LEIPZIGER ZEITUNG/Mit Auszügen aus Ausgabe 35Bettina Kudla (CDU) hatte es bereits ab der zweiten Septemberwoche auf kuriose Art und Weise in die überregionalen Schlagzeilen geschafft. Die Bundestagsabgeordnete war mit einer Twitterattacke auf den türkischen Journalisten Can Dündar losgegangen. Der Reporter wird von der Erdoğan-Administration politisch verfolgt und gilt der Administration in Ankara als nicht systemtreu. Nun folgte am 24. September, erneut pünktlich zum Wochenende, das nächste Stöckchenspiel im Rahmen eines Wahlkampfes, wie ihn die Leipziger CDU-Abgeordnete versteht. Erneut springen alle auf. Und die Frage „Warum“ wird kaum gestellt.
„Cansel #Dünnschiss, pardon, Can #Dündar sagt, #Beitrittsverhandlungen mit #Türkei nicht abbrechen. Wissen wir selbst.“ Diese Schmähungen bescherten der Abgeordneten vor wenigen Tagen nicht nur einen Shitstorm im Netz, sondern auch Kritik aus den eigenen Reihen. „Diese Form der Auseinandersetzung ist keine, die wir als Bürgerliche pflegen. Wir können hart in der Sache sein, aber Beleidigungen gehören nicht dazu“, sagte der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer gegenüber dem Nachrichtenportal „Spiegel Online“.
Anlass für Kudlas verbalen Ausfall war offensichtlich ein ZDF-Interview mit Dündar am 8. September. Am Sonntag, den 11. September legte Kudla nämlich auf Twitter noch einmal nach, während Medien sich erfolglos um eine Stellungnahme zum ersten „Mausrutscher“ bemühten. „Kein gewählter #Politiker (Volksvertreter) kommt zu Wort. Etwas läuft schief in unserem Land #Deutschland!“ Immerhin nutzte sie in dem zweiteiligen Tweet Dündars richtigen Namen, nun jedoch mit einem leichten Anfall von AfD-Sprech.
Übersetzt: Während sich die halbe Bundesrepublik seit Monaten ohne die Beteiligung Kudlas unter unzähligen Argumentationen mit den Vorgängen in der Türkei befasste, möchte die Leipzigerin offenbar nun gern mit einer Erdoğan-freundlichen Haltung einsteigen.
Erste gezielte Provokation mit Hintersinn
Dabei ist dieser Einstieg in ihren ganz persönlichen Wahlkampf für 2017 nicht ganz so ungeschickt, wie es auf den ersten Blick aussieht. Ist doch der Flüchtlingsdeal zwischen Deutschland und der Türkei derzeit eine der obersten Prämissen einer amtierenden Kanzlerin. Platzt die Vereinbarung, ist angesichts von drei Millionen notdürftig am Bosporus aufgehaltener Flüchtlinge Europa wohl endgültig zu einer eigenen Lösung aufgefordert und das Zäunebauen gerät ins Wanken. Der Law and Order-Fraktion anderer Parteien, zuerst der AfD, würde dies in jedem Fall in die Hände spielen, ein CDU-Wahlerfolg bis hinunter in die Kommunen dürfte fraglich werden.
Der gebürtigen Münchnerin Kudla missfiel offenkundig die Art und Weise, wie der türkische Journalist über die deutsche Türkeipolitik sprach. Die ehemalige Leipziger Finanzbürgermeisterin fiel jedoch nicht das erste Mal mit Erdoğan-freundlichen Positionen auf. Im Juni hatte die Politikerin als einzige Abgeordnete im Bundestag gegen die Armenien-Resolution votiert. In einer persönlichen Erklärung argumentierte sie, es sei „nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, historische Bewertungen von Ereignissen in anderen Staaten vorzunehmen.“
Für Aufsehen sorgte die Leipzigerin, die seit 2009 dem Bundestag angehört, in der Vergangenheit auch mit Tweets zu den Themen Rechtsextremismus und Islam. In ihrer Fraktion gilt die Hinterbänklerin, die sich auf ihrer Homepage großspurig als „Anwältin für Leipzig“ begreift, auch in der zweiten Legislaturperiode als Außenseiterin. In ihrem Wahlkreis in der Messestadt begrenzte sich ihr bisheriges politisches Wirken weitestgehend auf die Wahrnehmung repräsentativer Verpflichtungen, einem sporadischen Einsatz gegen Standorte von Flüchtlingsunterkünften im eigenen Wahlkreis und der zeitweiligen Ablehnung der Ahmadiyya-Gemeinde in Gohlis. Eine Interpretation ihres Bundestagsmandates, welche 2017 nicht mehr für eine Wiederwahl nach bereits zwei Legislaturen genügen könnte.
