Immer öfter gerät das Leipziger Ordnungsamt in die Schlagzeilen. Nicht weil es besonders emsig seine Arbeit tut und die Verkehrssicherheit in Leipzig kontrollieren würde. Gerade das tut es nicht. Aber immer öfter macht es auf seltsame Art Politik. Beim Katholikentag verweist es Moses vom Platz, immer wieder gewährt es rechten Demonstranten den halben Ring für ihre Umzüge. Jetzt will es den Vorsitzenden der Leipziger Grünen-Fraktion verurteilt sehen.

Wenn alles so stimmt, wie es Rechtsanwalt Jürgen Kasek berichtet, dann ist das zwar Quatsch. Dann kann auch ein Richter nur mit den Schultern zucken und fragen, ob im Leipziger Ordnungsamt derzeit die völlige Inkompetenz um sich greift.

Aber die Beharrlichkeit, mit der die Leipziger Stadtverwaltung diesen Fall verfolgt, ist schon erstaunlich. Werden da politische Hühnchen gerupft, wo man keine sachlichen Argumente mehr hat?

Noch spricht auch Kasek – der selbst Mitglied der Grünen und deren Landesvorsitzender ist – von der Möglichkeit, dass der eigentlich sehr ruhige Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat, Norman Volger, sich demnächst vielleicht vor Gericht wegen einer Ordnungswidrigkeit am 12. Dezember 2015 verantworten muss.

Der 12.12.2015 war der Tag, als rund 150 Personen aus der neonazistischen Szene in Leipzig aufmarschierten. Eigentlich sollten es laut Anmeldung zehn Mal so viele sein, die in einem Sternmarsch auf Connewitz marschieren wollten. Wenigstens den Sternmarsch untersagte ihnen das Leipziger Ordnungsamt, die Zielrichtung Connewitz aber nicht.

Was schon damals die Frage aufwarf: Wollte das Ordnungsamt die Provokation eigentlich unterstützen? Oder waren die dortigen Entscheider unfähig zu sehen, was so eine Provokation auslösen würde?

Da braucht man, wenn man ein bisschen Ahnung von Leipzig hat, nicht mal beim Verfassungsschutz anrufen: Wenn Rechtsextreme so einen Marsch direkt ins alternative Viertel ankündigen, dann wird die ganze linke Szene Gegenaktionen organisieren. Die friedlichen werden friedlich protestieren. Die unfriedlichen werden aus der Provokation eine Prügelei machen. Genau so ist es am 12. Dezember 2015 gekommen.

Das Häuflein Rechtsextremer kam gar nicht durch, sondern musste nach mehreren Verstößen gegen das Versammlungsrecht seinen Marsch abblasen. Dass dann die linksradikalen Gewalttäter anschließend die KarLi verwüsteten, überschattete die Tatsache, dass es rund um den Nazi-Aufmarsch eine Reihe kreativer und friedlicher Protestformen gegeben hatte. Auch das, wofür jetzt Norman Volger vor den Kadi wandern soll, war so ein friedlicher Protest – in diesem Fall lokalisiert beim beliebten Tanzschuppen Distillery.

„Volger befand sich zum Zeitpunkt des Aufzuges in der Distillery als dort durch den Eigentümer Musikboxen auf das Vordach gestellt und auf Ansage durch die Polizei wieder entfernt wurden. Musik wurde dann über die normale Außenanlage des Clubs gespielt“, berichtet Jürgen Kasek von dem, was da geschah. Was natürlich die aufmarschierten Rechtsradikalen störte, die mittlerweile gelernt haben, wie bereitwillig Polizei und Ordnungsamtsmitarbeiter auf ihre Anzeigen eingehen.

„Die Polizei untersagte daraufhin aber auf Wunsch der Neonazis das Abspielen von Musik gänzlich. Auf die Einwände, dass die Musik unterhalb der Lärmemissionsgrenze gewesen sei, reagierte die Polizei nicht. In der Folge wurden die Personalien von Norman Volger aufgenommen“, schildert Kasek den Hergang.

