Für gewöhnlich ist es ja so, dass die wichtigsten Posten in Leipzigs großen Kultureinrichtungen nicht ohne Zustimmung des Leipziger Stadtrates besetzt werden. Meistens stimmen die Stadtratsfraktionen zwar ohnehin den Verwaltungsvorschlägen zu. Aber mit der Nachfolgerkür für den Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly scheint das Verfahren aus Sicht der CDU-Fraktion irgendwie auf den Kopf gestellt worden zu sein.
“Am 8.September um 12:25 Uhr teilte das Gewandhausorchester via Facebook mit ‘Morgen wird einer der wichtigsten Posten der Musikwelt neu besetzt. Am Mittwoch, den 9. Sept. 2015 um 17:30 Uhr stellen wir Ihnen den 21. Gewandhauskapellmeister in unserer über 270-jährigen Geschichte vor”, zitiert die CDU-Fraktion nun in einer Anfrage an die Stadtverwaltung. Und stellt fest: “Die Wahl des Kapellmeisters fällt jedoch in die Zuständigkeit des Stadtrates.”
Womit sie ja auch Recht hat. Was ja selbst die Beschlussvorlage aus dem Kulturdezernat bestätigte, die dann aber erst am 14. Oktober ins Ratssystem eingestellt wurde. Der Beschlusstext ist denkbar knapp: “Herr Riccardo Chailly wird als Gewandhauskapellmeister zum 31.07.2016 abberufen. Herr Andris Nelsons wird mit Wirkung zum 01.05.2017 bis zum 31.07.2022 zum Gewandhauskapellmeister gewählt. Der Oberbürgermeister wird zum Abschluss des entsprechenden Vertrages mit Herrn Andris Nelsons bevollmächtigt. Gewandhausorchester: Andris Nelsons wird ab 2017 Kapellmeister, Leipzig und Boston vereinbaren umfangreiche Kooperation.”
Die Erläuterungen sind dann wesentlich ausführlicher. Sie gehen auch auf Chaillys Wunsch ein, baldmöglichst von seinen Aufgaben als Gewandshauskapellmeister entbunden zu werden und deshalb rechtzeitig einen Nachfolger zu suchen. Geäußert 2014, nachdem 2013 sein Vertrag erst einmal bis 2020 verlängert worden war.
“Der Oberbürgermeister hat im Herbst 2014 den Orchestervorstand sowie den Gewandhausdirektor aufgefordert, sich um die Nachfolgeregelung zu kümmern (s.a.: Betriebssatzung des Gewandhauses § 13 (2))”, heißt es nun in der Vorlage. “Das Gewandhausorchester hatte sich dafür ausgesprochen, Andris Nelsons als neuen Gewandhauskapellmeister zu gewinnen. Da Andris Nelsons jedoch mit einem Exklusivvertrag an das Boston Symphony Orchestra (BSO) gebunden war, galt es, zahlreiche und sehr intensive Gespräche mit dem Management von Andris Nelsons sowie der Intendanz des BSO zu führen. Diese Gespräche fanden im April/Mai 2015 statt. Dabei wurde auch die Idee einer intensiven Zusammenarbeit beider Orchester, dem BSO und dem GWO, diskutiert und ein erstes Grundkonzept entworfen.”
Das Grundproblem: Nelsons steht 2016 eigentlich noch gar nicht zur Verfügung, auch wenn Chailly im Sommer 2016 sein Engagement in Leipzig beendet. Wirklich in seinen Vertrag einsteigen kann Nelsons erst 2017.
Und so heißt es in der Begründung erst einmal vorsichtig: “In der Saison 2016/2017 wird er von September 2016 bis Ende April 2017 als designierter Gewandhauskapellmeister und ab Mai 2017 als offizieller Gewandhauskapellmeister seine erste vollständige Saison ab 2017/2018 vorbereiten; zudem wird er für erste Probespiele des GWO zur Verfügung stehen.”
