Seit Donnerstag, 7. Mai, beschäftigt ein bislang einmaliger Vorgang die Leipziger Kommunalpolitik. Ein Stadtrat droht nach einem Urteil vor dem Leipziger Amtsgericht am Donnerstag dieser Woche während der laufenden Legislatur für bis zu acht Monate im Gefängnis zu verschwinden. Fünf Monate davon würde er bei voller Haftverbüßung bereits jetzt keine Entschädigungszahlungen mehr aus dem Steuersäckel der Stadt erhalten. Seit Freitag setzt sich nun die SPD-Fraktion für eine Ausdehnung der Konsequenzen ein – es könnte eine „Lex Böhm“ entstehen.
Nach der (ersten) Verurteilung des NPD-Stadtrats Enrico Böhm am Donnerstag, gegen welche er in der nächsten Instanz in Widerspruch gehen kann, wurden Stimmen laut, welche nach Konsequenzen für sein Mandat als Stadtrat riefen. Denn erst einmal hat das Urteil vor dem Leipziger Amtsgericht keinerlei Folgen für die Wählbarkeit des Stadtrates, liegt doch das Urteil unterhalb eines Jahres.
Das Büro für Ratsangelegenheiten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber L-IZ.de: „Im Strafgesetzbuch heißt es dazu, dass jemand, der wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, verliert (§ 45 Abs. 1 StGB). Das Gericht kann dem Verurteilten auch – unter engen Voraussetzungen – für eine bestimmte Zeit die Wählbarkeit aberkennen.“
Auch von Letzerem war zumindest am Donnerstag bei der Urteilsverkündung keine Rede im Amtsgericht Leipzig.
Bislang verfallen fünf Monate Aufwandsentschädigung
Es sei denn, JVA und Staatsanwaltschaft genehmigen Enrico Böhm den entsprechenden monatlichen Freigang für eine Sitzungsteilnahme im Ratssaal, wovon derzeit nicht auszugehen ist. Möglicherweise jedoch kann er einen Teil der Strafe im offenen Vollzug verbüßen, da sich der 32-Jährige aktuell in einer Ausbildung befindet. Darüber befindet jedoch ebenfalls die Justiz, also die zuständige JVA, die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft oder gegebenenfalls gerichtlich die zuständige Strafvollstreckungskammer.
In dem Zusammenhang wäre mit Einverständnis der Behörden möglicherweise die Ausübung des Mandats möglich, jedoch unwahrscheinlich. Ebenfalls schwer vorstellbar nach den bisherigen Eintragungen im Bundeszentralregister. Hier sammelte Böhm seit 2008 immerhin 13 Einträge, Nummer 14 steht nun vor der Tür, nachdem er 2014 laut Staatsanwaltschaft in einem Akt der Selbstjustiz eine Frau versucht hatte vom Fahrrad zu treten.
Klingt zumindest nur bedingt nach einer positiven Kriminalitätsprognose und einer Haftverkürzung, doch auch hier liegt die Zustimmungsmacht bei der Staatsanwaltschaft. Bei guter Führung kann Böhm die Hälfte beziehungsweise ein Drittel der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Geschieht dies nicht, verfielen so laut städtischer Satzung fünf Monate die Aufwandsentschädigungen an den NPD-Stadtrat bei acht Monaten Haftzeit.
Erste Folgen zeichnen sich ab
Geschieht dies alles nicht und die Folgeinstanzen bestätigen das bisherige Urteil, würde das Steuersäckel der Stadt Leipzig derzeit damit rund 2.230 Euro einsparen. Darin enthalten die jeweils fünf Monatspauschalen in Höhe von 330 Euro pro Monat, die Sitzungsgelder für die Ratssitzungen von je 50 Euro und die entfallenen Zahlungen für eine LVB-Monatskarte (Stadtgebiet Leipzig), welche jeder Stadtrat erhält. Da Böhm aufgrund des fehlenden Fraktionstatus der NPD in keinerlei Ausschüssen mitarbeitet, wäre dies wohl die bisherige Gesamtsumme. Welche die SPD-Fraktion gern noch ausbauen würde, neben dem Ruf nach Konsequenzen aus dem Verhalten eines Stadtrates.
Denn seit Freitag fordern die Sozialdemokraten nun eine Anpassung der Entschädigungsregelungen für Ratsmitglieder, welche noch nie für einen Haftfall angewandt werden mussten. Statt nach drei Monaten hätten sie gern die Streichung der Zuschüsse aufgrund einer Haftstrafe mit sofortiger Wirkung. Nach ihrer Auffassung hätte der „NPD-Stadtrat … nach Haftantritt gar keine Möglichkeit (…), an der Ratsarbeit mitzuwirken, und zudem in dieser Zeit auch keinen Aufwand mit seiner Arbeit als Stadtrat (…), weil sie schlichtweg nicht stattfinden kann.“
So wird sich die SPD-Fraktion nun „dafür einsetzen, dass rechtskräftig verurteilte Straftäter, die der Ratsversammlung angehören, aber in Haft sitzen, in der Zeit keine Aufwandsentschädigung von der Stadt Leipzig erhalten.“
Ganz unwahrscheinlich ist es nicht, dass sie damit sogar Erfolg haben könnten. Denn die kommunale Entschädigungssatzung wird aktuell überarbeitet und neu diskutiert, wenn auch aus anderen Gründen. Nach den Feststetzungen aus dem Jahr 2001 soll eine Anhebung der Entschädigungen der ehrenamtlichen Arbeit in den Ausschüssen und im Stadtrat vorgenommen werden. Vorerst noch unbekannt, in welcher Höhe, jedoch dann wohl mindestens zeitweise nicht für den NPD-Stadtrat.
Dieser würde sich hingegen mit einer „Lex Böhm“ in die neuere Leipziger Stadtchronik eintragen.
Entschädigungssatzung der Stadt Leipzig (Quelle: Leipzig.de / PDF)
Keine Kommentare bisher