Was ist Leipzig eigentlich? Ein hipper Flicken auf der Landkarte? Eine Art Geheimtipp fürs Partyvolk? Eine gut platzierte Marketing-Duftmarke? Wahrscheinlich nichts von alledem. Aber wie werden wir an dieser Stelle den fürs Marketing Verantwortlichen in dieser Stadt erklären, dass die Stadt trotz ihres verqueren Marketings attraktiv ist? Auch für junge Leute?
Ein bisschen in den Zahlensalat geschaut, den der Lehrstuhl für Marketing und internationalen Handel der Technischen Universität Bergakademie Freiberg im Auftrag der Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH erhoben hat. Die Studie „Leipzig als Marke für die junge Zielgruppe“ untersuchte vom Dezember 2014 bis zum Januar 2015 die Wahrnehmung von Leipzig bei Besuchern bis zu 35 Jahren. Die knapp 600 Befragten, darunter in der Mehrzahl Studenten, wurden online zu ihren Assoziationen zu Leipzig und zu ihrem Reiseverhalten befragt.
Also eine Menge Einschränkungen vorneweg: Es wurden vor allem Studenten befragt. Und das auch noch online. Das hat mit repräsentativ nichts zu tun. Und dabei wäre es eine ideale Chance gewesen, einen der wichtigsten Wanderungs- und Großstadttrends in Mitteldeutschland näher zu beleuchten.
Aber die stille Einsicht am Rande ist: Beide Projektpartner haben das Thema verpennt.
Das Ergebnis ist entsprechend schräg. Denn es kommt nicht allzu viel Erhellendes dabei heraus, wenn Touristiker versuchen zu erfragen, warum es ausgerechnet Studenten in die Universitätsstadt Leipzig zieht. (Dass es auch das Land Sachsen nicht interessiert, gehört wohl zum Dilemma der Stunde.)
Erste Erkenntnis: Das ganze teure Leipzig-Marketing hat mit der eigentlichen Zuwanderungsgruppe gar nichts zu tun.
Laut Studie wurde ein Großteil der Befragten durch Freunde oder die Familie auf die Stadt aufmerksam. “Leipzig wird bei jungen Leuten von außen vor allem als hippe Universitätsstadt wahrgenommen, in der es ein breites Kulturangebot und eine aktive Kneipenszene gibt. Wer Leipzig kennt, verbindet mit der Stadt zudem ein außergewöhnliches Flair sowie das Völkerschlachtdenkmal. – Befragte, die noch nie in Leipzig waren, assoziieren damit eher Ostdeutschland und ein historisches Stadtbild. Junge Leute informieren sich vor dem Reiseantritt vor allem im Internet und im Social Media-Segment. – Der Internetauftritt der Stadt Leipzig (www.leipzig.de) und der LTM GmbH (www.leipzig.travel) sowie Wikipedia sind wichtige Quellen.”
Ein Großteil der jungen Leute plane die Reise ein bis drei Monate im Voraus. Nur fünf Prozent der Befragten reisten allein. Die meisten werden von Freunden oder dem Partner begleitet.
Und wie lernen sie Leipzig dann kennen?
Hauptgrund für einen Trip nach Leipzig ist der Besuch von Freunden und Verwandten. 40,5 Prozent der Nennungen. (Was schon einmal so ein Aha hätte auslösen müssen: Es sind die, die schon hier sind, die den guten Ruf multiplizieren.)
Weiterhin kommen viele Leute zum Sightseeing (26 %) und zum Einkaufen (25,4 %).
Vor allem ziehen aber Konzerte und Festivals wie das Wave Gotik Treffen und das Highfield junge Leute in die Stadt. Ebenfalls beliebt sind der Zoo Leipzig, das Völkerschlachtdenkmal, die Leipziger Buchmesse mit Leipzig liest und das Stadtfest.
Auffällig sei, so schätzt der LTM ein, dass Freizeitattraktionen wie Belantis, das Panometer Leipzig, Gewandhausorchester und Moritzbastei vor allem bei jenen beliebt sind, die vorher schon einmal in Leipzig gewesen sind.
Beim ersten Besuch werden eher Nikolaikirche, Thomaskirche, Oper, Museum der bildenden Künste, Galerie für Zeitgenössische Kunst, City-Hochhaus, Grassimuseum, Spinnerei und Tapetenwerk gern besichtigt. Unabhängig davon, ob man die Stadt schon kennt oder nicht – die Kneipenmeilen motivieren gleichermaßen zu einem Besuch in Leipzig.
