Sie haben sich tatsรคchlich etwas gedacht, als sie ihre Kundgebung fรผr den heutigen Montag, 1. Februar, auf dem Platz vor dem Leipziger Naturkundemuseum anmeldeten, auch wenn es verblรผfft und man die Evangelische Studierendengemeinde eher vor der Thomaskirche erwartet hรคtte. Aber fรผr diese jungen Studierenden sind Glauben und Wissenschaft kein Widerspruch. Womรถglich zum รrgernis der Leipziger Ordnungsbehรถrden.
Denn ihre Demonstration โMuseumsvielfalt in Leipzig erhaltenโ am heutigen Montag, 1. Februar, von 18 bis 19:45 Uhr vor dem Naturkundemuseum hat Leipzigs Ordnungsbehรถrde kurzerhand auf den Marktplatz verfrachtet.
โDie Versammlungsbehรถrde der Stadt Leipzig hat uns mitgeteilt, daร die Kundgebung am geplanten Ort nicht stattfinden darf und statt dessen auf den Marktplatz verlegt werden solleโ, teilt Frank Martin fรผr die Evangelische Studierendengemeinde Leipzig mit. โBei allem prinzipiellen Verstรคndnis fรผr die Situation der Behรถrde und der Sicherheitskrรคfte sind wir โ da der Ort wesentlich mit dem Anliegen der Kundgebung verbunden ist โ mit dieser Verlegung nicht einverstanden. Auf keinen Fall werden wir einer Verlegung zustimmen oder die Kundgebung verlegen. Wenn sie an diesem Ort nicht stattfinden darf, ist das fรผr uns ein Anzeichen dafรผr, daร in unserer Gesellschaft etwas nicht stimmt. Denn damit stehen Kundgebungen, die sich nicht gegen etwas richten, sondern Fragen des gemeinschaftlichen Miteinanders in den Mittelpunkt stellen wollen, in diesen Zeiten unter einem Generalverdacht.โ
Zuletzt hatte die die Leipziger Ordnungsbehรถrde sogar die Legida-Pegida-Demonstration am 11. Januar auf den Platz am Naturkundemuseum kundgeben lassen, weil die komplette Innenstadt fรผr die Lichterkette reserviert war und damit auch der Lieblingsplatz der Leipziger Fremdenfeinde, der Richard-Wagner-Platz, nicht verfรผgbar war. Diesmal dรผrfen die Demokratiefeinde den Richard-Wagner-Platz wieder mit ihrem aufklรคrungsfeindlichen Auftritt belegen und danach noch um die halbe Innenstadt ziehen. Der Platz vorm Naturkundemuseum wรคre eigentlich frei, um hier ein deutliches Zeichen nicht nur gegen die Unbelehrbarkeit und Wissensfeindlichkeit von Legida zu setzen, sondern auch mal zu zeigen, worum es eigentlich geht: um Wissen. Auch um Wissen um naturwissenschaftliche Zusammenhรคnge und um Vielfalt als notwendige Grundvoraussetzung fรผr Leben. โVielfalt statt Einfaltโ, wie es Martin ausdrรผckt.
Aber das Naturkundemuseum ist ja bekanntlich ein Stein des Anstoรes. Und viele Leipziger befรผrchten zurecht, dass die Verlegung des Museums in die Baumwollspinnerei der Anfang vom Ende fรผr das so wichtige Museum ist.
Frank Martin: โMuseen sind wichtige Orte, um Menschen mit Fremdem vertraut zu machen. Vergangenes vergegenwรคrtigen sie und Fernes bringen sie nahe. Museen sind Orte des kulturellen Gedรคchtnisses und der Bildung, die immer auch Selbstbildung ist. Damit dienen Museen der Humanisierung der Gesellschaft. Museen gehรถren ins Herz der Stadt.โ
Aber genau diese Botschaft wurde vom Ordnungsdezernat entweder nicht verstanden oder รผberhaupt wahrgenommen. Oder sie wurde sehr wohl wahrgenommen, und dann passt die Anordnung der Ordnungsbehรถrde natรผrlich in den trรผben Geist der Zeit. Dann wird so ganz beilรคufig sichtbar, wofรผr man in Teilen der Stadtverwaltung ganz bestimmt nicht demonstriert sehen mรถchte. Schon gar nicht mit dieser deutlichen Botschaft an die gegenรผber demonstrierende moderne Einfรคltigkeit.
Mit feinem Gespรผr haben die evangelischen Studierenden hier das Problem einer von Konsum und Reizรผberflutung geplagten Gesellschaft erkannt, die mit differenziertem und gesichertem Wissen und komplexen Zusammenhรคngen (wie in der Natur, Stichwort: Biodiversitรคt) nichts mehr anfangen kann oder will. Hinter der lauten Fremden- und Demokratiefeindlchkeit wird auch eine ebenso radikale Bildungsfeindlichkeit sichtbar. Und indem Leipzigs Verwaltung genau diesem Moment auch noch Vorschub gibt, zeigt sie natรผrlich eine ihrer sensiblen Stellen, die in der Diskussion um die Verlegung des Naturkundemuseums immer vorsichtig zugedeckt wurde.
Und wenn nur 50 junge Studierende am heutigen 1. Februar vorm noch existierenden Naturkundemuseum fรผr Wissen, Bildung und Vielfalt demonstriert hรคtten, wรคre das ein mehr als wichtiges Zeichen in einer vรถllig entgleisten gesellschaftlichen Diskussion, in der wissenschaftliche Argumente mittlerweile fast vรถllig fehlen und selbst gestandene Politiker den grummelnden Vorurteilen vom rechten Rand hinterherjagen, die keine fundierte Diskussion mehr zulassen. Und auf einmal treffen sich bildungsfremde Bรผrokratie und Bildungsunwille auf der Straรe. Das nennt man wohl ein seltsames, aber vielleicht nicht unerwartetes Schreiten-Seit-an-Seit.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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Wir kรถnnen ja mal gespannt sein, ob das Ordnungsamt es fertig bringt, die Studenten vorm Naturkundemuseum vermรถbeln zu lassen nach den Regeln positiven Unrechts.
Vielleicht bekommt Putin auf Vorschlag des Ordnungsamts auch von der Stadt Leipzig so einen Ordenโฆ