Leipzigs Grüne wollen nicht warten, bis aus einer eher wattigen Diskussion um die „Zukunftsstadt“ Leipzig mal irgendwelche Ideen kommen. Sie haben sich schon mal zusammengesetzt und ihre Vorstellungen aufgeschrieben, was jetzt dran wäre, Leipzig zukunftsfähig zu machen. Am Montag, 23. Mai, trafen sie sich in der Galerie KUB und haben das gleich mal für sich beschlossen: „Leipzig wächst Grün!“

Denn auch wenn Verwaltungen gern so tun, als müsste die Zukunft erst erfunden werden, trifft das gerade auf Leipzig nicht zu. Die Probleme liegen auf dem Tisch – auch wenn sie in den alljährlichen Bürgerumfragen so nicht auftauchen. Das ist ein Denkproblem: Eine nachhaltige Zukunft ist keine Mehrheitsentscheidung, so seltsam das etlichen Workshop-Teilnehmern vorkommen mag.

Und nachhaltig muss Leipzigs Zukunft sein. Das hat sogar OBM Burkhard Jung mehrfach formulieren lassen und unterschrieben: In seiner ersten Arbeitsagenda, in seiner zweiten (die bis 2020 gilt), in der „Leipzig Charta“. Denn die Art Stadt, wie wir sie heute haben, ist nicht zukunftsfähig. Sie frisst zu viel Energie, und zwar vor allem zu viel fossile Energie. Sie geht völlig unökonomisch mit wertvollem Stadtraum um. Sie ist zerstörerisch für das soziale Zusammenleben. Sie ist zu laut, nicht generationenfreundlich genug, schlecht finanziert sowieso.

In vielen Bereichen sind die Lösungen ziemlich zwangsläufig so ähnlich, wie das die Grünen jetzt für sich mal kompakt zum Beschluss gemacht haben.

„Unser Leitgedanke ist klar: Wir wollen eine soziale, ökologische und vielfältige Stadt“, sagt Christin Melcher, Vorstandssprecherin der Grünen, zu diesem Beschluss.

Das Hauptproblem, das Leipzig hat: Es ist keine reiche Stadt. Es kann nicht einfach genauso chaotisch wachsen, wie es wirklich reiche Städte wie München oder Frankfurt tun. Es ist eigentlich zwingend darauf angewiesen, all seine mageren Ressourcen zu bündeln, und in möglichst allen Stadtteilen ein Wachstum zu ermöglichen, das für die Einwohner der Stadt bezahlbar ist.

Dass das jetzt schon hängt, ist am Wohnungsbau sichtbar. Nicht nur die gestiegenen Immobilienpreise haben dafür gesorgt, dass unter 10,50 Euro Kaltmiete je Quadratmeter eigentlich kein Wohnraum mehr gebaut werden kann. Das ist das Doppelte des durchschnittlichen Leipziger Mietniveaus. Und leisten können sich das nur noch Besserverdiener. Im Ergebnis werden nicht einmal die Hälfte der jährlich benötigten 5.000 neuen Wohnungen gebaut.

Ergebnis, wie die Grünen feststellen: „Die Schlagwörter Entmietung und Gentrifizierung sind allgegenwärtig. Das Thema Wohnen ist eines der zentralsten: Wie muss der soziale Wohnungsbau gestaltet werden, wie können wir die Wohnungsbaukapazität von 5.000 Wohnungen jährlich erreichen und ökologisch sozial gestalten, wie können Freiräume erhalten bleiben – das sind Fragen, auf die wir dringend Antworten brauchen.“

Aber nicht nur der Wohnungsmarkt ist dabei, völlig in die Sackgasse zu geraten. Man muss nur aus dem Fenster sehen, um das nächste Problem wahrzunehmen: zugeparkte Straßen. Und es gibt nicht ansatzweise eine Idee in Leipzigs Politik, endlich ein Verkehrssystem zu schaffen, das in der Lage ist, die Bedürfnisse der wachsenden Stadt zu erfüllen. Natürlich gehört dazu ein wirklich zukunftsfähig gedachter ÖPNV.

