2012 hat Leipzigs Verwaltung extra eine Broschüre aufgelegt mit dem Titel „Leipzig wächst nachhaltig“. Darin waren die Leitgedanken und Zielbereiche des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (SEKo) nachzulesen, das weitergeschrieben werden sollte. Aber was die einen für nachhaltig halten, ist es für die anderen noch lange nicht. Der Koordinierungskreis der Leipziger Agenda 21 hat jetzt zum zweiten Mal deutlich Stellung bezogen.
Schon vor einem Jahr hat der Koordinierungskreis seine Bedenken geäußert, dass Leipzig wirklich nachhaltig wächst. Denn Wachstum an sich ist nicht nachhaltig, wenn eine Stadt wie Leipzig dabei an ihre Grenzen kommt, der Verkehr stockt, bezahlbare Wohnungen fehlen oder gar der Platz für Schulen und Kitas ausgeht.
Am Dienstag, 14. November, haben Prof. Dieter Rink vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung, Sprecher des Koordinierungskreises, sowie der Leiter des Agenda-Büros, Ralf Elsässer, die neuen Positionen des Agenda-Kreises bekanntgegeben. Diesmal mit Blick auf die seit April bekannte Bevölkerungsprognose, die Leipzig bis 2030 einen Bevölkerungsanstieg auf 720.000 Einwohner verheißt.
Die 600.000er-Marke wird Leipzig noch vor 2020 reißen. Aber schon im Jahr 2016 ist sichtbar geworden, dass die Stadt und ihre Verwaltung auf das Wachstum gar nicht vorbereitet sind.
So scharf formuliert es die „Leipziger Agenda 21“ nicht. Aber wenn man sich die sechs Punkte, die diesmal genauer betrachtet wurden, anschaut, merkt man, dass es gerade beim nachhaltigen Umbau der Stadt klemmt. Es ist nicht nur die Verwaltung, die bremst. Oft wird sie auch ausgebremst, weil die für Fördergelder zuständige Staatsregierung kneift und das Thema einfach nicht ernst nimmt.
Was den Blick auf die Kurzatmigkeit deutscher Politik lenkt: Politiker, die überhaupt fähig sind, über die aktuelle Regierungsperiode hinaus zu denken und Weichen zu stellen für die Entwicklungen auch nur der nächsten 10, 20 Jahre, sind selten. Sie haben fast keine Chance, im Politbetrieb in entscheidende Funktionen aufzusteigen.
Den „Ersten Sächsischen Nachhaltigkeitsbericht“ haben wir ja gerade untersucht. Mit dem eindeutigen Ergebnis, dass zumindest bislang so gut wie nichts an der sächsischen Politik nachhaltig war.
Das hinterlässt Spuren und Löcher.
Etwa zum ersten Punkt, der den Leipzigern nun seit drei Jahren auf den Nägeln brennt: Wie sichert man in einer so schnell wachsenden Großstadt bezahlbaren Wohnraum, wenn es jahrelang überhaupt keine Förderung für sozialen Wohnungsbau gibt? Mittlerweile gibt es ein paar Peanuts – aber sie werden nicht einmal ein Zehntel der in Leipzig absehbar benötigten 2.000 neuen Sozialwohnungen im Jahr finanzieren.
Und bezahlbarer Wohnraum wird ein Mega-Thema der nächsten Jahre. Denn daran, wie es Leipzig gelingt, bezahlbaren Wohnraum für junge Familien, Migranten, von Wohnungslosigkeit Bedrohte oder auch für alternative Wohnideen zu schaffen, wird sich auch das vielgepriesene Wohnungspolitische Konzept messen lassen müssen. Vorgesorgt hat die Stadt nicht, obwohl es bei dem Thema auch um sozialen Zusammenhalt geht.
Die Vorsorge hätte längst beginnen müssen, auch mit der Sicherung von kommunalen Flächen für sozialen Wohnungsbau.
Was ein ganz altes leidiges Thema anschneidet: die Flächenbevorratung der Stadt für soziale Infrastrukturen: Schulen, Kitas, Sporthallen, Schwimmhallen usw.. Immer wieder versucht die Stadt hektisch, die notwendigen Flächen zu finden.
Aber wenn Leipzig so wächst wie prognostiziert, dann müssen heute schon die Flächen gebunden werden, die in den 2020er Jahren bebaut werden sollen, stellt Dieter Rink fest.
So beginnt nachhaltiges Denken: Die Zukunft im Blick haben und die Strukturen, die für eine 700.000-Einwohner-Stadt gebraucht werden, jetzt mitdenken.
Insgesamt sechs Punkte hat der Koordinierungskreis bewertet und mit Vorschlägen gespickt, wie die Stadt diese Themen anpacken muss, damit die Stadtpolitik in diesen Bereichen endlich nachhaltig wird.
- Bezahlbaren Wohnraum ermöglichen.
Auf den Punkt gebracht: Die Stadt muss „mit eigenem Wohnungsbestand, mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen und mit der Unterstützung von konstengünstigem Wohnungsbau“ dem erwartbaren Mietpreisauftrieb entgegenwirken. Manches ist angedacht. Für das Meiste fehlt das Geld. Ohne echte Unterstützung des Freistaates wird es nicht klappen.
- Soziale Infrastruktur klüger planen.
