„Leipzig ist nach wie vor die sächsische Armutshauptstadt, daran hat sich nichts geändert“, sagt Dr. Dietmar Pellmann, lange Jahre das sozialpolitische Schwergewicht in der Landtagsfraktion der sächsischen Linken. Aber Ruhestand kennt er nicht. Er wird auf dem Podium sitzen, wenn die Leipziger Linke die nächsten Foren zur Rentenzukunft in Leipzig veranstaltet. Mit vielen jungen Leuten im Publikum, wünscht sich Adam Bednarsky.

Bednarsky ist seit Kurzem der Kreisvorsitzende der Leipziger Linken. Und er ist mit 36 jung genug, um die Verunsicherungen rund um die künftige Rente auch im eigenen Bekanntenkreis mitzuerleben. Kaum einer weiß noch, wie viel Rente er später bekommen wird, ob es überhaupt noch staatliche Rente für ihn geben wird. Das Rentensystem ist durch Dutzende „Reformen“ durchlöchert. Und gerade für Leipzig gilt: Ein Großteil der Leipziger wird künftig auf Grundsicherung angewiesen sein.

Die Zahlen hat Dr. Dietmar Pellmann. Selbst nach dem Ausscheiden aus dem Landtag sammelt er die verfügbaren Daten, baut sie in historischen Reihen zusammen. Wenn man die Zahlen sehe, dann wisse man, was da auf Leipzig zukommt, sagt er. Nur in der sächsischen Regierung scheine das niemanden zu interessieren.

Ist ja – mal wieder – ein Problem der Kommunen, auf die Bund und Länder eine soziale Fürsorge nach der nächsten abwälzen.

Das Leipziger Problem ist bekannt: Keine andere Stadt in Sachsen wurde 1990/1991 so heftig von der Deindustrialisierung gebeutelt wie Leipzig. Über 100.000 junge, gut ausgebildete Leipziger flüchteten regelrecht vor der drohenden Arbeitslosigkeit in den Westen. Wer dablieb – tapfer wie 1989 („Wir bleiben hier“) – der nahm die ganze Last der Transformation auf sich – mit allen Folgen: Niedriglohn (von der Staatsregierung bis 2014 als Allheilmittel gepriesen), prekäre Beschäftigung, immer neue Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie, berufliche Stillstandsphasen, Zeiten der Stagnation in der Lohnentwicklung …

„Leipzig hat 15 Jahre Stillstand bei der Einkommensentwicklung hinter sich“, sagt Pellmann. Erst seit 2014 steigt das Lohnniveau wieder. Aber auch dahinter verbirgt sich ein Prozess, der die Stadt immer mehr auseinanderreißt: Nur ein Teil der Beschäftigten profitiert von der Lohnentwicklung. Mindestens ein Viertel der Leipziger steckt immer noch im Einkommenskeller fest. Oder – wie Pellmann betont – in Armut. Bei den unter 18-Jährigen sind es 27 Prozent, bei den 18- bis 25-Jährigen ist es jeder Dritte.

Armut aber heißt: Die Betroffenen können keine (größeren) Ansprüche in der staatlichen Rente erwerben. Sie haben auch kein Geld übrig, um privat vorzusorgen. Das deutsche Rentensystem begünstigt nur all jene, die über ihr ganzes Erwerbsleben schon gut verdienen.

Selbst der 2015 eingeführte Mindestlohn wird das nicht ändern. Um eine auskömmliche Rente zu gewährleisten, ist er noch immer zu niedrig. Was damit zu tun hat, dass die letzten Bundesregierungen das Rentenniveau immer weiter abgesenkt haben – von 53 Prozent in der Kohl-Zeit auf gegenwärtig 48 Prozent, 2029 soll es nur noch 43 Prozent betragen. Damit rutschen immer mehr – auch Leipziger – Normalverdiener unter die Armutsschwelle im Alter und müssten Grundsicherung beantragen.

Von einer Gerechtigkeitslücke spricht Adam Bednarsky, die Menschen auch noch dafür bestraft, die ihr Leben lang gearbeitet haben und trotzdem nicht die nötigen Rentenpunkte bekommen. Der ganze Berg der letzten Rentenreformen – von der Flexi-Rente über die Rente mit 63 bis zur sogenannten Mütterrente – werde als ungerecht empfunden.

