Da staunten nicht nur Stadträte und Journalisten, als im Frühjahr die Diskussion um den Umbau der Georg-Schumann-Straße hochkochte. Im Magistralenmanagement war man verblüfft, bei den Stadtplanern verwundert: Konnte es sein, dass Leipzigs Stadträte tatsächlich nicht wissen, was an der Georg-Schumann-Straße passieren soll? Es kann sein. Das machte nicht nur die Diskussion im Wirtschaftsausschuss deutlich.

Das gab auch der Linke-Stadtrat Steffen Wehmann zu Protokoll, als er im Juli einen ganzen Fragenkatalog zur Georg-Schumann-Straße zusammenstellte. Auf den er dann auch Antwort bekam. Doch die Antworten brachten den haushaltspolitischen Sprecher der Linken noch mehr ins Grübeln, seine Fraktion sowieso. Wie kann es sein, dass große Investitionsprojekte, über die man vor Jahren einmal ausgiebig diskutiert hatte, dann für Jahre regelrecht von der Bildfläche verschwinden und dann unverhofft in Stadtratsvorlagen wieder auftauchen, bei denen sich die Fraktionen dann ernsthaft fragen, warum ihnen da ein ganzes Stück Information fehlt?

In Wehmanns Fall betraf es den für Anfang 2016 geplanten Umbau der Georg-Schumann-Straße zwischen S-Bahnhof Möckern und Huygensplatz. Aber genauso trifft es auf die Stilllegung der Straßenbahnlinie 9 nach Markkleeberg zu. In beiden Fällen hatte sich zuletzt der von 2004 bis 2009 amtierende Stadtrat damit beschäftigt. Die Stadträte, die von 2009 bis 2014 in der Ratsversammlung saßen, wurden mit den Themen nicht direkt konfrontiert. Der 2014 neu gewählte Stadtrat war dann deutlich überrascht.

Augenscheinlich fehlen Informationsangebote, die die gewählten Volksvertreter auch über all jene Projekte auf dem Laufenden halten, deren Umsetzung sich weit über die Amtszeit des jeweiligen Stadtrates hinaus erstrecken. Mal, weil für manche Großprojekte das Geld nicht auf einen Schlag besorgt werden kann, mal weil sich auch die Rahmenbedingungen ändern oder auch die Erfordernis – man denke an den Mittleren Ring, der in großen Teilen schon gestrichen wurde, in anderen Teilen aber nach wie vor Teile der Stadtentwicklung blockiert, weil Leipzigs Planer nicht loslassen wollen.

Es sei denn, die Fraktionen drucken sich die “Mittelfristigen Investitionsprogramme” in Plakatgröße aus und hängen sie sich an die Wand.

Die Georg-Schumann-Straße hat sich seit den Erörterungen vor über zehn Jahren in der Projektgestalt völlig gewandelt – irgendwann legten die Planer von Stadt und LVB den Hebel herum, akzeptierten, dass man die ganze Strecke nicht zur beschleunigten Stadtbahn umbauen konnte, schon gar nicht in einem Ritt. Auch wäre eine Mega-Baustelle, wie man sie sich in den 1990er Jahren mit der Delitzscher Straße und der Prager Straße (und zuletzt auch mit der Lützner Straße) geleistet hat, für die Magistrale im Nordwesten geradezu schädlich. Also verständigte man sich darauf, die Straße lieber in Abschnitten zu modernisieren, von denen einige erst weit nach 2020 umgesetzt werden können.

Was übrigens im “Mittelfristigen Investitionsprogramm” für Straßen und Brücken auch so ausgewiesen ist – 2013 hat es der Stadtrat als Vorlage bekommen, gültig bis 2020. Im Kleingedruckten kann man da lesen: “Realisierung in mindestens 6 Bauabschnitten, gemeinsame Baumaßnahmen mit LVB, ohne Gleisbaukosten – trägt LVB, ohne Platzflächen des ASW, Kostenbasis: Kostenschätzung aus Vorplanung 6/2006 mit 34 Mio. Euro, (davon ca. 65 % Stadt, 35 % LVB (Annahme)), Kosten sind in weiterer Planung zu präzisieren.”

Das erfuhr dann auch Steffen Wehmann in der ersten Antwort auf seine Fragen. Doch das genügte ihm nicht. Das sollte doch konkreter gehen, fand er und fragte nach: “Ist die Aussage aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt, die Fertigstellung der Georg-Schumann-Straße verzögert sich bis 2030, richtig? Sofern nein, bitte ich um Nennung des geplanten Fertigstellungsjahres.”

