Eigentlich geht es schon lange nicht mehr um den Nachweis des Klimawandels. In den letzten 30 Jahren sind die Temperaturen nicht nur in der Region Leipzig zwischen 0,5 und 1,5 Grad angezogen, gibt es mehr heiße Tage, weniger Frosttage. Und die Frage steht: Halten das die Bewohner der hitzegeplagten Großstadt eigentlich aus? Gerade deshalb kurvte 2014 ein silbergrauer Kleinbus durch Leipzig.
Den hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) abgeordnet, um in zwei großen Schleifen durch Leipzigs Norden und Leipzigs Süden zu messen, wie sich die Temperaturniveaus im Stadtgebiet eigentlich unterscheiden. Hätte ja sein können: Überall ist an windstillen Tagen dieselbe Bruthitze, eine Ausflucht nicht möglich, alles Rätselraten für eine klimatische Abkühlung der Stadt für die Katz.
Eigentlich waren es drei verschiedene Aufgaben, mit denen der DWD mit seinen Leipziger Projektpartnern UfZ, Troposphärenforschungsinstitut und den Meteorologen der Uni Leipzig im Frühjahr 2014 begann, das Leipziger Stadtklima genauer unter die Messfühler zu nehmen. Da hatte Leipzig schon ein paar der wärmsten Sommer seiner Geschichte hinter sich – 2003, 2006, 2008, 2010 … Die Bewohner gerade der hitzeaufgeladenen Innenstadt wussten, was das bedeutete, wenn auch noch in tropischen Nächten das Thermometer nachts nicht unter 20 Grad fiel, die Hitze regelrecht stand in den Straßen und in den Wohnungen.
Nicht nur Leipzig hat das Problem. Anderen Großstädten geht es genauso. Aber Leipzig war mit am schnellsten, als nach einem Kandidaten für die aufwendigen Messungen gefragt wurde. Immerhin sollte nicht nur punktuell gemessen werden – das tut ja der DWD sowieso schon am Flughafen Leipzig/Halle und in Holzhausen. Es sollte erstmals deutlich detaillierter im Stadtgebiet gemessen werden. Dazu wurden extra drei temporäre Messstationen aufgebaut – eine an der Hauptfeuerwache, eine auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz und eine auf einem Sportplatz in der Nähe der Neuen Luppe, also mitten im Auegebiet.
Dazu kam dann das silbergraue Messmobil, das an wolkenfreien und möglichst windstillen Tagen seine jeweils 19, 20 Kilometer langen Touren durchs Stadtgebiet fuhr. Und an drei Punkten wurde dann auch noch der Wind gemessen – der in Gebäudehöhe und der in einigen 100 Metern Höhe. Und das war es, was die Forscher vom DWD am Montag, 14. März, als ersten Teil ihrer selbstgestellten Aufgabe berichteten. Die gesamten Messungen zu Temperatur und Wind stecken in einem 133-Seiten-Bericht für Bürgermeister Heiko Rosenthal. Damit muss er arbeiten, wenn nun die nächsten Planungen zu Freiflächen, Begrünungen, Luftschneisen usw. erstellt werden. Er hat jetzt ziemlich gute Argumente in der Hand, seine Positionen in den Verhandlungen mit anderen Dezernaten zu verteidigen.
Denn eines ist jetzt messbar festgestellt: Wenn kein Wind weht, leiden die Bewohner der dicht bebauten Stadt. Dann brütet die Hitze auch deshalb, weil Leipzig im dicht bebauten Stadtgebiet die natürlichen Lüftungskanäle fehlen.
Einen hat Leipzig – und der fiel auch bei den Messfahrten des DWD-Mobils deutlich auf: Das ist die Elster-Pleiße-Aue mit dem Auewald. Und diese grüne, kühle Lunge fiel sogar gleich zwei Mal auf. Einmal direkt bei den Fahrten in heißer Mittagsstunde, etwa am 17. Juli 2014, als die meisten Stadtquartiere bei Temperaturen von 29 bis 31 Grad Celsius glühten, die Messfühler des Fahrzeugs beim Einfahren in den Bereich der Aue aber sofort einen Temperaturabfall auf 25 bis 27 Grad Celsius messen konnten. Es ist also nicht nur Einbildung, wenn Leipziger bei Hitze in den Auwald fliehen und das Gefühl haben, dass es dort merklich kühler ist – es ist tatsächlich so. Wobei wahrscheinlich beide Elemente eine Rolle spielen: die stärkere Bewaldung und die Nähe von Wasser.
