Als Linke und Grüne im Juni die Einsetzung eines Kulturbeirates beantragten, war die frisch gewählte Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Die Linke) gerade im Amt und hatte noch nicht einmal Leitplanken für ihre Arbeit setzen können. Doch Linke und Grüne hatten das drängende Gefühl, dass Verwaltung und Stadtrat mehr Kulturberatung brauchten. Was selbst die CDU-Fraktion bis heute verblüfft.

Erst recht, nachdem die Kulturbürgermeisterin ihre Stellungnahme zu dem Antrag geschrieben hat, der sichtlich nicht mit ihr abgestimmt worden war. Denn sie legt einen Alternativvorschlag vor, der in einen „Leipziger Kulturrat“ münden soll. Was Andrea Niermann, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, noch unmöglicher findet. Schon aus rechtlichen Gründen.

Denn Kommunalparlamente sind laut §47 befugt, Beiräte einzurichten zu besonderen Themen, bei denen die gewählten Volksvertreter das Gefühl haben, unbedingt externen Sachverstand einholen zu müssen. Von der Natur her sind solche Beiräte eigentlich zeitlich befristet, können wieder aufgelöst werden, wenn man sich durch das schwierige Thema geackert hat. Die Gemeindeordnung sieht keine Befristung vor. Was dazu führt, dass solche Beiräte sich verstetigen und zur Dauereinrichtung werden. Und: Es werden immer mehr.

Sie werden zu Orten von ausgelagerter Sachkompetenz. Denn normalerweise dürfen Bürger ja davon ausgehen, dass die von ihnen gewählten Stadträte entweder die nötige Sachkompetenz mitbringen, um städtische Belange mitentscheiden zu können. Oder dass sie den Willen aufbringen, sich in solche Themen einzuarbeiten.

Natürlich erleichtert es ihre Entscheidungen, wenn ein augenscheinlich fachkundiger Beitrat ihnen Ratschläge gibt.

Das Problem aber, so stellt auch Andrea Niermann fest, ist in der Regel, dass die Mitglieder solcher Beiräte selten unabhängig sind, sondern stets auch Eigeninteressen verfolgen. Erst recht, wenn die Akteure entweder direkte (oder indirekte) Angestellte der Stadt sind (was alle großen Leipziger Kultureinrichtungen betrifft) oder vom Geldsegen der Stadt abhängig sind, so wie viele Vereine.

Doch gerade solche Personen sollen – nach Willen von Linken und Grünen – den 20-köpfigen Beirat besetzen. In der Vorlage heißt es: „Es sollten alle Sparten vertreten sein. Dem Kulturbeirat sollen nach Möglichkeit nicht mehr als 20 Personen angehören. Die im Kulturbeirat vertretenen Akteure vertreten unterschiedliche Interessen – es sollte gewährleistet werden, dass diese zu einem Ausgleich finden und keine einseitigen Machtsymmetrien entstehen (Sparten-/Genrevertretung, Geschlechtergerechtigkeit). Die Grenzen der Zuständigkeit des Kulturbeirates sollten erkennbar identifiziert und benannt werden. Durch ein Rotationsverfahren soll hinreichend Dynamik in der Besetzung sowie hinreichend Kontinuität in der Arbeitsweise gewährleistet werden. In der Geschäftsordnung sollte eine Regelung zum Umgang mit möglicher Befangenheit der Mitglieder verankert werden.“

Man sieht: Selbst die Antragsteller hatten schon das mulmige Gefühl, dass sich die möglichen Kandidaten für den Beirat überhaupt nicht unabhängig und nur beratend betätigen, sondern das Gremium als politische Einflussmöglichkeit benutzen.

„Wir werden dann als Stadträte erst recht überstimmt“, sagt Andrea Niermann. Schon im Kulturausschuss des Stadtrates, wo Stadträte und Verwaltung zusammensitzen, sind die Diskussionen oft schwer genug. Die Machtposition der Verwaltung wächst natürlich, wenn sie auch noch auf die vermeintliche Fachkompetenz eines beratenden Gremiums wie eines Kulturbeirates verweisen kann.

Nicht einmal Skadi Jennicke träumt von einem weiteren dieser Vertretungsgremien für die üblichen Funktionsträger.

Vielleicht hat sie deshalb als Alternative die Installation eines „Leipziger Kulturrats“ vorgeschlagen. Dabei denkt sie gerade nicht an ein weiteres Gremium der Leipziger Kulturmanager, sondern an externe Beratung für sich selbst: „Der ‚Leipziger Kulturrat‘ soll die Verwaltung bei der kulturpolitischen Schwerpunktsetzung und der Entwicklung kulturpolitischer Strategien beraten. Er soll den multiperspektivischen Austausch und die Interaktion zwischen Politik, Verwaltung und Akteursvielfalt befördern, Verwaltungshandeln nachvollziehbar machen und Themen aktiv auf die Agenda setzen. Die Berufung der Mitglieder des Gremiums durch die Bürgermeisterin für Kultur ermöglicht die Sicherung von hinreichend Kontinuität und notwendiger Flexibilität in der Zusammensetzung des Gremiums.“

Was sie ja machen könne, stellt Andrea Niermann fest. Das sei ihr gutes Recht als Bürgermeisterin. „Sie kann sich jede Beratung holen, die sie will“, sagt die CDU-Stadträtin. „Erst recht, wenn sie betont, dass sie diese Leute sowieso aus dem Etat des Kulturdezernats bezahlen will. Wozu braucht sie da uns als Stadtrat?“

Im Gegenteil, es sei sogar höchst problematisch, so einen Kulturrat gar mit Zustimmung des Stadtrats einzurichten. „In der Sächsischen Gemeindeordnung ist so etwas nicht vorgesehen“, sagt Niermann.

Der Vorschlag der Kulturbürgermeisterin heilt also das Problem nicht, das Linke und Grüne mit ihrem Antrag aufgeworfen haben. Wie weit sie gehen wollen in der Kompetenzerteilung für den gewünschten Kulturbeirat, steckt zum Beispiel in solchen Sätzen: „Er berät die Mitglieder der Ratsversammlung sowie die Verwaltung in allen strategischen kulturpolitischen Entscheidungsprozessen, in die er frühzeitig einzubinden ist (bspw. Kulturentwicklungsplanung, Novellierung Fachförderrichtlinie, Förderinstrumente, langfristige kulturpolitische Vorhaben). Der Kulturbeirat ist in geeigneter Form beratend in das Fördermittelvergabeverfahren im Bereich Kultur einzubeziehen.“

Das sind originäre Entscheidungsfelder der Stadtratsfraktionen und der Kulturverwaltung. Da bekommen nicht nur Andrea Niermann und ihr Fraktionskollege Michael Weickert, der für die CDU Mitglied im Fachausschuss Kultur ist, ein ganz mulmiges Gefühl im Bauch. Denn damit geben die Stadträte eine Menge Entscheidungskompetenz an ein außenstehendes Gremium ab, das zwar nicht entscheiden darf. Aber wie stark „Expertenmeinungen“ heute schon Politik auf allen Ebenen verzerrt, kann man ja nicht nur in Leipzig beobachten.

Antrag von Linken und Grünen zum Kulturbeirat.

Stellungnahme des Kulturdezernats zum Antrag zum Kulturbeirat.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar