Daniela Kolbe ist seit 2009 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie wurde über die Landesliste der SPD gewählt. Die Diplom-Physikerin studierte in Leipzig. Im Bundestag ist sie stellvertretende Vorsitzende im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung. In der SPD-Bundestagsfraktion ist sie Sprecherin der Landesgruppe Ost. Am 07.11.2015 soll sie zur Generalsekretärin der SPD Sachsen gewählt werden. Themen des Interviews: Kirche und Staat, Flüchtlingspolitik, Armut und Reichtum sowie Politik und Wahlen.

Gewissensentscheidung und politische Entscheidung

Bei der Debatte zur Sterbehilfe wurde quer durch alle Fraktionen diskutiert – ohne Fraktionszwang. Warum gibt es das nicht häufiger? Etwa bei der Bürgerversicherung oder bei anderen Themen?

Das ist durchaus denkbar. Es wäre sicherlich schön. Aber dann kommt man natürlich schnell zum Widerstreit zwischen fester Koalition und Freiheit der Debatte. In einer Koalition gibt man sich politisch ein Programm, das man dann auch abarbeitet. Es ist andernfalls schlicht nicht planbar, was das Ergebnis eines freien Prozesses ist. Deshalb wird zwischen Gewissensentscheidung und politischer Entscheidung unterschieden. Ich persönlich würde sagen, es ist eine schwierige Entscheidung, was die Bürgerversicherung angeht, aber es ist keine Gewissensentscheidung.

An der Stelle verstehe ich das schon, dass man das nicht freigibt. Ich würde mir an anderen Stellen durchaus freigegebene Debatten wünschen. Dann hätten wir zum Beispiel beim Thema “Ehe für alle” ein anderes Ergebnis als jetzt.

Wodurch unterscheiden sich Gewissensentscheidung und politische Entscheidung?

Gewissensentscheidung ist definitiv dann berührt, wenn es um Leben und Tod geht. Das ist zum Beispiel bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr der Fall, wo ich Menschen einer Gefahr aussetze. Das muss ich mit meinem Gewissen und meinen Grundwerten vereinbaren können. Natürlich kann mich als Abgeordneter nie jemand zwingen. Das wird auch immer gerne falsch verstanden. Wenn ich wirklich anderer Auffassung bin, dann kann ich auch anders stimmen. Aber in einer nicht freigegebenen Abstimmung muss ich mich dann auch dafür rechtfertigen.

Das ist bei politischen Entscheidungen meiner Meinung nach auch durchaus richtig. Bei Themen, bei denen es um Leben und Tod geht, wo es um die letzten Fragen geht, finde ich es richtig, dass sie freigegeben sind. In der letzten Legislatur war das beim Thema Beschneidung.

Stärkere Trennung von Religion und Staat

Ich würde bei religiös-ethischen Fragen bleiben. Sie sind Mitglied im Innenausschuss, der sich am 1. Juli mit dem Thema Religionsfreiheit befasst hat. Was sind die Grenzen der Religionsfreiheit?

Das ist relativ klar definiert. Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz festgeschrieben. Sie ist eine der Grundwerte, die auch nicht anzutasten ist. Sie findet lediglich da ihre Grenzen, wo sie andere Grundrechte einschränkt. Dann muss abgewogen werden.

Was bedeutet das für das Verhältnis von Kirche und Staat?

Ich bin da ein bisschen anders als der Mainstream meiner Partei und durchaus der Auffassung, dass Religion eine sehr persönliche und private Angelegenheit ist und dass jede staatliche Zusammenarbeit mit einer Religionsgemeinschaft sehr stark der Erklärung bedarf. Mein Optimum würde sich eher am laizistischen Modell orientieren, auch wenn ich historisch gewachsene Aspekte durchaus anerkenne: Wohlfahrtsverbände etwa, wie die Diakonie, die aus einem christlichen Kontext heraus eine sehr wichtige Arbeit leisten. Schlussendlich aber sollte der Staat möglichst wenig mit der Religiosität seiner Bürger zu tun haben.

Wo würden Sie als erstes ansetzen, wenn Sie die Möglichkeit hätten, Staat und Kirche stärker zu trennen?

Ein Thema ist für mich das Arbeitsrecht. Wir haben ein Sonderarbeitsrecht im kirchlichen Bereich, das finde ich problematisch und reformbedürftig. Dann ist immer wieder zu fragen, warum der Staat die Kirchensteuer eintreibt. Das ist jetzt so. Ich bin da niemand, der sagt, das müssen wir sofort ändern. Aber es ist ja auch nichts Gottgegebenes. Religionsunterricht hat durchaus seine Berechtigung. Er trägt dazu bei, dass Menschen viel über ihre Religion lernen. Das wird in Zukunft vielleicht sogar wichtiger werden.

Ich finde es eigentlich sehr schön, wie das Berlin gelöst hat: ein religionsübergreifender Ethikunterricht, wo man über alle Religionen etwas lernt. Der kann dann freiwillig durch Religionsunterricht ergänzt werden. Da wird Kenntnis und Verständnis vermittelt. Ich halte es für richtig, dass man Religionsunterricht anbietet und das nicht ganz dem „freien Markt“ überlässt, sondern dass die Religionsgemeinschaften zusammen mit dem Staat schauen, wie ein vernünftiger Religionsunterricht aussehen kann.

Das würde dann auch für die Notwendigkeit von muslimischem Religionsunterricht sprechen?

Ich fände es gut, wenn muslimische Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen würden, mehr über ihre Religion zu erfahren.

Im zweiten Teil des Interviews stellt Daniela Kolbe die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung vor. 

 

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar