In den letzten Tagen hagelte es einige Kritik an der SPD. In der "Zeit" veröffentlichte Yascha Mounk seinen öffentlichen Austritt aus der Partei, beklagte vor allem das aufgegebene "Versprechen, für die Interessen von Menschen zu kämpfen, unabhängig davon, ob sie Deutsche sind – oder etwa Syrer, Ukrainer oder Griechen." Auch Ex-Thomaspfarrer Christian Wolff analysierte jüngst einen beklagenswerten Zustand der Partei. Höchste Zeit für ein paar Fragen an den Leipziger SPD-Vorsitzenden Hassan Soilihi Mzé.
Er hat uns auch gleich empfohlen, noch die entsprechenden Leipziger Abgeordneten mit einzubeziehen. Aber es ist Hochsommer. Die Redaktion dampft bei 30 Grad. Also gehen wir schrittweise vor. Vielleicht sehen wir ja nur nicht alles, so wie in einem japanischen Garten: Eine Nuance der großen alten Sozialdemokratie entgeht uns vielleicht.
Deswegen heute erst einmal das Fragenpaket an Hassan Soilihi Mzé.
Warum gibt es eigentlich keine Positionierung der SPD in Leipzig zum Thema verschärfte Asylgesetzgebung in Deutschland? Immerhin betrifft der Umgang mit Asylsuchenden und einem europäischen Mitgliedsland wie Griechenland ja nicht nur europäische Werte, sondern trifft die SPD eigentlich ins Mark. Doch statt ein deutliches Nein zur Verschärfung der Asylgesetzgebung kommt eher gar nichts. Hat die SPD vor Ort keine Position oder will man die Machtbeteiligung im Bund nicht gefährden?
Das war jetzt die Abteilung Volksglauben. Und hier sind die Fakten: Das Bleiberecht für lange nur geduldete Frauen, Männer und Kinder in Deutschland wurde deutlich erweitert. Es wurde ein Abschiebestopp für junge Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus eingeführt, die eine Ausbildung begonnen haben. Die Reform des Aufenthaltsgesetzes setzt klar darauf, für hier Asylsuchende Perspektiven zu schaffen. Dass mit der Aufnahme der Ausführungen zur sogenannten ‚Fluchtgefahr‘ – auf die Sie mit Ihrer Verschärfungsthese anspielen – die Anzahl von Inhaftierungen zunimmt, ist eine zwar medial verbreitete, dennoch unbelegte Behauptung, da auch weiterhin Einzelfallprüfungen erfolgen werden.
Die deutsche Sozialdemokratie vertritt die Position einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik und lehnt die populistische Vereinnahmung dieses Themas strikt ab. Die SPD Leipzig vertritt mit diesem Verantwortungsbewusstsein keine andere Position als die sächsische und die Bundes-SPD.
Dasselbe betrifft den Umgang mit Griechenland: Augenscheinlich treiben die Konservativen Europas den Prozess zum Ausschluss Griechenlands aus dem Euro voran, haben aber Werte der Solidarität, der gemeinsamen Verantwortung und einer Lösungssuche, bei der nicht die Banken den Ton angeben, längst über Bord geschmissen? Hat die SPD keine europäische Position mehr oder geht die aus lauter Angst vor einer klaren Haltung verloren?
Ich gebe die Frage mal zurück: Was würden Sie in der aktuellen Griechenlandkrise als ‚klare Haltung‘ bezeichnen? Die griechischen Anträge auf ein neues Hilfspaket ablehnen und das Land gegen die Wand fahren lassen? Das will schon ein Teil der CDU. Griechenland alle Schulden erlassen und ansonsten alles lassen wie es ist? Kann man probieren, aber dann müssen Sie auch damit klarkommen, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung steil gehen wird – und Sie werden klarkommen müssen mit einem Europa, in dem uns Rechts- und Linkspopulisten auf der Nase herumtanzen, weil Maßgaben und Verbindlichkeiten wertlos sind.
Die SPD hat von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass in den zähen Verhandlungen in Brüssel oberstes Ziel sein muss, Griechenland in der Eurozone zu halten – und das nicht zum Selbstzweck, sondern um die europäische Integration erfolgreich fortzusetzen. Sie fragen, ob die deutsche Sozialdemokratie noch eine europäische Position vertritt? Wer in den letzten Tagen ernsthaft und aufmerksam verfolgte, wie nicht nur Martin Schulz und die SPE-Fraktion in Brüssel, sondern auch Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und die SPD-Bundestagsfraktion darum gerungen haben, die Europäische Union zusammenzuhalten, stellt sich diese Frage nicht.