Während im Netz bereits bei der ersten Attacke gegen Dündar zahllose User Kudlas Rücktritt forderten, hielt sich ihre Unionsfraktion lange dezent zurück. Offensichtlich wollte niemand die Leipzigerin unnötig aufwerten, Rückendeckung gibt es für die Einzel-Offensive offenbar noch keine. Der Deutsche Journalisten-Verband forderte von Kudla eine Entschuldigung, da ihr Verhalten einer Bundestagsabgeordneten nicht würdig sei. Fraglich ist jedoch, ob im längst begonnenen Wahlkampfjahr 2017 Würde noch eine herausragende Rolle spielen dürfte. Die Entschuldigung seitens Kudla jedenfalls fiel aus, der Tweet ist weiterhin online.
Stattdessen legte die CDU-Abgeordnete am heutigen 24. September nach
In Teil zwei der Stöckchenstrategie der innerhalb der CDU längst rechtsaußen zu verortenden Münchnerin äußerte sie auf Twitter: „BK #Merkel streitet es ab, #Tauber träumt. Die #Umvolkung #Deutschlands hat längst begonnen. Handlungsbedarf besteht!“. Mit der Anlehnung an den nationalsozialistischen, homogenen Volksbegriff wird heute eine drohende Ausrottung „der Deutschen“, also der deutschstämmigen Bevölkerung durch Zuwanderung und Flüchtlingsbewegungen gemeint.
Die Rhetorik ist dabei vor allem in rechtsextremen und identitären Nationalistenkreisen anzutreffen, welche aufgrund der ausländerfeindlichen und grundgesetzwidrigen Ausrichtung längst Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes sind.
Wie schon bei der ersten Provokation versuchte es Bettina Kudla anschließend ganz AfD-like mit einer nachgeschobenen Erläuterung zum neofaschistischen Sprachausfall. Dieses Mal mit der Nationalhymne in der nachfolgenden Wortmeldung per Tweet: „Einigkeit und #Recht und #Freiheit für das #deutsche #Vaterland! Danach lasst uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand! Ungültig?“
Inwieweit die Freiheit eines Landes mit der Zuwanderungsfrage zu verbinden ist, wird Kudla sicherlich nach dem Wochenende im Haus- und Hofblatt LVZ erläutern. Bereits beim ersten Twitter-Aufruhr hatte sie eines der ganz wenigen Interviews ebenda absolviert – wohl wissend, dass die Fragen nicht besonders tief gehen würden.
Auf ihre Zukunft in der CDU angesprochen, hatte sie so am 13. September 2016 widerspruchslos geäußert: „Ich bin mit Leib und Seele CDU-Mitglied und Bundestagsabgeordnete für diese Partei. Mit einer Partei wie der AfD verbindet mich nichts.“ Dass dem wirklich so ist, darf man nun umso deutlicher bezweifeln. Nach der ebenfalls im Stöckchenspiel kürzlich aufgeworfenen Begrifflichkeit „völkisch“ seitens Frauke Petry (AfD), scheint es eher einen Überbietungswettkampf beim Weg zurück in nationalsozialistische Zeiten und der da üblichen Sprache zu geben. Inwieweit Kudla hierbei längst Wahlkampf für die AfD betreibt, ist noch das Geheimnis der auf Pressenachfragen für gewöhnlich schweigsamen Abgeordneten.
Schuld daran, dass auch sie ihre Wortwahl in Richtung AfD-Sprech geändert hat, seien dann auch wohl die Medien. Kudla jedenfalls zur LVZ auf die Frage nach der Art der Äußerungen: „Wie auch schon zuvor ausgeführt, ist es bedauerlich, dass es offenbar mitunter Aufmerksamkeit erregender Worte bedarf, um Inhalte zu vermitteln. Insofern wäre dies auch eine interessante Frage an die Medien.“ Von diesen scheint die Wahlkämpferin offenbar zu erwarten, dass es zu ausführlichen Berichterstattungen kommt, wenn sie Präsentationsbesuche bei Leipziger Fußballvereinen absolviert.
