Jahrelang ging alles gut, zeigten zwei wichtige Leipziger Erinnerungsstätten, dass sie ganz gut miteinander harmonieren: das Schulmuseum und die Gedenkstätte "Runde Ecke". Doch nun gibt es Ärger um den ehemaligen Kinosaal der Leipziger Stasi, den vor allem die Gedenkstätte "Runde Ecke" nutzte, um Filme einer überwachungsbesessenen Vergangenheit zu zeigen. Zwei SPD-Anträge im Stadtrat wollen damit Schluss machen.

Im Mai hatte die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat ihren Antrag geschrieben, der erst einmal nach großen Taten klang: „Erarbeitung einer Zukunftskonzeption für die Gedenkstätte Museum in der ‚Runden Ecke‘ und Schulmuseum bei der Weiterentwicklung unterstützen!“

Nur dass man irgendwie noch im alten Staatsdenken steckt und schon mal vorab bestimmen möchte, wie mit den Räumen im ehemaligen Stasi-Komplex am Dittrichring umgegangen werden soll.

„Die Stadt Leipzig forciert die Erstellung eines schlüssigen Zukunftkonzeptes für die Gedenkstätte Museum in der ‚Runden Ecke‘ gemeinsam mit dem Bürgerkomitee Leipzig e.V. und weiteren geeigneten externen Partnern. Das Konzept ist dem Stadtrat bis zum I. Quartal 2017 vorzulegen“, heißt es da. Und: „Die Stadt Leipzig unterstützt das Schulmuseum in der Weiterentwicklung des Museums. Zur Absicherung einer nachhaltigen Entwicklung des Schulmuseums auf dem Gebiet der demokratischen Bildung in der Stadt Leipzig soll der Kinosaal in der städtischen Liegenschaft Goerdelerring 20 dauerhaft durch das Schulmuseum und den Einrichtungen des Zentrums für demokratische Bildung gemeinsam mit Partnern genutzt werden.“

Goerdelerring 20 ist das Schulmuseum. Die „Runde Ecke“ hat die Adresse Dittrichring 24. Beide Häuser gehen quasi ineinander über. Das hat bisher funktioniert. Doch seit die Stadtverwaltung den Wunsch hat, die Ausstellungskonzepte in beiden Häusern zu erneuern, wird die Arbeit im Haus zum Politikum.

Und die SPD-Fraktion ist dabei sehr weit vorgeprescht, als sie den bislang von der „Runden Ecke“ genutzten Kinosaal schon mal komplett dem Goerdelerring 20 zuschlug.

Der Antrag wurde in der Juni-Sitzung der Ratsversammlung erstmals vorgelegt.

Doch dass die SPD den original erhaltenen Kino-Saal einfach dem Schulmuseum zuschlagen will, stößt beim Bürgerkomitee Leipzig e.V., dem Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, sauer auf. Der Kinosaal zeigt nicht nur original erhalten das Ambiente, in dem einst die Granden des MfS feierten und ihre klassenkämpferischen Reden hielten und ihre kämpferischen Filme sahen, also ein Stück Zeitgeschichte. Der Saal ist auch für die publikumsträchtigen Veranstaltung der Gedenkstätte „Runde Ecke“ wichtig.

 

Festveranbstaltung im Kinosaal 1976 mit Stasi-Chef Erich Mielke. Foto: Bürgerkomitee Leipzig
Festveranstaltung im Kinosaal 1976 mit Stasi-Chef Erich Mielke. Foto: Bürgerkomitee Leipzig

Bislang ist es nur ein Vorstoß aus der SPD-Fraktion. Aber wenn der Beschluss so durchkommt, muss auch die Ausstellung zur Friedlichen Revolution sofort abgebrochen werden, kritisiert Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer.

„Das lehnen wir ab“, sagt Hollitzer.

Den SPD-Antrag empfindet das Bürgerkomitee als Affront. Es lasse alle bisherigen Informationen und Vereinbarungen in einem neuen und wesentlich grundsätzlicheren Licht erscheinen.

