2009 verlor der ehemalige Oberbรผrgermeister von Leipzig, Wolfgang Tiefensee (SPD), sein Direktmandat im Wahlkreis Leipzig II (153) an Thomas Feist (CDU). Im Bundestag ist er unter anderem Obmann im Unterausschuss "Auswรคrtige Kultur und Bildungspolitik" sowie Mitglied im Ausschuss fรผr Bildung, Forschung und Technikfolgenabschรคtzung. Seiner Ausbildung nach ist er Musikwissenschaftler, Soziologe und evangelischer Theologe. Die Themen des Interviews: Glauben, Gewissen, Politik, Kirche und Staat, Asyl und Nรคchstenliebe.
Die CDU ist keine christliche Partei, aber das christliche Menschenbild ist Grundlage ihrer Entscheidungen. Keine christliche Partei bedeutet, dass sie offen fรผr Nichtchristen ist, so erklรคrte Feist im ersten Teil des Interviews.
Kirche und Staat
Das wird ja gerade hier in Sachsen zutreffen. Ich nehme an, dass viele Parteimitglieder hier Nichtchristen sind.
Ja. Gerade in einer Partei, die in der Groรstadt aufgestellt ist. Wenn man sich anschaut, wie sรคkularisiert unsere Gesellschaft ist, auch aufgrund der ostdeutschen Geschichte, dann ist das auch ganz normal.
Welche Bedeutung haben die Kirchen innerhalb des Staates?
Nach unserem Selbstverstรคndnis sind Religion und Staat voneinander getrennt. Das ist auch richtig so. Wir sind kein religiรถser Staat. Wie wir unser Leben ausgestalten, diese Gesetze sind Verhandlungen des Parlaments. Es ist nicht so, dass eine geistliche Autoritรคt darรผber wacht, ob unsere Gesetze konform mit einer Religion sind. Die Kirchen haben eine wichtige Funktion insofern, als sie bestimmte Bereiche unserer Gesellschaft abdecken, die sonst niemand abdeckt. Sie tun das auch mit einem bestimmten Verstรคndnis. Sie haben auch einen sehr hohen Grad an ehrenamtlichem Engagement, kรผmmern sich im seelsorgerischen Bereich. Eine Weltdeutung auf religiรถser Ebene, die andere Beschreibungen ergรคnzt.
Es ist ein Blick, eine Weltanschauung im besten Sinne des Wortes. Die Kirchen haben auch durch ihre Historie bestimmte Sachen in unserem Land vorangebracht. Gerade unter dem Stichwort der Nรคchstenliebe, im Bereich Krankenhรคuser Palliativstationen. Ich denke, das alles wรผrde es ohne Kirche nicht geben, weil dort grundsรคtzliche Fragen berรผhrt werden, auf die die Politik keine Antwort hat.
Islam und der Einfluss der Tรผrkei
Kรถnnten Sie sich vorstellen, dass in Zukunft auch noch andere religiรถse Mitspieler an Bedeutung gewinnen?
Es wird ja gerade hinsichtlich islamischer paritรคtischer Verbรคnde und der islamischen Sozialverbรคnde diskutiert. Im Prinzip ist so was natรผrlich mรถglich, das sehe ich schon. Ich sehe allerdings auch den unterschiedlichen Organisationsgrad bei der katholischen Kirche sowie bei der evangelischen Kirche. Wer spricht in Deutschland fรผr die Muslime? Wer spricht fรผr die Hindus? Wer spricht fรผr die Bahai? Und wen es sonst noch alles geben kann.
Habe ich jetzt jemanden vergessen? Die Buddhisten โฆ Als Protestant ist mir wichtig: In einer Leitungsinstanz, wie zum Beispiel dem Bischofsamt, hat man immer eine Stimme, die fรผr die ganze Institution spricht. Das sehe ich bei den islamischen Verbรคnden nicht.
Das ist ja auch bei der Frage des islamischen Religionsunterrichts: Wer soll eingebunden werden?
Das ist richtig und hier bin ich sehr skeptisch. Die grรถรte islamische Organisation, die DITIB, ist eine staatliche Organisation der Tรผrkei, in der Staat und Religion eben nicht getrennt sind. Und da bin ich doch sehr kritisch, ob wir im Prinzip dem Einfluss eines anderen Landes รผber den Umweg einer Religion und einer sozialen Ausprรคgung von Religion hier in Deutschland Vorschub leisten sollten. Ich wรผrde das zum jetzigen Zeitpunkt nicht befรผrworten.