Der Wahlkampf 2017 hat begonnen
So deutete bereits der erste Twitterdurchgang Mitte September eher darauf hin, dass die Äußerungen Kudlas vielmehr ein Auftakt sein könnten. Der Bundestagswahlkampf dürfte auch in Leipzig härter werden, als noch vor gut drei Jahren. Denn die bisherige Wahlarithmetik bei den bislang zwei CDU-Direktmandaten von Bettina Kudla und Dr. Thomas Feist könnte sich 2017 auch in der Messestadt durch die derzeit von Erfolg zu Erfolg eilende AfD verschieben.
Bislang machten sich in den beiden Leipziger Wahlkreisen die Kandidaten der Linken, SPD und Grünen in dieser Reihenfolge mit gemeinsam über 50 Prozent die Erfolge über die beiden CDU-Kandidaten streitig, wobei Linke und SPD es ohne Grüne auf jeweils rund 40 bis 50 % schafften. Beiden CDU-Kandidaten genügten so jeweils 54.000 und 52.000 Stimmen zum Einzug in den Bundestag. Im Falle Kudlas (40 %) ist die Gefahr zwar scheinbar geringer als bei Dr. Feist (34,3 %), doch 2017 könnten alte Gewissheiten fallen.
Die AfD hatte bei Kudlas Wiederwahl 2013 keinen Kandidaten im Bundestagsrennen und wird derzeit auf bis zu 15 % im Jahr 2017 geschätzt. Sollte die „Flüchtlingskrise“ zurückkehren, eher mehr. Von wem sich die noch unbekannten Spitzenkandidaten der Partei in der urbanen Großstadt Leipzig die Stimmen holen könnten, ist ungewiss. Dass die AfD vor Wahlen gezielt Wohnsitzwechsel nach Erfolgschancen vornimmt, zeigt dabei der Fall Hans-Thomas Tillschneider.
Das AfD-Mitglied und Vertreter des „Patriotischen Forums“ war vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt von Leipzig aus in einen aussichtsreichen Wahlkreis gezogen und sitzt heute im Landtag des sächsischen Nachbarlandes. Und hartnäckig hielten sich Gerüchte über einen Umzug von AfD-Parteichefin Frauke Petry in die Messestadt. Seit einem offensichtlich linksextremen Brandanschlag auf ihren Pkw ist mindestens klar, dass sie einen Wohnsitz in Leipzig hat und als Bundesvorsitzende im Wahlkampf 2017 von Leipzig aus ins Rennen gehen wird.
Gerade Bettina Kudla muss also bereits jetzt besonders aufpassen – ihre bisherigen Themenfelder „Islam“, „Flüchtlinge“ und „Wirtschaft“ werden bundesweit aktuell von ganz rechts außen aufgerollt und sind kein Alleinstellungsmerkmal der konservativen Konservativen aus Leipzig mehr. Hinzu kommt: Mit Jens Lehmann und Michael Weickert, beides Stadträte der Leipziger CDU, haben in den vergangenen Tagen zwei weitere parteiinterne Kandidaten für die Wahl 2017 ihren Hut in den Ring geworfen. Sie wollen im ersten Schritt innerhalb der Leipziger und der sächsischen CDU überzeugen, dass sie ebenfalls in der Lage sind, über einen bisher nahezu sicheren CDU-Wahlkreis in den Bundestag einzuziehen. Aufgrund von Wahlgewohnheiten würden dafür wohl auch 30 % genügen.
Nicht überraschend also, dass hier frühe protürkische und nun auch deutschtümelnde Signale von einer bislang eher unscheinbaren Leipziger Abgeordneten kommen. Es geht längst um ihren Sitz im deutschen Parlament und den Versuch, wahrscheinliche AfD-Stimmen für sich zu mobilisieren.
Teile des Beitrages sind bereits am 16. September 2016 in der LEIPZIGER ZEITUNG erschienen. Dieses und weitere Themen finden sich in der aktuellen LZ-Ausgabe, welche neben den normalen Leipziger Presseshops hier im Szeneverkauf zu kaufen ist.
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