Man hat noch die mahnenden Worte aus dem Marketing Club der Stadt Leipzig im Ohr, der vor 15 Jahren deutlich mahnte, das Leipziger Stadtmarketing solle mehr Profil gewinnen, es ähnele dem Angebot eines Gemischtwarenladens. Die Kritik ist leiser geworden, seit die Touristenzahlen stetig wachsen. Aber so recht traute im Frühjahr die CDU-Fraktion dem Ganzen nicht und fragte mal nach der Tourismusstrategie der Stadt.

Nicht ganz uneigennützig. Denn gerade die Stadtratsfraktionen waren in die Entwicklung des Tourismuskonzepts seit 2012 immer wieder eingebunden. Ob es dem Ganzen genützt hat, darf bezweifelt werden.

So ein wenig zielte der CDU-Vorstoß direkt auf das Konstrukt der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH (LTM), denn da wird das alles gesteuert – vorwiegend mit städtischen Geldern. Nur gibt es keine nachvollziehbare Tourismusstrategie der Stadt. Jetzt soll es eine geben.  Aber kann ein 115 Seiten dickes Papier so etwas wie eine Strategie aufzeigen? – “Touristischer Entwicklungsplan (TEP) der Stadt Leipzig bis 2019” heißt das dicke Heft, das das Dezernat für Wirtschaft und Arbeit jetzt vorgelegt hat, auch wenn es noch nicht einmal das Gesamtpaket ist, sondern erst einmal der Baustein Nr. 1: “Touristischer Entwicklungsplan (TEP) für die Stadt Leipzig”.

Tatsächlich sollen auch die anderen vier “Bausteine” im Februar 2015 schon abgeschlossen worden sein, heißt es im Papier, aber sie schmoren noch irgendwo in den Verwaltungsgängen.

Wenn man ihre Titel liest, merkt man erst einmal, dass sich die Leipziger Tourismusakteure längst in einem Dschungel verlaufen haben, der noch viel dichter ist als vor 15 Jahren. Statt das Stadtmarketing präziser und fasslicher zu machen, hat sich das Material in den vergangenen zehn Jahren immer weiter aufgebläht.

Baustein 2 gehört eigentlich in den Bereich der einstigen Wirtschaftsförderungsagentur, die sich heute “Invest Region Leipzig” nennt und als “Agentur für Akquisition & Ansiedlung der Stadt Leipzig, der IHK zu Leipzig sowie der beiden Landkreise Nordsachsen und Leipzig” bezeichnet.

Der Baustein 2 trägt den Arbeitstitel “Marketingstrategie für die zukünftige Vermarktung der Region sowie Marken- und Kommunikationsstrategie für die Region Leipzig”.

In Baustein 3 geht es dann eigentlich um das, was die CDU-Fraktion so hartnäckig angefragt hat: den “Businessplan für die neue Organisationsstruktur (Abteilung Region der LTM)”. Was schon erstaunt, denn bislang war von einer neuen Organisationsstruktur der LTM keine Rede, man wollte die Stadträte nur in den Trägerverein LTS holen, wo die Strategien für die LTM beschlossen werden. Sollte dahinter wirklich die Erkenntnis stehen, dass dieser Verein zur Steuerung der LTM völlig ungeeignet ist und der größte Geldgeber, die Stadt Leipzig, eigentlich verpflichtet dazu ist, ihr eigenes Marketing selbst zu steuern?

Als Baustein 4 soll da irgendwann auch noch ein dickes Papier mit diesem Inhalt auftauchen: “Weitere Elemente zur Destinationsstrategie, u.a. Berechnung der regional-ökonomischen Bedeutung (Wirtschaftsfaktor Tourismus) sowie Qualitätsstrategie für Stadt und Region Leipzig, Produktentwicklungswerkstatt in der Region”.

Auch das eigentlich ein Hinweis darauf, dass es im Gemischtwarenladen alles Mögliche gibt, nur keine handfest vermarktbaren Produkte.

Und als Baustein 5 soll irgendwann ein “Konzeptpapier Destinationsstrategie für Stadt und Region Leipzig” kommen.

Der wichtigste Satz, der die Ratlosigkeit im Gemischtwarenladen eigentlich auf den Punkt bringt, steht gleich auf Seite 1. Denn das bisherige Wachstum der Touristenzahlen in Leipzig und Region hat eher nichts mit irgendwelchen konkreten Angeboten in der Region zu tun, sondern läuft in einem bundesweit zu beobachtenden Trend mit, in dem vor allem die Großstadt Leipzig als Zielort wirksam wird: “Die sehr positive touristische Entwicklung der Stadt begründet sich durch kontinuierlich positive Nachfragetrends im Städtetourismus wie auch bei Kurzreisen, durch ein erfolgreiches Marketing und PR der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, die die Stadt auf den Kernmärkten positioniert sowie durch einer positiven Weiterentwicklung der touristischen Infrastruktur und Angebote durch die Stadt Leipzig und den weiteren touristischen Akteuren.”

Wobei einem diese Inanspruchnahme des Zuwachses als Ergebnis eigener Bemühungen im Papier mehrfach begegnet, ohne wirklich untersetzt zu sein. Man macht eben Marketing – und wenn die Leute dann in ihren Reisebussen kommen, ist das eben der eigene Werbeerfolg.