Was ja die Frage einschließt: Gibt es überhaupt noch die Personen in der Partei, die die eigentlichen Werte einer gemeinsam gestalteten (und nicht von den “Finanzmärkten” dirigierten) EU vertreten? Fügt sich auch der Leipziger Verband einfach den viel beschworenen “Sachzwängen”?
Jede Sozialdemokratin, jeder Sozialdemokrat ist Europäer, ist Europäerin. Das heißt, Solidarität leben und die europäische Integration voranbringen. Das können und das werden auch Sie der SPD – gleich ob im Bund, im Land oder in der Kommune – nicht aberkennen.
Oder – um mal Christian Wolff zu zitieren: Sehen die Sozialdemokraten in Angela Merkel tatsächlich die “sozialdemokratischste” Bundeskanzlerin seit 1949? Gibt es da einen Fehler in der Wahrnehmung? Denn unübersehbar macht Angela Merkel ja keine sozialdemokratische Politik, sondern steht seit dem legendären Leipziger Parteitag der CDU eindeutig für marktliberale Positionen. Kann es sein, dass die SPD selbst sich mittlerweile zur marktliberalen Partei verwandelt hat und das nun für sozialdemokratisch hält?“
Nein.
Gab es überhaupt einen innerparteilichen Verständigungsprozess zu Griechenland? Immerhin liegt das Thema seit 2010 auf dem Tisch und der Umgang der Troika mit der griechischen Regierung hatte schon damals keine Chance, dem Land wieder Luft zum Atmen zu verschaffen. Fehlt bei den Sozialdemokraten die wirtschaftliche Kompetenz, solche Prozesse überhaupt sachlich einschätzen zu können? Oder herrscht die Haltung vor: Lasst die Konservativen mal machen?
Sie dürfen gern davon ausgehen, dass sich die SPD insgesamt und fachkompetent mit der Wirtschafts- und Finanzkrise auseinandersetzt – und zwar vom Ortsverein bis zum Bundesvorstand. Und sie dürfen auch gern davon ausgehen, dass es in unseren Reihen wirtschaftspolitischen Sachverstand auf allen Ebenen gibt.
Eine Haltung, die ja irgendwie selbst die sächsische Politik zu bestimmen scheint. Wo ist die Vision für eine andere, sozialdemokratisch geprägte Politik in Sachsen? Oder genügt man sich mit der Sozius-Rolle und ist 2019 dann froh, wenn man wieder mitregieren darf?
Ich kann Ihnen gerne sagen, was sozialdemokratische Vision für Sachsen ist: Ein weltoffenes Bundesland, mit lebendigen Städten und lebenswerten ländlichen Räumen, ein Sachsen, das gern Menschen und Impulse aus aller Welt aufnimmt, wo sich Traditionelles und Modernes, Fremdes und ‚Säggsches‘ vereinen. Was haben wir in Wirklichkeit? Bei mir brauchen Sie sich nicht zu beschweren, ich hab‘ nicht CDU gewählt.
Immerhin könnte ja gerade Leipzig das sozialdemokratische Gegenangebot zu einer rein pekuniär gedachten sächsischen Politik sein. Wo aber bleiben – die Visionen? Die großen Angebote: So wollen wir Sachsen einmal haben? Angefangen damit, dass der Posten des Innenministers endlich mit einer Person besetzt wird, die die Themen Asylunterbringung und sozialer Wohnungsbau auch in ihrer Tragweite begreift?
Siehe Antwort 6.
Oder schläft die SPD Sachsen jetzt erst mal bis zur nächsten Wahl ein? Oder diskutiert man wenigstens in den Hinterzimmern ein bisschen, wie man die große SPD aus ihrer europäischen Lethargie wecken könnte?
Für die Frage bin ich der falsche Adressat. Der Vorsitzende der Sachsen-SPD heißt Martin Dulig. Für den Leipziger Stadtverband kann ich Ihnen versichern, dass wir sehr diskussionsfreudig sind.
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Bei mir brauchen Sie sich nicht zu beschweren, ich hab‘ nicht CDU gewählt.
Lächerlich. Wo hat denn die SPD in Sachsen fortschrittliche Impulse gesetzt. Ich wiederhole mich gern: Auch die SPD, wie die CDU, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, ist nicht gewillt, eine ordnungsgemäße Kontrolle der Steuergelder zu gewährleisten. Deshalb nicht, weil sie an den bürgerfeindlichen Strukturen der kommunalen Finanzkontrolle festhält bzw. keine Vorschläge für Veränderungen einbringt. Märchenstunde SPD!