„Warum dieser wichtige authentische Ort der SED-Geheimpolizei nunmehr dem Museum in der ‘Runden Ecke’ und damit den Besuchern der Gedenkstätte dauerhaft entzogen und einem gänzlich fachfremden Museum zugeordnet werden soll, ist nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang soll auch die dort seit 2009 gezeigte, in ihrer thematischen Dichte einzigartige Ausstellung ‚Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution‘ abgebrochen werden“, so Hollitzer, für den der Vorstoß auch wie aus heiterem Himmel kommt. Denn bislang konnte sich das Bürgerkomitee mit dem Projekt „Runde Ecke“ auch immer auf Rückendeckung – oder Zumindest Kompromissbereitschaft – durch Leipzigs Stadtpolitik verlassen.

„Bisher hatte die Gedenkstätte Museum in der ‚Runden Ecke‘ mit dem Oberbürgermeister wenngleich keine konfliktfreie, aber immer eine gute Zusammenarbeit“, schildert Hollitzer das Verhältnis. „Uns eint das Bemühen, Leipzig als ‚Stadt der Friedlichen Revolution‘ zu stärken und die Erinnerung an die SED-Diktatur als Mahnung für die Zukunft wach zu halten. Um die dauerhafte Weiterführung der 2009 im ehemaligen Stasi-Kinosaal eröffneten  Sonderausstellung ‚Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution‘ gab es in den zurückliegenden Jahren verschiedene Kontakte und Gespräche.“

Das Problem am Haus Goerdelerring 20 ist: Die Stadt plant, hier nicht nur das Schulmuseum zu belassen, sondern als weitere Nutzer „Einrichtungen des Zentrums für demokratische Bildung“ unterzubringen. Zuallererst betrifft das das Büro des Jugendparlaments.

Aber die SPD ging noch weiter. In einem zweiten Antrag wünscht sie, schon ab Oktober die Ausstellung „Was glaubst Du denn?! Muslime in Deutschland“ im alten Kinosaal zu zeigen. Was dann zwangsläufig den Abbau der dort jetzt zu sehenden Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ bedeuten würde. Und auch dieser Antrag stammt aus dem Mai.

Was natürlich die Frage aufwirft: Macht die SPD-Fraktion jetzt eine Politik, die nicht mehr mit dem SPD-Oberbürgermeister abgestimmt wird? Oder macht sie für den OBM Politik?

Tobias Hollitzer jedenfalls kann auf einen Brief von OBM Burkhard Jung vom 2. Juni 2016 verweisen, in dem der Oberbürgermeister den bisherigen fairen Umgang derer betonte, die sich in Leipzig für das Thema „Friedliche Revolution in Leipzig“ engagieren, und schrieb: „Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir an diesem Geist der Gemeinsamkeit festhalten müssen. Jede Einrichtung besitzt ihre besonderen Interessen, aber gerade über die Bündelung vielfältiger Akteure hat sich die Kraft unserer Idee erwiesen.“

Aber am Ende seines Briefs wünsche er eben doch den Abbau der Ausstellung zur Friedlichen Revolution und die Rückkehr zu den vertraglichen Regelungen, „die eine halbjährige Nutzung des Kinosaals jeweils durch Ihr Museum und das städtische Schulmuseum vorsehen.“

Das war im Juni.

Während gleichzeitig der SPD-Antrag durch die Gremien wanderte, der den Kinosaal komplett aus der Nutzung durch die Gedenkstätte „Runde Ecke“ herausnehmen möchte.

Kurze Zeit drauf schrieb aber auch das Sozialdezernat eine eigene Stellungnahme zum SPD-Antrag, die Ausstellung „Muslime in Deutschland“ im Kinosaal stattfinden zu lassen.

