Natürlich war all das, was jetzt nach Europa hereinflutet, in dieser Form abzusehen. Wer reihenweise Staaten in einem gewaltigen Landstrich vom Mittleren über den Nahen Osten bis zum Norden Afrikas derart abgleiten lässt in instabile Zustände, der löst zwangsläufig große Fluchtbewegungen aus. Heute muss auch Sachsen damit umgehen. Und auch Leipzig meldet: Das geht uns zu schnell.
Aber es geht auch zu schnell, weil sich die Bundesrepublik über 20 Jahre in einer Politik eingeigelt hat, die Einwanderung möglichst gebremst hat, Asylbewerber abschreckte und gleichzeitig die Unterbringungskapazitäten geschrumpft hat. Gleichzeitig gingen die Gelder für subventionierten Wohnungsbau in den Keller. Auch und gerade in Sachsen. Die Unterbringungsengpässe sind allesamt selbst gemacht.
Und regelmäßig meldet die Landesdirektion nun, dass noch mehr Flüchtlinge in die Landkreise und kreisfreien Kommunen verteilt werden müssen.
So auch am Dienstag, 4. August, wieder.
Da hat die Landesdirektion Sachsen die Landräte und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte des Freistaates mit einem Schreiben auf eine – gegenüber früheren Mitteilungen – wachsende Anzahl der Unterbringung von Asylbewerbern in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen in den nächsten Wochen vorbereitet.
Wenn man das “vorbereiten” nennen will. Denn keine Kommune stampft mal schnell hunderte weitere Plätze zur Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Boden.
“Im laufenden Jahr sind bisher mehr als 14.500 Asylbewerber in Sachsen aufgenommen worden, über 4.000 davon allein im Juli. Im vergangenen Monat sind damit mehr Asylbewerber nach Sachsen gekommen als im gesamten Jahr 2012”, erläutert die Landesdirektion die Aufgabe. “Zwar hat die Landesdirektion in den letzten Wochen auf diese Entwicklung durch die Einrichtung von Interimsunterkünften unter anderem in Meißen, Grillenburg und Dresden sowie durch den Ausbau der Unterbringungskapazitäten in Chemnitz reagiert. – Dennoch muss nun auch die Anzahl der Zuweisungen an die unteren Unterbringungsbehörden erhöht werden. Die Landesdirektion macht deshalb von der Möglichkeit einer kurzfristigen außerordentlichen Anpassung der Verteilplanung Gebrauch. Gegenüber der vorherigen, den Landkreisen mitgeteilten Verteilplanung von Mitte Juni 2015 erhöht sich die Zahl der bis Anfang Oktober von den Landkreisen und kreisfreien Städten aufzunehmenden Asylbewerber um insgesamt 870 auf 4.400 Personen.”
Die Landesdirektion wies auch darauf hin, dass mit der für Ende August erwarteten neuen Zugangsprognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine weitere Erhöhung der Verteilquote verbunden sein kann und bittet die unteren Unterbringungsbehörden um eine entsprechende frühzeitige Kapazitätsplanung.
Die Situation in Leipzig
Da denkt auch eine Stadt wie Leipzig nicht mehr an ein gemütliches Wort wie “Kapazitätsplanung”. Davon zeugt auch eine Beantragung zur Satzungsänderung durch das Finanzdezernat der Stadt Leipzig. Denn die bisherigen Elemente der Haushaltsführung reichen einfach nicht aus, um den rasant anwachsenden Aufgabenberg zu finanzieren. Vor allem geht es darum, dass Oberbürgermeister Burkhard Jung in die Lage versetzt werden soll, zur Schaffung neuer Unterbringungskapazitäten auch ohne lange Beratungen im Stadtrat Millionensummen zur Verfügung stellen zu können. Bislang kann der OBM nur über Summen bis 250.000 Euro derart verfügen. Davon lassen sich natürlich keine Asylunterkünfte aus dem Boden stampfen.