Das ist sozusagen das Einstiegsprogramm: Man fädelt sich an den berühmten Sehenswürdigkeiten herein in die Stadt, prägt sich die auffällige Topografie ein. Und dann? Dann versagte den angehenden Marketingleuten aus Freiberg augenscheinlich die Phantasie, dominiert wieder das alte “Hihglight”-Denken. Aber das schafft nicht den Ruf und die Atmosphäre einer Stadt, das passt eher zum Städte-Hopping aus Perspektive älterer Ruheständler.
Aber das hat augenscheinlich eine Menge mit dem starren Frageschema zu tun. Es ist im Marketing wie im richtigen Leben: Wer die oberflächlichsten Fragen stellt, der bekommt die oberflächlichsten Antworten. Denn keiner der besuchten Orte wird dafür sorgen, dass die jungen Leute wiederkommen.
Das Wiederkomm-Moment schimmert eher bei dieser Aussage durch: “Leipzig hinterlässt bei den jungen Besuchern einen guten Eindruck. Die Stadt wird als attraktiv, vielfältig, sympathisch und weltoffen bewertet. Die positive Wahrnehmung steigt mit der Anzahl der Besuche.” Das will was heißen.
Und statt dass die LTM bei dieser Feststellung stutzt und für sich resümiert, dass man augenscheinlich an der entscheidenden Stelle nicht weitergefragt hat, orakelt man ein bisschen, auch wenn ein paar stabile Indikatoren sich durchaus herausschälten: “Das macht deutlich, dass Leipzig die Erwartungen der Gäste übertrifft. Die Stärken der Stadt sehen die Befragten in der kompakten Innenstadt, dem vielen Grün und dem Flair. Geschätzt werden außerdem die zahlreichen Bars und Restaurants, aber auch die freundlichen und offenen Einwohner.”
Die Stadt hat augenscheinlich eine Struktur, die auch nach Kurzbesuchen als attraktiv empfunden wird. Man kommt nicht wegen Völkerschlachtdenkmal, Thomaskirche und Belantis wieder (wobei einiges darauf hindeutet, dass die LTM ihre Marketing-Lieblinge wieder zum Ankreuzen bereitgestellt hat), sondern weil da ein Gefühl des Vertrauten und Lebendigen geblieben ist, so ein: Da kann ich mich vielleicht wohlfühlen.
Aber wer redet in Leipzig schon über den Wohlfühlfaktor Stadt?
Unsere Marketingspezialisten? Ganz bestimmt nicht.
Ein wenig deutet in die Richtung dann auch, was die Befragten an Leipzig dann doch zu kritisieren hatten: “Obwohl die Besucher die guten Verkehrsanbindungen, den Hauptbahnhof und die Einkaufsmöglichkeiten als positiv einschätzen, sehen sie auch Defizite bei der Infrastruktur. Genannt wurden z.B. Baustellen; ÖPNV und fehlende Parkplätze. Zudem stören sich einige Besucher an den zum Teil heruntergekommenen Häusern in einigen Stadtteilen. 41 % gaben an, dass zu viele Menschen oder Lärm das Flair der Stadt stören.”
Da haben also nicht nur die Leipziger gemerkt, dass ihre Stadt sinnlos verlärmt ist. Und die “zu vielen Menschen” trifft man eher auf der ganzen Reihe von Stadt und LTM organisierten Volksfeste, die die sonst eher beschauliche Innenstadt oft über Wochen in eine Fress- und Saufmeile verwandeln. Dass das nicht mal Studenten gefällt, ist verständlich.
Und auch wenn Volker Bremer, Geschäftsführer der LTM GmbH, die Zahlen gut findet: “Zusätzlich zu den vielen Jugendlichen, die nach Leipzig reisen und private bzw. alternative Übernachtungsangebote wählen, nutzen pro Jahr rund 300.000 junge Reisende zwischen 14 und 34 Jahren die Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels, Pensionen und der Jugendherberge. Das entspricht rund 23 Prozent aller Übernachtungen im Jahr 2014. Die jungen Leipzig-Besucher stellen daher für uns eine wichtige Zielgruppe mit Potential für die Zukunft dar.“
Das Frage-Schema klingt nicht wirklich danach, dass man das Gefühl der jungen Leute getroffen hat. Man hat nur die ollen Kamellen versucht, irgendwie ins Spiel zu bringen. Wie viele junge Leute die Online-Befragung gleich wieder abgebrochen haben, wurde gar nicht erst mitgeteilt. Eine Befragung also, die mal wieder nicht die Substanz hat, um ernst genommen zu werden.
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