Das Schulmuseum am Goerdelerring 20. Foto: L-IZ.de
Das Schulmuseum am Goerdelerring 20. Foto: L-IZ.de

Darin wurde die Nutzungsproblematik noch einmal aus Stadtsicht erläutert: „Eine uneingeschränkte Zugänglichkeit und Nutzung des Saals ist zurzeit nicht möglich, da dieser seit 2009 von der Sonderausstellung ‚Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution‘ des Bürgerkomitee Leipzig e. V. belegt wird. Das seit dem Einzug des Schulmuseums am Standort Goerdelerring 20 im Jahr 1999 wahrgenommene Nutzungsrecht des Schulmuseums am Saal, 2003 über eine Kooperationsvereinbarung mit dem Bürgerkomitee Leipzig e. V. geregelt, wurde dadurch faktisch außer Kraft gesetzt. Am Nutzungsrecht für die Stadt Leipzig wird weiterhin festgehalten. Für das Schulmuseum ist die Wiederherstellung des Nutzungsrechts notwendig, damit es seiner zentralen Aufgabe, Sonder- und Wechselausstellungen zu zeigen und Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen durchzuführen, in bewährter Weise nachkommen kann (§ 3, Abs. 1 der Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt Leipzig, der Universität Leipzig und der HTWK Leipzig zur Errichtung des Schulmuseums vom 10.06.1999). Die Rückgewinnung des Saals für die Nutzungsinteressen der Stadt Leipzig ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, um die Realisierung weiterer wichtiger Ausstellungen und Veranstaltungsformate zu ermöglichen. Bis Sommer 2017 plant das Schulmuseum zwei weitere temporäre Ausstellungen, die jeweils durch Workshopangebote für Schulen und ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzt werden.

Es geht also – aus Sicht der Stadt – eigentlich um die Klärung einer Nutzungsvereinbarung zwischen Stadt und Bürgerkomitee – die freilich trotzdem den Verzicht auf die Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ bedeutet.

Wobei das Sozialdezernat betont: „Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. wird bei Bedarf bei der sachgerechten Zwischenlagerung von Objekten, sofern es sich nicht um Leihgaben handelt, bis zur Findung eines alternativen Standortes für die Sonderausstellung unterstützt.“

Nur werden augenscheinlich – aus was für Gründen auch immer – die Frage nach der Nutzung des Kinosaals und die Zukunftskonzeption für die beiden Museen völlig miteinander verquickt. Der Kinosaal wird zum Zankapfel, ohne dass für die Zukunftskonzepte schon irgendetwas geklärt ist.

SPD-Antrag zur Wanderaustellung „Muslime in Deutschland“.

Stellungnahme des Sozialdezernats zum SPD-Antrag.

SPD-Antrag „Erarbeitung einer Zukunftskonzeption für die Gedenkstätte Museum in der ‘Runden Ecke’ und Schulmuseum bei der Weiterentwicklung unterstützen!‘.

Pressemitteilung des Bürgerkomitees Leipzig.

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Runde Ecke ist der authentische Ort der Friedlichen Revolution!
Im Streit um den Kinosaal zeigt sich eine große politische Frage: beide Einrichtungen, Schulmuseum und Runde Ecke, wollen und können sich entwickeln und beanspruchen den dazu nötigen Raum. Eine Abstimmung zur Nutzung der Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche war in den letzten Jahren nicht mehr erfolgreich.
Hierzu Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen: „Natürlich gilt die Nutzungsvereinbarung. Wir glauben aber nicht, dass Oberbürgermeister Jung (SPD) mit Bürgermeister Prof. Fabian (SPD) für die Durchsetzung den Stadtrat brauchen, wie von der SPD-Fraktion beantragt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird dem Antrag der SPD – Fraktion daher nicht zustimmen.“
Unabhängig davon fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiterhin die Schaffung der barrierefreien Zugänglichkeit in das Gebäude und die Umsetzung einer zeitgemäßen Ausstellungskonzeption für das Museum an der Runden Ecke. Mittel zur Entwicklung einer solchen Konzeption hatte der Stadtrat vor Jahren zur Verfügung gestellt.

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