Aber nicht nur in brütender Mittagsstunde zeigt die Aue ihre wichtige Funktion als Regulator, auch in der heißen Sommernacht. Schon in den frühen Abendstunden macht sich das bemerkbar, fällt die Temperaturkurve deutlich steiler und bis in die frühen Morgenstunden auch deutlich tiefer als im bebauten Stadtgebiet. Das sind die Messdaten von der Messstation auf dem Sportplatz in der Elsteraue. Hier wurden zwar tagsüber (die Messstation stand ja völlig frei) fast dieselben Temperaturen gemessen wie in der Innenstadt (Unterschied in der Regel nur 1 Grad), dafür war die Differenz in der Nacht mit 7 Grad deutlich messbar.
Die grüne Lunge funktioniert also – aber halt nur für sich. Auf das dicht bebaute Stadtgebiet hat sie kaum eine Wirkung, auch in der Nacht nicht, wenn sich überm Elstertal zwar ein eigener kleiner kühler Wind aufbaut, aber nicht über der Stadt, wo sich die Luftmassen bestenfalls zaghaft in Bewegung setzen und eher kompakt und warm durch die Straßenschluchten schleichen. Die Wetterforscher konnten diese nächtlichen Strömungen zwar nachweisen, staunten auch, dass sie so völlig konträr zur üblichen Leipziger Windrichtung aus Südwest flossen. Aber eine ernsthafte Abkühlung bringen diese Strömungen nicht mit sich, erklärt Kristin Hoffmann, die das Leipziger Projekt für den DWD bearbeitet.
Da hilft es auch nichts, wenn sich an warmen Tagen – wie am 5. Juni 2015 -in 150, 170 Meter Höhe etwas stärkere Windströmungen ausprägen. Sie schwächen sich – je näher man der Erdoberfläche kommt – immer weiter ab. Denn die dichte Bebauung sorgt dafür, dass die Bodenwinde sich brechen und kaum noch als abkühlende Strömung fassbar werden.
Was natürlich einige Rätsel stellt, wie man da die Stadt für künftige heiße Sommer eigentlich aufrüsten will. Das wird eine Herausforderung für Architekten und Städteplaner. Und für die Kämpfer um städtisches Grün ebenso. Denn ein Ergebnis kann Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal aus dieser ersten Etappe des Projekts auf jeden Fall mitnehmen: Bäume sind das A und O. Zwar sind die deutlichsten Ausschläge bei den Durchfahrten durch die Pleiße-Elster-Aue zu verzeichnen gewesen. Aber eine messbare Abkühlung im Bereich von 1,5 bis 2 Grad gab es auch noch bei der Durchfahrt durch das Rosenthal mit Parthe, Auenwald und Zoo.
Weitere Flussläufe wird der Bürgermeister (außer in der Westvorstadt) ja nicht mehr freilegen können. Aber er kann das Pflanzprogramm für Straßenbäume, Parks und Stadtwälder forcieren. Plus die Durchgrünung von Plätzen und Innenhöfen, was wieder ein Thema für private Gebäudebesitzer ist. Denn sie haben es in der Hand, die Innenhöfe (wieder) zu bepflanzen, Fassaden und Dächer zu begrünen.
Die gute Nachricht: Das Projekt wird weitergehen. Einmal mit den nächsten Projektschritten. Dazu gehören die Berechnungen zu Kalt- und Warmluft-Abfluss-Systemen, die Berechnung zur thermischen Belastung im Stadtgebiet und eine Sonderauswertung zu Starkniederschlagsereignissen. Das braucht noch einige Monate und Jahre.
Aber es wird auch weiter gemessen. Im Herbst wird die bislang mobile Messstation an der Hauptfeuerwache in eine fest installierte Dauer-Messstation des Deutschen Wetterdienstes umgewandelt. Damit kann man nun auch langjährige Messreihen direkt aus der warmen Innenstadt bekommen. Nach Berlin (wo es eine solche Station schon am Alexanderplatz gibt) ist Leipzig eine der ersten deutschen Großstädte, die so eine Station bekommen. Weitere acht werden noch einbezogen.
Übrigens hat auch der Freistaat Sachsen das Projekt unterstützt. Dort hatte man bislang auch nur Messergebnisse für das (freie) Land. Mit den Leipziger Ergebnissen bekommt man jetzt erstmals Informationen über das innerstädtische Klima einer Großstadt mitten im beginnenden Klimawandel.
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Da schickt der DWD ein silbergraues Messmobil in die Stadt, deren Insassen bestimmt CO2-neutral auf 19°C gekühlt werden, um irgendwelche Temperaturmessungen durchzuführen. Der Sinn des Ganzen erschließt sich mir nicht.