Christin Melcher: „Ökologische Mobilität muss ausgebaut werden, Grünflächen und Baumbestände müssen erhalten oder neu erschlossen werden, Bildungsangebote müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden, Altersgerechtigkeit und flächendeckende Gesundheitsversorgung muss langfristig sichergestellt werden. Wir wollen eine Stadt der kurzen Wege, in der alle sich wohl fühlen, leben und arbeiten können.“

Wie breit allein dieses Thema gedacht werden muss, machen die Grünen deutlich, wenn sie nicht nur über Parkraummanagement und autofreie Zonen nachdenken, sondern auch über Taktfrequenzen, Haltestellendichte und Tangentialverbindungen, Tarifgestaltung und Finanzierung des ÖPNV. Denn die Fahrgastzahlen des ÖPNV müssen 2030 verdoppelt werden, sonst erstickt die Stadt am Autoverkehr.

Genauso muss über mehr Attraktivität des Radverkehrs nachgedacht werden und über komfortable Gehwege.

Wenn das Wachstum Leipzigs weiterhin derart lasch einfach „dem Markt“ überlassen wird, werden viele Dinge verschwinden, die bislang die Attraktion der Stadt ausgemacht haben. Noch vor wenigen Jahren feierte selbst die überregionale Presse, mit welcher Phantasie junge und kreative Leute die alte Industriebausubstanz in Leipzig wieder bespielbar gemacht haben. Aber immer mehr häufen sich Nachrichten, wie sie jetzt von neuen Eigentümern „entmietet“ werden. Geld regiert auch Leipzig. Und die Stadt hat nicht mal den Ansatz einer alternativen Strategie: „Wie können Freiräume für Initiativen, Kreative und Kleingewerbe erhalten und geschaffen werden?“, fragen die Grünen.

Und sie machen sich auch Sorgen um die ganz simplen Investitionsprojekte für die sich verjüngende Stadt. Bei Kitas und Schulen hängt Leipzig um Jahre dem wachsenden Bedarf hinterher.

Von echter gesellschaftlicher Teilhabe kann für ein Viertel der Leipziger gar keine Rede sein, stellen die Grünen fest: „Noch immer ist in Leipzig jeder vierte Erwachsene und jedes dritte Kind von Armut betroffen – ein großer Teil von ihnen konzentriert sich in einzelnen Stadtteilen. Wir wollen eine sozial gerechte Stadtentwicklung, die darauf abzielt, soziale Ungleichheiten abzubauen und alle Stadtteile vielfältig zu gestalten.“

Und noch einen zweiten Beschluss haben die Grünen gefasst: Sie haben die bündnisgrüne Stadtratsfraktion beauftragt, sich für eine Divestment-Strategie der Stadt Leipzig einzusetzen. Sie fordern im Antrag das Finanzdezernat der Stadt Leipzig dazu auf, Investitionen in Finanzanlagen zu stoppen, die der fossilen Energiegewinnung zugutekommen.

„Die Klimaverhandlungen von Paris haben deutlich gemacht: das fossile Energiezeitalter muss zu Ende gehen. Unternehmen, die auf Basis der Energiegewinnung aus Kohle und Erdöl wirtschaften, sollten deshalb nicht mit Geldern der Stadt Leipzig unterstützt werden. Alles andere ist nicht rentabel und nicht nachhaltig“, erklärt Vorstandssprecher Lorenz Bücklein.

Die Grünen fordern deshalb, dass die Stadt Leipzig ihre Finanzanlagen und Pensionsfonds in einem ersten Schritt überprüft. In einem zweiten Schritt soll das Finanzdezernat eine kommunale Richtlinie erarbeiten, um klimaschädliche Investitionen in der Zukunft auszuschließen. Vorbild kann hierbei die Stadt Münster sein, die bereits den Weg des Divestments eingeschlagen hat. Bücklein: „Fossile Brennstoffe müssen delegitimiert werden. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien. Wir wünschen uns in diese Richtung ein klares Zeichen der Stadt Leipzig.“

Grünen-Beschluss „Leipzig wächst grün“.

Grünen-Beschluss zu Divestment.

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“Nachhaltig” ist irgendwie auch zu einem neuen Modewort verkommen.

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