LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 30Adam Bednarsky ist im März zum neuen Stadtverbandsvorsitzenden der Leipziger Linken gewählt worden. Der 35-jährige Vater von zwei Kindern, Politologe und Historiker spricht im exklusiven Interview mit der LZ über das Thema Prekariat und die damit verbundenen Folgen für die Gesellschaft.
Herr Bednarsky, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Das Vermögen der Deutschen ist mehr als ungleich verteilt, das Einkommen im Osten immer noch weit unterm bundesweiten Durchschnitt.
Für die Leute, die sich am unteren Ende der Einkommensstufe befinden, ist es besonders dramatisch, speziell im Osten. Die letzten Wahlergebnisse sind meiner Meinung nach auch eine direkte Folge dieser Entwicklung. Seit der Wende gibt es besonders hier viele Menschen, die in einer wirtschaftlich prekären Situation leben, die sich dort einrichten mussten – siehe Hartz IV oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Dies trifft leider auch besonders auf Leipzig zu.
Dabei ist Leipzig doch die „Boomtown“ des Ostens.
Das stimmt nur bedingt, denn der wirtschaftliche Aufschwung geht doch an vielen Menschen vorbei. Nehmen wir z. B. Porsche, wo eine Gratifikation von 8.911 EUR an die Mitarbeiter ausgezahlt wurde. Das verdienen manche Menschen hier im ganzen Jahr. Den Porsche-Arbeitern sei dies gegönnt, wir fragen uns aber: Wo bleiben die Gratifikationen für Millionen, die ebenfalls einen harten Job machen? Wir fragen erst recht: Wo bleibt die höhere Besteuerung derjenigen, die mit einem einzigen Aktien- oder Immobilienverkauf mehr verdienen als die Normalbürger im ganzen Leben? Da läuft doch was schief.
Geht das nicht auch mit einer gewissen Frustration einher?
Wir haben es hier mit einer großen Enttäuschung und tiefen Frustration zu tun, die sich auch im politischen Verhalten, z. B. bei Wahlen niederschlägt. Diese Enttäuschung befördert das Anwachsen des Rechtspopulismus, von rassistischen Stimmungen in der Gesellschaft, sogar von Gewalt – sei es gegen Sachen oder Menschen. Es führt insgesamt zu einem gesellschaftlichen Klima, in dem Ängste und Sorgen geschürt werden. Auf dieser Welle schwimmt z. B. die AfD derzeit sehr erfolgreich. Dagegen mit rationalen Argumenten anzugehen, ist sehr schwierig. Das ist eben auch eine Folge der unsozialen Politik der letzten 20-30 Jahre.
Ist das also eine Folge des sogenannten Neoliberalismus?
Der Mensch ist nur noch für den Markt da, Tag und Nacht. Es gibt kaum noch Rückzugsmöglichkeiten, weil man permanent mit der Vermarktung der eigenen Arbeitskraft befasst ist. Dabei ist die AfD z. B. auch nur eine marktradikale Partei. Da muss man in Sachsen-Anhalt nur mal in deren Wahlprogramm schauen. Die versuchen auf einer emotionalen Ebene, Wählerinnen und Wähler abzufischen.
Wie will man das verhindern?
In keinem Land der Eurozone ist die Vermögensungleichheit höher als in der BRD. Das Problem ist inzwischen fast so groß wie in den USA. Und das sagt nicht Die Linke, sondern der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft Marcel Fratzscher in seinem neuen Buch. Wir müssen endlich weg von der Politik des „Wohlstands für wenige“, und der sozialen Frage, der Chancengleichheit viel mehr Platz einräumen.
Das betrifft auch die Flüchtlingsthematik?
Es ist richtig und humanitär, wenn wir diese Menschen aufnehmen. Das bedeutet aber auch, dass sie aktiv in diese Gesellschaft integriert werden müssen. Das fängt bei der würdigen Unterbringung an. Das geht bei den Kitaplätzen in Leipzig weiter, was ohnehin schon ein sensibles Thema ist. Dann geht es bei den jungen Leuten, die herkommen, weiter. Je früher sich um die Kinder und Jugendlichen gekümmert wird, umso besser. Ausländische Kinder in unseren Kitas lernen innerhalb von ein bis zwei Jahren nahezu perfekt Deutsch. Also müssen Kita- und Schulplätze mit DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache, Anm. d. R.) her. Und wo bleibt das Projekt sozialer Wohnungsbau? Auch da hat die Bundespolitik über viele Jahre versagt und ist jetzt in der Bringschuld.
Glauben Sie, dass die Menschen darauf reagieren würden?