Egal, ob Kitas, Schulen, Sport- oder Schwimmhallen – Leipzig hat in den letzten Jahren einen Großteil seiner Grundstücke verkauft. Die fehlen jetzt. Und zwar nicht nur für die schon geplanten Projekte, sondern für alles, was eine 700.000-Einwohner-Stadt künftig noch bauen muss.
- Flächen effektiver nutzen – wichtige Freiräume sichern.
Die Stadt muss sich verdichten. Und vor allem muss entlang der Achsen von Straßenbahn und S-Bahn verdichtet gebaut werden, damit die neuen Bewohner gar nicht erst aufs Auto umsteigen, sondern das (noch auszubauende) ÖPNV-Netz nutzen.
Gleichzeitig müssen wichtige Grünschneisen bewahrt werden, damit der Klimawandel in Leipzig wenigstens ein bisschen Durchlüftung findet.
- Die Region als Ganzes stärker entwickeln.
Das hat die Agenda-Gruppe schon vor einem Jahr gefordert. Einzelne Akteure, so Prof. Dieter Rink, haben das wohl schon begriffen. Insgesamt läuft aber fast nichts, weil jeder für sich muddelt und auch einige Landfürsten noch nicht begriffen haben, dass sie vom Leipziger Wachstum profitieren können – insbesondere die, die bezahlbaren Wohnraum entlang der S-Bahn-Achsen haben.
- Stadtverträgliche Mobilität stärken.
Es wird keine Zukunft geben, in der der Pkw-Besitz in Leipzig parallel zum Bevölkerungswachstum zunimmt. Das geht schief und führt zum Verkehrskollaps. Gesichert wird die Mobilität der Zukunft nur, wenn Leipzig wirklich Umweltverkehr wie Fahrrad und ÖPNV Priorität einräumt. Das Thema knöpfen wir uns gleich noch einmal extra vor.
- Neubürger zu aktiven Leipzigern machen.
Das klappt nämlich noch nicht. Egal, ob Stadtrat oder Stadtverwaltung – nirgendwo spiegelt sich die zunehmende Internationalität der Stadt. Und damit sind 10 Prozent der Mitbürger gar nicht wahrnehmbar. Eigentlich ein Desaster für eine weltoffene Stadt. Das muss sich ändern.
Natürlich geht es bei Nachhaltigkeit um noch etliche Dutzend andere Themen. Erst zusammen wird daraus wirklich eine nachhaltige Stadtpolitik, die jetzt dafür sorgt, dass Leipzig auch 2020 und 2030 für mehr Menschen noch lebenswert bleibt.
Und tatsächlich zeigt auch diese kleine Analyse, dass Leipzig noch lange keine nachhaltige Stadtpolitik hat. Eher ein Bündel ziemlich schwacher Kompromisse, die schon jetzt zu unübersehbaren Leerstellen führen, zu einer Politik, die bei allen Mega-Themen hinterherkleckert. Was nur zum Teil mit fehlendem Geld zu tun hat, aber zu einem noch größeren Teil mit fehlendem Bewusstsein, was eigentlich alles gleichzeitig passieren muss, damit Leipzig tatsächlich zukunftsfähig bleibt.
Den neuen – deutlich breiter ausformulierten – Standpunkt aus dem Koordinierungskreis bekommen jetzt der OBM und die Stadtratsfraktionen wieder auf den Tisch. „Unsere Aufgabe ist es, immer wieder nächste Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung anzumahnen und den Entscheidern entsprechende Anregungen in die Hand zu geben“, sagt Elsässer. Und er verbindet es mit der Hoffnung, dass die Anregungen auch in den städtischen Diskussionsprozessen aufgenommen werden.
Denn die Alternative ist ein Wachstum in zunehmenden Engpässen, ziemlich chaotisch, voller Konflikte. Und die Stadt wird etwas, was mit den Visionen der Agenda 21 nichts mehr zu tun hat. Und dazu muss man über die nächsten fünf Jahre hinausschauen. Jetzt werden die Weichen für das Jahr 2030 gestellt.
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Nun gut, da regt sich mal wieder etwas in puncto Nachhaltigkeit. Auch wenn recht altbacken. Aber bitte das Wachstum einer Stadt nicht mit der Wachstumsillusion der Wirtschaft verwechseln! Denn in diesem Sinne ist es falsch zu schreiben, dass ” Wachstum an sich ist nicht nachhaltig ist”.
Wundersam ist es allemal, daß aus dem Rathaus nicht ein betriebsames Getöse angesichts der großen Chancen, die sich mit dem Leipziger Entwicklungstrend ergeben, zu vernehmen ist. Wenn man an Grenzen gestoßenen ist, dann an die, daß nun echte Taten erfolgen müssen und die Lösung nicht mit hohlem Gelaber herbei geredet werden kann! Ich warte immer noch darauf, daß mal laut gesagt wird, daß man diese Stadt mit allem was ist völlig verkannt und unterschätzt hat! Von Lüdtke-Daltrup bis zur Nedden und Konsorten. Unserem Koordinierungskreis möchte ich an Herz legen, daß man für die nachhaltige Entwicklung auch eine Vision für diese Stadt braucht und nicht bloß lokal-exotische – von alternativ bis alt-und-naiv- Randaktiönchen!
Sollte der Koordinationskreis immer noch meinen, dass er sich als “Mahner und Anwalt der Nachhaltigkeit versteht” gäbe es auch hier enormen Entwicklungsbedarf. Denn es gilt ja als Stadt auch die Aufgaben der “Agenda 2030” zu erfüllen!