Noch ist ein Jahr Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl. Aber so lange will die Leipziger Linke nicht warten, das Thema in Leipzig zu besetzen. Denn gerade in Leipzig habe es eine spürbare soziale Dimension. Wenn ein Viertel der Stadtbevölkerung dauerhaft in Armut lebt, dann rollt da auch eine große Welle auf den Leipziger Stadthaushalt zu. Die Stadt muss ein Wachstum finanzieren, für das sie eigentlich die Gelder nicht hat, gleichzeitig kommen zehntausende Leipziger trotz aller Bemühungen nicht aus der Bedürftigkeit heraus.

Und Hunderttausend weitere mühen sich verzweifelt ab, in einem immer schärferen Wettrennen um Rentenpunkte den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren.

Deswegen sei Leipzig genau die richtige Stadt, wo man eine Kampagne für eine andere Rentenpolitik starten könne. Eine Veranstaltung habe schon stattgefunden, neun weitere in den Stadtbezirken sollen folgen. Und jedes Mal wird der Mann im Podium sitzen, der die Zahlen hat: Dr. Dietmar Pellmann.

Und dabei geht es nicht nur um die Diskussion darüber, wie weit das Problem mittlerweile ausgereift ist – auch befeuert durch viele verzögerte Berufseinstiege für junge Leute, durch prekär gewordene Beschäftigung selbst hochqualifizierter Akademiker. Da bekommen auch junge Leute schon mit, dass ihnen beim Thema Rente etwas ganz Unangenehmes bevorsteht.

Gleichzeitig will die Linke für neue Ansätze in der Rente werben. „Und wir sind da nicht allein“, sagt Bednarsky. Der DGB habe eine ganz ähnliche Kampagne gestartet. Das Thema brennt. Und es befeuert die sich in vielen deutschen Großstädten verfestigende Armut. Denn wer einmal in einer prekären Erwerbsschleife gelandet ist, der trägt die Verluste an künftigen Rentenansprüchen wie eine Hypothek durchs Leben. Einmal arm – immer arm. Das sorgt nicht nur für zunehmende Depression und Frustration – das schürt auch die sozialen Konflikte. Dass in Leipzig solche Konflikte immer wieder kulminieren, hat genau damit zu tun.

Genauso wie das Erstarken einer marktschreierischen populistischen Partei, die ihre Wähler vor allem bei der überall spürbar werdenden Angst abholt, dass alles Malochen, Sparen, Sichbemühen nicht mehr reicht, um auch nur ein Mindestmaß von finanzieller Sicherheit im Leben zu ereichen. Die Angst zerfrisst selbst den Mittelstand. Aber sie irrlichtert, weil etliche Parteien das Soziale völlig aus dem Fokus verloren haben.

„Das muss bei uns endlich wieder Schwerpunkt werden“, sagt Bednarsky.

Welche Vorschläge macht die Linke für die Rente?

Sie fordert unter anderem eine Mindestrente von 1.050 Euro, die Anhebung des Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent, die Schließung der Rentenlücke bei Kindererziehungszeiten, Rentenbeiträge für „Hartz IV“-Betroffene …

Die Liste ist ziemlich lang, weil das deutsche Rentensystem längst aus einem ganzen System der Ausnahmen und Sonderfälle besteht.

Im Bundestagswahlkampf, da ist sich Pellmann sicher, wird die Rentenproblematik ein wichtiges Thema sein. Auch wenn es die Bundes-Linke jetzt noch nicht auf dem Schirm hat, weil es auch bei den Linken Politiker gibt, die das moderne Leistungsdenken als Primat begreifen und nicht sehen, wie das Schaffen einer permanenten Armut nicht nur in Deutschland immer mehr soziale Probleme erzeugt.

Nach der ersten Veranstaltung im Leipziger Nordwesten ist zumindest schon mal die nächste Veranstaltung fest terminiert: Sie findet am 20. Oktober, 18 Uhr, in der Völkerfreundschaft (Stuttgarter Allee 9) statt als Bürgerforum „Die Rente geht uns alle an …“ Natürlich mit Dr. Dietmar Pellmann im Podium.

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