Wenn wir das aktiv, politisch glaubhaft vorantreiben, bin ich sicher, dass die Menschen den rechten Parolen weniger folgen würden. Wobei ich glaube, dass zwischen der AfD und der NPD schon noch Unterschiede bestehen. Die AfD kann man nicht als rein rechts bezeichnen. Wegen der AfD-Wahlerfolge muss sich auch die Linke selbstkritisch an die eigene Nase fassen. In dem sicheren Vertrauen, dass man uns weiter wählt, haben wir nachgelassen. Wir tun uns auch zunehmend schwer damit, speziell die Sprache in diesem Milieu zu bedienen. Beispiel Halle-Neustadt: Das war mal eine Bastion der Linken. Dort wurde jetzt am 13. März der AfD-Direktkandidat mit 31 % gewählt. Und CDU und DIE LINKE waren mit 23 % der Erststimmen abgeschlagen. Das gibt mir persönlich sehr zu denken. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, glaubwürdig vor Ort präsent sein, besser zuhören und mit einer klaren, sozialen Politik antworten.
In Sachsen sind seit 26 Jahren CDU, SPD bzw. vormals FDP an der Regierung. Ist es angesichts der „Quasi-Untätigkeit“ gegenüber den zunehmend rechten Tendenzen ein Wunder, dass die Situation so ist, wie sie ist?
Sachsen bedeutet vielfach politischen Stillstand. Stanislaw Tillich brachte es vor der Wende bekanntlich in Kamenz bis zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises. Er war alles andere als ein Widerstandskämpfer. Nach der Wende hat er sich nur einfach mal gedreht und weiter Staatspartei gespielt. Es erwächst bei mir der Eindruck, dass wir es in der sächsischen Staatsregierung vornehmlich mit technokratischen Verwaltungsmenschen zu tun haben, die einfach in unterschiedlichen politischen Systemen dienen, ohne die realen Zustände einer Gesellschaft wahrzunehmen bzw. resistent sind gegen jedwede Kritik – früher wie auch heute. Wenn dann die Zivilgesellschaft seit Jahren anmahnt, dass wir ein Rassismus- und Nazi-Problem gerade in Sachsen haben – passiert erst einmal wenig. Egal ob eine NPD im Landtag sitzt oder nicht. Jetzt, nach 26 Jahren hat selbst Herr Tillich erkannt, dass es ein Problem mit Neonazis gibt. Das ist doch ein verheerendes Armutszeugnis. Das durchzieht alle Ebenen der sächsischen Administration, wo die CDU seit einem Vierteljahrhundert genehme Leute einsetzen kann. Nehmen wir mal das Beispiel Justiz. Ich bin selbst Zeuge und Betroffener eines Überfalls von etwa 50 Neonazis auf ein Fußballspiel in Brandis gewesen. Leider war keine Polizei vor Ort. Es konnte aber zum Glück per Video der anwesenden Medien nachgewiesen werden, wer die Angreifer waren.
Worauf wollen Sie damit hinaus?
Dass z. B. bei den folgenden Verhandlungen in Grimma solange gedealt wurde, bis die Typen zum großen Teil wieder frei aus dem Gerichtssaal spazieren konnten. Es ist überhaupt nichts passiert. Da bleibt die Frage, wie das auf solche Menschen wirkt. Die organisieren sich, überfallen andere Menschen, und am Ende gibt es keinerlei Konsequenzen. In unserem Freistaat Sachsen hat sich ein konservativer Mehltau über gravierende gesellschaftliche Probleme wie z. B. den Neonazismus gelegt. Aber Hauptsache, die schwarze Null in Dresden steht; im Haushalt. Die politische Außenwirkung ist katastrophal. Und auch das ist Sachsen.
Wirkt sich das auch auf das Verhalten der Polizei, z. B. bei Demos aus?
Mein Eindruck ist, dass auch Teile der sächsischen Polizei klare Feindbilder haben, zu denen u. a. alternative Strukturen wie in Leipzig-Connewitz zählen. Natürlich sagt die Staatsregierung, „Gut, wir haben ein Problem mit dem Rechtsextremismus, aber guckt euch mal Connewitz an, das ist ein richtiges Problem“. Damit wird wieder relativiert, und am Ende führt die völlig irrige Gleichsetzung von links und rechts dazu, dass v. a. das Engagement gegen rechts verdächtig erscheint. Defizite zeigen sich bereits in der Polizeiausbildung, wo die politische Bildung in Sachen Demokratie sehr zu wünschen übrig lässt und stark reduziert worden ist. Das hat mir übrigens ein Polizeigewerkschafter gesagt.
Dieser Artikel erschien am 08.04.16 in Ausgabe 30 der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier zum Nachlesen für die Mitglieder in unserem Leserclub.
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