Aber konkreter kann es ihm niemand geben, auch nicht die Verkehrsplaner der Stadt: “In der schriftlichen Antwort zur Erstanfrage wurde bereits dargelegt, dass der Umbau der Georg-Schumann-Straße nur mittelfristig und abschnittsweise erfolgen kann. Die Bauabschnittsbildung und deren zeitliche Einordnung ist einerseits von der Entwicklung des jeweiligen Straßen- und Gleiszustandes und andererseits von der finanziellen Absicherung bei den beteiligten Bauherren VTA, LVB und KWL abhängig. Folglich ist aus derzeitiger Sicht keine verbindliche Jahresangabe zum Abschluss des Umbaus des gesamten Straßenzugs möglich. Der hinterfragte Fertigstellungstermin 2030 kann aus den vorgenannten Gründen so nicht bestätigt werden. Es muss jedoch aus heutiger Sicht von einem Endtermin deutlich jenseits von 2020 ausgegangen werden.”

Parallel hat ja bekanntlich die Linksfraktion selbst beantragt, die Stadt möge ihre Investitionsprojekte, die auf der Prioritätenliste stehen, künftig mindestens alle zwei Jahre überarbeiten und dem Stadtrat zur Kenntnis geben.

Dass die Linken wohl Recht haben mit ihrem Anliegen, bestätigt die Antwort der Verwaltung auf Wehmanns Frage: “Wann und in welchen zeitlichen Abständen sollen aus Sicht der Verwaltung die ‘Veränderungen’ in der ‘Prioritätenliste’ dem Stadtrat kommuniziert werden? Wie sollen diese (Anlage2/Listen 1 und 2 sowie Anlagen 3 bis 8) durch den Stadtrat legitimiert werden?”

Die Antwort aus dem Dezernat Stadtentwicklung und Bau lautete: “Im Punkt 2 der schriftlichen Beantwortung der Erstanfrage wurde bereits auf die geplante Überarbeitung des Mittelfristprogrammes im Jahr 2019 verwiesen. – Die konkreten Einordnungen der Einzelmaßnahmen aus den Anhängen des „Mittelfristigen Investitionsprogramms im Straßen- und Brückenbau 2013-2020“ erfolgen nach den aktuellen Randbedingungen unter Berücksichtigung des Zustands der Anlagen und der finanziellen Möglichkeiten (Eigen- und Fördermittel) sowie bei größerem Handlungsbedarf unter Koordinierung mit weiteren Bauherren (LVB, KWL, ggf. weitere Versorgungsunternehmen) einschließlich deren finanzieller Absicherung. – Die Legitimation dafür erfolgt in erster Linie mit den Haushaltsbeschlüssen der jeweiligen Jahre durch den Stadtrat. Darin eingeschlossen ist auch die mittelfristige Finanzplanung der Baumaßnahmen. Zusätzlich werden für die Einzelmaßnahmen Bau- und Finanzierungsbeschlüsse entsprechend der Hauptsatzung herbeigeführt.”

Womit eigentlich schon deutlich wird, warum die teuren Großprojekte immer wieder aus dem Blickfeld der Stadträte geraten: Da hat man sich 2013 mit der derzeit gültigen Investitionsliste mit insgesamt 53 aktuellen Großprojekten beschäftigt. Aber welche Abschnitte an der Georg-Schumann-Straße wann geplant waren, war da nicht ersichtlich. Und der Verweis auf den über 1.000-seitigen Haushalt der Stadt wird Wehmann auch nicht wirklich getröstet haben, denn das Werk ist für viele Stadträte mittlerweile so unübersichtlich geworden, dass sie nur noch punktuell die Übersicht haben.

“Wir sind nun mal nur ehrenamtlich tätig”, heißt es auch aus der CDU-Fraktion. Die Gewichte sind nicht gleich verteilt: Professionelle Sachbearbeiter, die seit Jahren nichts anderes machen, stehen einem ehrenamtlichen Stadtrat gegenüber, der sich in seiner Freizeit durch teils immer dickere und unübersichtliche Vorlagen arbeiten muss. Kein Wunder, dass da nicht nur in Haushaltsberatungen eine Menge einfach durch die Lappen geht.

Es sieht ganz so aus, als wolle die Linksfraktion an dem Thema dranbleiben. Vielleicht findet sie diesmal auch die Unterstützung der anderen Fraktionen, denn am Ende kann nur ein besseres Informationsmanagement das Ungleichgewicht etwas austarieren.

Dass es eigentlich nicht geht, Mittelfristige Investitionsprogramme nur alle sechs Jahre zu überarbeiten, das ist am Beispiel des 2012 vorgelegten Mittelfristigen Investitionsprogramms für den Schulhausbau längst deutlich geworden: Schon 2013 musste es erstmals überarbeitet werden und seitdem gibt es praktisch halbjährlich neue Vorlagen der Stadt, weil das Programm von 2012 einfach nicht ausreicht.

Und beim Mittelfristigen Programm für Straßen und Brücken ist es eigentlich genauso.

Danach hat Wehmann noch extra gefragt.

Das behandeln wir gleich an dieser Stelle.

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