Was wirklich im Vertrag steht, werden auch die Stadträte erst im November erfahren: “Die Stadträtinnen und Stadträte können den Vertrag mit dem Gewandhauskapellmeister nach Terminabsprache im Büro des Oberbürgermeisters bis zum 19. November 2015 einsehen.” Das ist aber just der Tag der Ratsversammlung. In der Ratsversammlung am 28. Oktober kann es also noch keine Abstimmung über die Verwaltungsvorlage geben, weil die Stadträte den Vertragsinhalt nicht kennen. Und am 19. ist die Zeitfrist eigentlich auch zu knapp und auch an diesem Tag kann eigentlich noch nicht über die Neubesetzung der Stelle entschieden werden.
Womit wir wieder bei den Bauchschmerzen der CDU-Fraktion wären, die jetzt erst einmal ein ganzes Fragenpaket zur Besetzung der Kapellmeisterstelle beantwortet haben möchte.
Die Fragen der CDU-Fraktion:
1. Ist dem Gewandhaus das Procedere zur Besetzung der Stelle des Gewandhauskapellmeisters bekannt? Falls ja, warum wird dann verkündet, dass mit der Pressekonferenz die Besetzung der Stelle erfolgt?
2. Aus welchem Grund war es dem Oberbürgermeister nicht möglich, den Mitgliedern des Stadtrates wenigstens zeitgleich mit der Pressekonferenz eine Information zukommen zu lassen?
3. Aus welchem Grund war es dem Oberbürgermeister nicht möglich, die für eine Beschlussfassung in der Oktoberratsversammlung nötige Vorlage wenigstens bis zum 28.09. dem Stadtrat zuzuleiten?
Und nicht nur der Gewandhausdirektor war aus CDU-Sicht in seiner Ankündigung zu forsch. Auch Oberbürgermeister Burkhard Jung hat ja schon irgendwie Stellung genommen. Aber welche? – Die CDU-Fraktion rätselt: “Im Vorfeld der Pressekonferenz, am 08.09.2015 hat der Oberbürgermeister im sozialen Netzwerk Facebook auf der Seite https://www.facebook.com/Gewandhausorchester wie folgt kommentiert: ‘…ich nehme z.K., dass Sie, Frau Niermann, mein Angebot auf Information bis heute ausgeschlagen haben.'”
Da der Kommentar bereits am 9. September, “offenbar durch den Autoren selbst wieder gelöscht wurde und Nachfragen im Sozialen Netzwerk daher nicht mehr möglich sind”, hat die CDU-Fraktion auch dazu noch zwei Fragen:
4. Welchen einzelnen Stadträten neben Frau Niermann hat der Oberbürgermeister im Vorfeld der Pressekonferenz ein „Angebot auf Information“ zu diesem Thema unterbreitet?
5. Welche Stadträte haben das Angebot ausgeschlagen, welche haben es angenommen?
6. Was war der konkrete Inhalt der gegebenen Information?
Immerhin war der Wechsel am Dirigentenpult mindestens seit dem 3. September perfekt, denn da wurde Chaillys Abschied von Leipzig bekanntgegeben. Aber irgendwie gibt es im Rathaus unterschiedliche Informationswege, die selbst für die größte Fraktion im Stadtrat nicht immer nachvollziehbar sind.
Die Verwaltungsvorlage zur Wahl von Andris Nelsons zum Gewandhauskapellmeister.
Es gibt 5 Kommentare
Dieser – Ihr – Kommentar hat uns gemeinsam auf den Boden der Tatsachen geführt, was mich freut,
Verfolgen Sie bitte die Beiträge meiner Serie weiter, die sich wahrscheinlich bis in das Jahr 2017 hinziehen wird, da die Thematik sehr umfangreich ist.
Nicht verschweigen möchte ich, dass das mit sehr viel Arbeit verbunden ist. Nicht immer habe ich als Ruheständler Lust zum Schreiben.
Bereits in den Folgen 3 und 4, welche die Landesrechnungshöfe (Folge 3) sowie den Sächsischen Rechnungshof (Folge 4) zum Gegenstand haben, werden Sie brisante Antworten erhalten.