Bei Einfluss eines anderen Staates kรถnnte man natรผrlich an die Katholiken als nรคchstes denken. Denen ist ja lange genug in der Geschichte vorgeworfen worden, dass sie ultramontan [auf den rรถmischen Papst bezogen] seien und nicht so richtig dem Staat ergeben.
Gut. Das ist eine Spezialitรคt. Natรผrlich ist es auch so, dass der Vatikan ja auch Botschaften, Nuntiaturen unterhรคlt. Deutschland hat ja mit Anette Schawan eine Vertreterin am Heiligen Stuhl. Die Frage des Papsttums ist letztlich eine religiรถs zu behandelnde Frage. Es war mal eine machtpolitische Frage, kein Zweifel. Aber das spielt in der heutigen Zeit รผberhaupt keine Rolle. Es hat aus meiner Sicht eher einen stabilisierenden Einfluss. Eben weil der Papst eine universale Ausrichtung hat, sich mit seiner Botschaft an jeden Menschen wendet. Das machen andere nicht.
Sie bemรคngeln also, dass die Tรผrkei ein Staatswesen ist, dass eigene staatspolitische Interessen hat.
Das wird auch deutlich, wenn die offiziellen Vertreter des tรผrkischen Staates hier nach Deutschland kommen und sagen: Anpassung und Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Kirchen: mehr Zurรผckhaltung in politischen Kommentierungen
Es gibt die Frage, ob es der Identitรคt von Kirche gut tut, wenn es eine enge Verbindung mit dem Staat gibt oder ob es da nicht eine stรคrkere Trennung geben mรผsste, damit die Kirche freier agieren kann.
Sie haben sich sehr schรถne Fragen rausgesucht. Finde ich gut. (Gedankenpause) Die Kirche sollte sich in erster Linie um die Belange ihrer Glรคubigen und der Gesellschaft kรผmmern. Kirche ist keine politische Organisation. Das vergisst sie manchmal. Sie รคuรert sich sehr schnell zu bestimmten politischen Fragen. Das ist nur dann bedenklich, wenn die eigentlichen Fragen nicht mehr diskutiert oder thematisiert werden. Eine Grundthematik der christlichen Kirchen โ und auch anderer Glaubensgemeinschaften โ ist die Mission. Mission heiรt nicht, dass man rausgeschickt wird, nur, um Leute zum Christentum zu bekehren.
Bonhoeffer hat einmal den schรถnen Satz geprรคgt: โEs gibt nichts wichtigeres als Evangelisation, wenn es sein muss auch mit Worten.โ Also auch durch Taten. Wir sind Gesandte, Diener. Wer sich erniedrigt, wird erhรถht werden. Die Bibel ist voll von solchen Aufforderungen. Deswegen wรคre fรผr mich etwas mehr Zurรผckhaltung in politischen Kommentierungen hilfreicher. Wenn man sich auch die Presse, etwa unserer evangelisch-lutherischen Landeskirche anschaut, dann werden diese Diskussionen auch gefรผhrt: Mission statt Windrรคder. Sie kennen ja die ganzen Thematiken. Ich finde die Kirchen wichtig als Gesprรคchspartner, aber ich finde genauso wichtig, dass die Ebene, auf der Kirche argumentiert, keine politische sein soll und darf, weil dann wird sie eine Akteurin unter vielen.
Der letzte Teil des Interviews wendet sich der Flรผchtlingspolitik und der Frage der Nรคchstenliebe im politischen Alltag zu. Morgen, an dieser Stelle.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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>die offiziellen Vertreter des tรผrkischen Staates hier nach Deutschland kommen und sagen: Anpassung und Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Lieber Herr Feist, meines Wissens waren es nicht โdie offiziellen Vertreterโ, sondern nur einer (Erdoฤan), der diese krasse Formulierung benutzte.
Ich verstehe den leicht islamophoben Unterton Ihrer Auslassungen sowieso nicht so richtig, aber zรผndeln sollten Sie mit so allgemeinen Formulierungen bitte mal nicht.
(Auch zur Organisiertheit anderer Religionen liegen Sie nicht richtig, aber das sollten Sie schon besser selbst in Erfahrung bringen.)