung können nicht mehr untergebracht, gesetzlich neu zugewiesene Aufgaben an dem Standort nicht erledigt werden.“

Dasselbe gilt für die Abteilung Verwaltung. Und für die Wohngeldstelle: „Auch in der Abteilung Wohngeld kann am gegenwärtigen Standort im Technischen Rathaus die Unterbringung weiterer Mitarbeiter für bereits bestätigte Stellenmehrbedarfe nicht mehr dauerhaft realisiert werden. Derzeit sind bereits Mitarbeiter in Räumlichkeiten anderer Ämter untergebracht, welche der Abteilung Wohngeld jedoch nicht dauerhaft zur Verfügung gestellt werden können. Damit ist der Einsatz dieser Mitarbeiter gefährdet. Dies kann dazu führen, dass die Erfüllung von Pflichtaufgaben mit wesentlich längeren Bearbeitungszeiten verbunden ist bzw. Bürger teilweise nicht mehr oder nicht rechtzeitig versorgt werden können.“

Das ist im Grunde ein Alarmruf, wenn die Verwaltung an den OBM meldet: Aufgabenerfüllung nicht mehr gesichert.

Der Alarmruf wurde im Sommer ausgelöst. Im September beschloss die Dienstberatung, ein eigenes Büroobjekt anzumieten. Das Liegenschaftsamt ging auf die Suche und krempelte alles um, was an verfügbaren Gebäuden in Leipzig noch zu finden ist. Bei einigen Objekten sagten die Vermieter sofort ab, als sie hörten, dass das Sozialamt mit Publikumsverkehr einziehen möchte. Was eine Menge sagt über einige Leipziger Vermieter.

Noch ein alter Bekannter wurde besucht: der einstige Sitz der LVB in der Karl-Liebknecht-Straße. Aber hier möchte der Vermieter lieber attraktive Mieter aus dem Kreativ-, Bildungs- und Designbereich haben. Muss es ja geben in Leipzig. Selbst nach Grünau in die Alte Post wäre man gegangen – aber die muss erst gründlich saniert werden.

Am Ende war das leerstehende Gebäude in der Prager Straße 21 die logischste Lösung. Es liegt relativ zentral, hat Straßenbahnanschluss und kann für überschaubares Geld renoviert und hergerichtet werden. Was dann in den 2,1 Millionen Euro, die 2017 aufgewendet werden müssen, und den 1,3 Millionen im Jahr 2018 steckt.

Es entsteht Platz für 218 Mitarbeiter.

„Im gesamten Objekt steht eine, räumlich in Verbindung stehende, Mietfläche mit 7.990,20 m² Büro- und Nebennutzfläche zur Verfügung. Hier können ca. 218 Arbeitsplätze optimal untergebracht werden. Dabei sind moderne Bürokonzepte, unter Beachtung der dienstlichen Erfordernisse, umsetzbar.  Ebenso ist eine moderne IT-Ausstattung (flächendeckendes WLAN) vorgesehen. Zusätzlich werden in den Untergeschossen ca. 448 m² zur Aktenlagerung angemietet. Mit dem Vermieter wurden entsprechende Verhandlungsgespräche aufgenommen. Der Vermieter realisiert die Anmietung schnellstmöglich nach Bestätigung der Vorlage und Unterzeichnung des Mietvertrages. Der Vermieter liefert den Umbau, Ausbau, die Renovierung und die Ausstattung entsprechend Bau- und Ausstattungsbeschreibung und realisiert die IT-Verkabelung entsprechend der Verkabelungsrichtlinie der Stadt Leipzig bis zu einem Wert von 500.000 €.“

„Insgesamt können an dem Standort die Abteilung Wirtschaftliche Sozialhilfe einschließlich des Sozialen und Pflegerischen Fachdienstes, die Abteilung Wohngeld einschließlich des Bereiches Leistungen für Bildung und Teilhabe, die Abteilung Soziale Wohnhilfen, die Abteilung Schwerbehinderteneigenschaften/Landesblindengeld sowie die Abteilung Migrantenhilfe untergebracht werden.“

Man kann also einen Großteil des Publikumsverkehrs an einem zentralen Ort bündeln.

Anmieten will man das Objekt erst einmal für zehn Jahre mit zwei Verlängerungsoptionen für jeweils fünf Jahre. Die Entscheidung soll freilich recht schnell fallen, denn nur bis Februar steht das Angebot. Außerdem müsste sofort mit den Umbaumaßnahmen begonnen werden, denn irgendwann zwischen dem 1. Mai und dem 1. August will und muss man einziehen, um wieder einigermaßen normale Arbeitsabläufe sichern zu können.

Die Vorlage zur Anmietung der Prager Straße 21.

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