Das Verfahren wurde dann beim Ordnungsamt der Stadt Leipzig wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und ruhestörenden Lärm geführt.

Muss man sich merken: Wer Nazis ärgert, bekommt eine Anzeige wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses und ruhestörenden Lärms“ an den Hals.

„Trotz des Hinweises, dass die Lautstärke gemessen worden sei und Eigentümer der Anlage Steffen Kache ist, wurde das Verfahren gegen Norman Volger weiter betrieben und liegt derzeit bei der Staatsanwaltschaft“, berichtet Kasek. Und: „In der Akte befindet sich ein Vermerk, aus dem hervorgeht, dass die Einlassung von Norman Volger unglaubwürdig sei, da Herr Kache und er zusammen in einer Stadtratsfraktion seien und die ‚politische Gesinnung‘ von Volger als Stadtrat der Grünen ja klar sei.“

Da haben wir vorsichtshalber doch noch mal nachgeschaut, aber Steffen Kache ist eindeutig kein Mitglied der Grünen-Fraktion.

Und wenn jetzt die „politische Gesinnung“ von Grünen-Mitgliedern schon Anlass für einen juristischen Verdacht ist, dann läuft wirklich etwas falsch im Land. Egal, von wem die Notiz stammt – ob von einem in seiner Ruhe gestörten Rechtsextremen oder von einem Leipziger Ordnungsamtsmitarbeiter.

„Es ist verwunderlich, dass die Stadt trotz des deutlichen Hinweises darauf, wer Eigentümer und damit Verhaltens- und Zustandstörer im Sinne des Polizeirechtes war, nur gegen den Helfer vorgeht“, erklärt Rechtsanwalt Jürgen Kasek. „Schon aus Gründen der Sorgfaltspflicht hätte das Verfahren im Zweifelsfall gegen beide Personen angestrebt werden müssen. Das Verfahren gegen den Eigentümer ist inzwischen verfristet. Ebenso überrascht es, dass die Hinweise auf die Lärmgrenzen nach TA Lärm und das Recht des Eigentümers mit seinem Eigentum nach Art. 14 GG im Rahmen der Gesetze zu verfahren ins Leere gehen.“

Nachdem die Stadt das Verfahren ohne weitere Prüfung bearbeitet hat, entscheidet nunmehr die Staatsanwaltschaft über den weiteren Gang des Verfahrens. Man kann gespannt sein, zu welcher Entscheidung der Staatsanwalt kommt.

Aber der Verdacht, dass im Leipziger Ordnungsamt seltsame Dinge vor sich gehen, hat sich deutlich verstärkt. Denn für eines ist diese Behörde auf keinen Fall zuständig: Mutmaßungen über politische Gesinnungen abzugeben.

„Ich bin verwundert darüber, dass das Ordnungsamt offenbar eine ‚politische Gesinnung‘ als ausreichend für Ordnungswidrigkeitenverfahren wertet obwohl der zuständige Ordnungsbürgermeister der Linken auf das Problem hingewiesen wurde“, so Volger. Seine Vermutung, warum es zu solchen Ausfällen kommt: „Offensichtlich ist das Amt überarbeitet und prüft die eingegangenen Fälle nicht. Dies deckt sich auch mit den Erfahrungsberichten von vielen Menschen, die im Zuge der Proteste gegen LEGIDA mit Bußgeldbescheiden wegen unerlaubter Ansammlung konfrontiert wurden. Bei einem Großteil der Fälle wurden die Verfahren später kostenpflichtig eingestellt.“

Heißt im Klartext: Die Behörde produziert Berge völlig sinnfreier Arbeit für die Gerichte. Und augenscheinlich fehlt im Amt mittlerweile die nötige Kontrolle.

Es reiche eben nicht aus, neue Mitarbeiter im Ordnungsamt einzustellen, wie Oberbürgermeister Jung vollmundig verlauten ließ, sondern die vorhandenen strukturellen Probleme müssten gelöst werden, betont Kasek.

Es sieht ganz so aus, als wäre der Leiter des Ordnungsamtes völlig überfordert. Oder sein Vorgesetzter, Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal.

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