Aufgrund ihrer sachlichen Kommentare habe ich den Eindruck, dass Sie sich mit dieser Thematik sehr vernünftig auseinandersetzten. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass diese Thematik nicht leicht, sehr komplex und hochbrisant ist. Zudem stehen wir erst am Anfang meiner Serie. Solche Kommentare lassen mich hoffen, dass es spannend und vor allem fair zugehen wird. Der Anfang ist gemacht. Ich bin zufrieden.
Deshalb nehme ich es auch lächelnd hin, dass mein erneuter Hinweis womöglich auf Kritik stoßen wird.
Leisten bzw. gönnen Sie sich mein “Buch Finanzrevisor Pfiffig aus der DDR”. Das besonders deshalb, weil Sie auf den letzten 30 Seiten des Buches umfangreiche Hinweise zu Ihren Gedanken:
“Ich dachte eher an eine Instanz die vor allem in öffentlichen Strukturen fehlt, welche auch in höheren Positionen darüber wacht, ob es mit rechten Dingen zu geht – UND – eine Exekutive besitzt, um den Feststellungen auch Konsequenzen folgen zu lassen.”
nachlesen können.
MfG
Ein Loblied sollte dies gewiss nicht sein.
Der Einfluss der Wirtschaft auf Strukturen, die der Solidarität und dem Gemeinwohl verpflichtet sind, ist auch mir ein Dorn im Auge, den es über kurz oder lang zu ziehen gilt.
Richtig, in der Privatwirtschaft gibt es auch große Fehlleistungen. Ich dachte eher an eine Instanz die vor allem in öffentlichen Strukturen fehlt, welche auch in höheren Positionen darüber wacht, ob es mit rechten Dingen zu geht – UND – eine Exekutive besitzt, um den Feststellungen auch Konsequenzen folgen zu lassen.
Ich glaube, da stimmen wir überein 🙂
Die Steuern sind wohl ein Thema für sich…
…. in der Privatwirtschaft undenkbar.
Da liegen Sie aber um Lichtjahre daneben.
Nur ein Stichwort: VW.
Unzählige Beispiele könnten angefügt werden, denn Geld stinkt nicht. In der von Ihnen so hoch gelobten Privatwirtschaft gleich gar nicht. Im Gegenteil. Kohle ist das “Lebensmittel”. So schnell und so viel wie möglich. Damit meine ich nicht den Bäcker an der nächsten Hausecke, der es geschafft hat zu überleben
Gegenwärtig sehr schön erkennbar an der humanitären Privatwirtschaft, die im Rahmen der Asylproblematik die Preise in die Höhe treibt bis über die Schmerzgrenze. Von mafiosen Strukturen bei der Vermarktung von Immobilien gar nicht erst zu reden bzw. schreiben. Leipzig bildet dabei keine Ausnahme.
Mit sozialer Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun.
Fazit:
Ich mag solche Loblieder über die Privatwirtschaft nicht. Auch deshalb nicht, weil dort immer über zu hohe Steuern gejammert wird. Diese Steuern müssten nach meiner Ansicht jedoch wesentlich höher sein. Vorwiegend deshalb, weil diese Wirtschaft keinen Finger krumm macht, dass es endlich zu Reformen bei der kommunalen Finanzkontrolle, bei der Steuerfahndung sowie bei den Wirtschaftsprüfungen kommt. Der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik ist gewaltig, wenn sie will.
Machen sie sich bitte selbst ihre Gedanken, weshalb die private Wirtschaft bei den von mir angesprochenen Themen keine Änderungen möchte. Kleine Hilfestellung: Die Antwort ist sehr leicht.
Immer wieder erstaunlich, wie der Stadtrat vorgeführt wird und – vermutlich im Nachgang – Entscheidungen legitimieren soll.
Stichwort Linie 9 – Ähnlichkeiten sind rein zufällig.
Ein inkompetentes Netzwerk an Verwaltung und Stadtfirmen degradiert die Volksvertreter zu Marionetten.
Ärgerlicherweise verschwinden solche Fehlleistungen dann irgendwie aus dem Focus; in der Privatwirtschaft undenkbar.
Sehr guter Beitrag. Bleiben Sie dran, Herr Julke.
Wie wäre es denn erst einmal mit einer Auskunft beim zuständigen Beigeordneten?