Dabei gibt es durchaus richtige Erkenntnisse im Papier, wie auf Seite 6 nachlesbar: “Trotz konjunktureller Stagnation zeigt sich der Städtetourismus als noch nicht ausgeschöpftes Potential mit Zuwächsen verstärkt aus dem Ausland. Zusätzliche Nachfrage aus dem Inland kann durch die Schaffung von Reiseanlässen gelingen.”

Wobei gerade in Leipzig auffällt, dass die Stadt unterdurchschnittlich bei ausländischen Touristen punktet. Ganz so toll kann da die Werbung für das Reiseziel Leipzig nicht gewesen sein.

1,5 Milliarden Euro Umsatz allein in Leipzig

Welche Bedeutung das Tourismussegment für Leipzig schon hat, ist auf Seite 8 nachzulesen: “Mit einem Bruttoumsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro und einem Beschäftigungseffekt von rund 42.000 Arbeitsplätzen ist der Tourismus eine wichtige Branche für die Stadt Leipzig.”

Weite Teile des Heftes sind mit bunten Aufzählungen gefüllt, was es alles an Angeboten in und um Leipzig gibt, von der kompakten Innenstadt über die potente Musikstadt bis hin zum Wander-, Rad- und Wassertourismus – letzteres übrigens gleich mal mit dem verwirrenden Hinweis auf das „Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum“ (TWGK) , wo “eine umfassende Analyse der gewässertouristischen Infrastruktur” erfolgt sein soll, was so schlicht nicht zutrifft. Stattdessen hat man dort sämtliche touristischen Effekte der Region zu erfassen versucht. Nur so kam man überhaupt auf eine Bruttowertschöpfung von 1,3 Milliarden Euro – für die gesamte Region. Jetzt zu erfahren, dass allein in Leipzig deutlich mehr mit dem Tourismus umgesetzt wird, nämlich 1,5 Milliarden Euro, stellt die ganze wilde Rechnerei aus dem TWGK erst recht in Frage.

Und so nebenbei jubelt man den Leipzigern auch wieder den Elster-Saale-Kanal als touristische Gewässerverbindung unter. Statt sich auf die Kernbotschaften zu konzentrieren, macht man den Touristischen Entwicklungsplan (TEP) wieder zur großen eierlegenden Wollmilchsau, in der alle Interessenten, die gern an die öffentlichen Gelder wollen, ihre Wünsche verankern dürften. Mittelkonzentration und Herausarbeitung der wirklich zukunftsträchtigen Entwicklungspotenziale? Fehlanzeige.

Wenn man liest, wie viele Experten und Interessenvertreter an diesem Paket mitgearbeitet haben, ist dieses große Wünsch-mir-was andererseits wieder verständlich.

Worauf will man sich jetzt wirklich konzentrieren?

1. Leipzig als Musik- und Kunststadt

2. Leipzig als Messe- und Kongressstadt

3. Leipzig hat das Potential, sich als lebendige grüne Stadt am Wasser weiterzuentwickeln

4. Leipzig ist ein attraktives städtetouristisches Ziel mit vielfältigen Erlebnisangeboten.

Was nach der ganzen Analyse natürlich verblüfft, denn die eigentlichen Stärken hat Leipzig in den Themenbereichen Kultur und Kulinarik, wie auf Seite 53 nachzulesen ist. Es punktet bei Städtereisen, Shopping und Events. Und das, was jetzt als “lebendige grüne Stadt am Wasser” verkauft werden soll, wo kommt die Stadt da, wenn man Leute von außerhalb fragt? Ganz weit hinten. Die wichtigsten Besuchsgründe sind Sehenswürdigkeiten, Kultur und Kunst und Stadtbild.

Den Maßnahmekatalog mit den geplanten 138 Maßnahmen soll der Stadtrat dann freilich erst im 2. Quartal 2016 zum Beschluss vorgelegt bekommen.

Es ist zwar keine Beschlussvorlage, sondern nur eine Informationsvorlage. Aber sie zeigt keine neuen Wege auf, selbst die Touristenzahlen will man so halten und sich irgendwie auf dem Niveau von 3 Millionen im Jahr halten, auf dem Wahrnehmungsniveau von Nürnberg und Stuttgart. Und zwar ohne dass die Frage gestellt wird, wo Leipzig eigentlich noch zulegen könnte. Bei internationalen Gästen natürlich, die “Marktdurchdringung” scheint dort nicht ansatzweise den Erfolg zu bringen, den man sich davon verspricht. Und gäbe es nicht die Messe- und Kongressgäste (die das Flair der Stadt sehr wohl zu schätzen wissen), würde wohl nicht allzu viel abgehen im Leipziger Tourismus.

Das Papier ist eher wieder nur ein bunter Werbeaufsteller, der gar nicht erst zulassen will, dass mal konkret nachgefragt wird, welches Segment denn nun eigentlich welchen Erfolg beisteuert, wo schlicht die notwendige Werbung fehlt und wo andererseits Strukturen fehlen oder gar Geld rausgeschmissen wird.

Tatsächlich ist man wieder (oder immer noch) da, wo man in der ganzen Vermarktungsdiskussion der Stadt vor 15 Jahren schon war, ohne dass es gelungen ist, die Sache auf den Punkt zu bringen. Nur die Konzepte blähen sich immer weiter auf und man nimmt immer mehr Themen in den großen Beutel auf. Und weil sie nun mal drin stehen, verfolgt man sie mit einer Menge Geld und Aufwand auch weiter – bis Leipzig von allem etwas hat. Leipziger Allerlei kann man das dann nennen.

Der TEP-Baustein 1 in der vorgelegten Fassung.

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