Eigentlich drängt die Zeit und die Stadt wäre gut beraten gewesen, die nötigen Maßnahmen noch vor der Sommerpause des Stadtrates zu beschließen. Denn die Zustandsbeschreibung aus der Vorlage beschreibt den jetzigen Augenblick, den Sommer 2015: “Bis zum 24.06.2015 wurden 759 Asylsuchende neu in Leipzig aufgenommen. Mit Stand 15.07.2015 sind alle verfügbaren Kapazitäten der Stadt Leipzig vollständig ausgelastet. Bis zum Jahresende sind noch insgesamt 1.942 bis 2.292 Personen unterzubringen. Wenngleich weitere Objekte für die Aufnahme von Asylsuchenden vorbereitet werden, ist nicht vorhersehbar, wie sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter gestaltet. Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Leipzig zugewiesen werden, deutlich abnehmen wird. Weitere Unterkünfte müssen deshalb für die Nutzung vorbereitet werden.”
Mit Zelten kann man das Thema nicht lösen. Auch darauf weist Finanzbürgermeister Torsten Bonew hin: “Um die dringende und unabweisbare Unterbringung der Asylbewerber zu gewährleisten, ist vorgesehen, während der Sommerferien Sporthallen interimistisch zu nutzen. Auch die Aufstellung von Zelten wird derzeit geprüft. Zur Schaffung von Notunterkünften und auch mittel- bis längerfristigen Unterkünften sind erhebliche finanzielle Mittel erforderlich. Hierbei muss die Stadt Leipzig auch zunehmend selbst investieren, z.B. Neubau von Gemeinschaftsunterkünften; Kauf von Gebäuden in Systembauweise einschl. der notwendigen Herstellung der Fundamente und Erschließungsmaßnahmen (Hinweis: Bei der Anmietung von Gebäuden in Systembauweise sind die Fundamente und Erschließungsmaßnahmen ebenfalls investive Maßnahmen); ggf. erforderlicher Grunderwerb. Diese Entwicklung war bei Aufstellung des Doppelhaushaltes 2015/2016 in dem Maße nicht absehbar.”
150 Millionen Euro hat Leipzig jeweils in den Jahren 2015 und 2016 für Investitionen vorgesehen. Aber da haben natürlich anderen Themen Vorrang, die genauso im Verzug sind: Schulen, Straßen, Brücken, Kitas.
Zu wenig Geld, zu wenig Zeit
Wenn die aktuelle Asylunterbringungs-Debatte etwas zu Tage bringt, dann ist es die miserable Finanzausstattung der Kommunen in Deutschland mit verfügbaren Investitionsmitteln. Und dass überhaupt mit Zelten und Turnhallen operiert wird, zeigt, dass die Bundesrepublik für echte globale Notfälle überhaupt nicht gerüstet ist. Man hat sich in einer Eiapopeia-Politik eingelullt und so getan, als ginge all das, was jenseits der europäischen Außengrenzen passiert, die Bundesrepublik überhaupt nichts an. Entsprechend gepfeffert ist derzeit auch die Kritik der Kommunen an der Finanzausstattung durch den Bund.
Dabei geht es in der Vorlage des Finanzbürgermeisters jetzt gar nicht um zusätzliches Geld, sondern schlicht um die Möglichkeit, sofort reagieren zu können, wenn sich eine Handlungsoption ergibt, zum Beispiel ein Standort für ein Modulobjekt gefunden ist mit den nötigen Anschlüssen und auch die Module da sind. Dann muss sofort reagiert und gebaut werden, wenn Flüchtlinge in Leipzig nicht auch im Winter noch in Sporthallen oder gar Zelten leben sollen.
Das Gleiche gilt für nutzbare Gebäude, die schnellstmöglich zum Bewohnen hergerichtet werden müssen. Und das nicht nur für drei oder sechs Monate – wie augenblicklich die ehemaligen Schulgebäude der Neruda-Schule und der 3. Schule – sondern für Jahre. Denn der Krieg, der im Nahen Osten tobt, wird nicht so bald beendet werden. Und an eine Stabilisierung der Staaten in Nordafrika ist derzeit auch nicht wirklich zu denken.
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