Was passiert eigentlich, wenn Ämter und Stadtratsfraktionen verschiedene Sprachen sprechen? Wenn Anträge einfach schon deshalb falsch interpretiert werden, weil Ämter völlig anders ticken und aus ihren (alten) Denkschleifen nicht herauskommen? - Exemplarisch exerziert das aktuell das dem Wirtschaftsdezernat unterstellte Liegenschaftsamt. Das bügelt jetzt einfach mal einen Grünen-Antrag ab.
Den hatten die Grünen am 20. Januar zum Doppelhaushalt 2015/2016 gestellt. Zu viele Fälle waren publik geworden, in denen das Liegenschaftsamt wichtige Immobilien der Stadt einfach verkauft hatte, obwohl sie für Vorhaben und Anliegen der Stadt dringend gebraucht wurden. Da war die Sache mit der Friederikenstraße 37 noch gar nicht publik – aber schon passiert.
Wer die Vorlagen für die diversen Streitfälle der letzten Jahre durchgeht, sieht überall brav das Kreuz gemacht bei den strategischen Zielen der Stadtpolitik (Arbeitsplätze, Familien). Aber darum ging es den Grünen nicht. Denn diese Kreuze stehen überall. In den meisten Dezernaten werden sie wohl schon automatisch gemacht. Niemand muss die Stringenz der Kreuze begründen, erklären, warum er sie gesetzt hat. Eine regelrechte Inflation der guten Taten für Arbeitsplätze und Familiengerechtigkeit, auch wenn der Vorgang eher das Gegenteil bewirkt, weil die Stadt zum Beispiel wichtige Grundstücke verliert, auf denen wichtige Familienprojekte (Kitas, Schulen) oder Arbeitsplätze entstehen könnten.
Deswegen forderten die Grünen auch im ersten Absatz: “Es werden keine Liegenschaften der Stadt Leipzig, ihrer Eigenbetriebe und Beteiligungsunternehmen mehr verkauft, die insbesondere jetzt und perspektivisch für die verschiedenen Bereiche der Daseinsvorsorge (insbesondere Sicherung der sozialen Infrastruktur: z.B. Kita- und Schulneubauten) geeignet sind.”
Das Wörtchen perspektivisch ist wichtig. Seit zwei Jahren diskutieren die Stadtratsfraktionen mit der Verwaltung über diese strategische Flächenbevorratung. Dazu muss man wissen, was auf die Stadt zukommt an Aufgaben, was wo mit Gebäuden abzusichern ist.
Erst im zweiten Absatz betonten die Grünen, was passieren soll, wenn dennoch Flächen verkauft werden: “Bei einem Verkauf von Liegenschaften, für die keine fachpolitische und effiziente Perspektive identifiziert werden kann, sollen ferner folgende Kernziele Berücksichtigung finden:
– Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen,
– Förderung gemeinschaftlichen, familiengerechten und generationsübergreifenden Wohnens,
– Wohnungsbau (z.B. Restflächen),
– Förderung Klima verbessernder Maßnahmen.”
Die wichtige Einschränkung ist eigentlich unüberlesbar: “für die keine fachpolitische und effiziente Perspektive identifiziert werden kann”.
So schnell aber haben die Grünen wohl noch selten eine Antwort auf einen Antrag bekommen. Man könnte die vorgelegte Verwaltungsmeinung auch überschreiben mit: “Interessiert uns nicht”.
Trocken heißt es aus dem nun seit Monaten in der Kritik stehenden Liegenschaftsamt: “Der Beschlussvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird bereits im Verwaltungshandeln des Liegenschaftsamtes umgesetzt.”
Doch richtig gelesen und verstanden hat man den Antrag dort wohl nicht. Man macht doch seine Kreuzchen. Wer will denn mehr?
“Nach den strategischen Zielen der Kommunalpolitik der Stadt Leipzig richtet das Liegenschaftsamt schwerpunktmäßig sein Handeln auf die Schaffung von Rahmenbedingungen zum Erhalt bzw. Neuschaffung von Arbeitsplätzen (wirtschaftliches Wachstum) sowie auf eine ausgeglichene Altersstruktur (Schaffung von Wohneigentum/Kinder- und Familienfreundlichkeit) aus. Diese Ankaufs- und Verkaufspolitik für städtische Grundstücke ist auf eine langfristige Stadtentwicklung ausgerichtet, die vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen, Ansiedlung von Unternehmen und die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel hat.”
Das sind die drei strategischen Ziele der Stadt. Da macht man seine Kreuze. Fertig der Lack. Das Wörtchen Daseinfürsorge? Im Liegenschaftsamt irgendwie ein Fremdwort. Es ist wie ein UFO, das zwar von strategischen Zielen redet, aber nirgendwo verbindlich gezwungen ist, seine Verkäufe an den Bedürfnissen der Stadt auszurichten.
Dabei hatten die Grünen das mit der Daseinsfürsorge extra noch einmal betont: “Aufgrund des Bevölkerungswachstums sind wir der Auffassung, dass jetzt und künftig keine kommunalen Flächen und Liegenschaften der Eigenbetriebe sowie der Beteiligungsunternehmen, die insbesondere der Daseinsvorsorge und sozialen Infrastruktur dienen könnten, zum Verkauf angeboten werden sollen. Gleichzeitig ist zielgerichtet und verstärkt wieder eine nachhaltige Flächenbevorratung, insbesondere unter diesem Gesichtspunkt der Sicherung der Daseinsvorsorge und sozialen Infrastruktur, in den Fokus zu nehmen.”
Das kann man nur in der städtischen Gesamtentwicklung sehen. Wo sind denn die Flächen für Schulen, Kitas, Asylbewerberunterkünfte, sozialen Wohnungsbau usw.? Wo müssen sie sein? Gibt es ein Dezernat in der Stadt, das diesen Bedarf ermittelt, auf Stadtteilebene verortet und das Liegenschaftsamt zwingt, diesen Bedarf abzudecken?
Hallo?
Im Liegenschaftsamt hat man die Botschaft nicht mal verstanden. Man macht doch alles richtig! Mal von der Sache mit den herrenlos herumstreunenden Häusern abgesehen: “Das Liegenschaftsamt wendet ein Verkaufsverfahren an, das den Forderungen des europäischen Rechts bzw. der europäischen Rechtsprechung nach Transparenz genügt. Städtische Grundstücke, bebaut oder unbebaut, werden grundsätzlich im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung/Grundstücksbörse angeboten. Vor der Ausschreibung/Veräußerung von Grundstücken wird bereits jetzt und auch zukünftig verwaltungsintern geprüft, ob dieses Objekt perspektivisch für die Daseinsvorsorge verwand werden kann. Dazu werden grundsätzlich Stellungnahmen von betroffenen Fachämtern eingeholt.”
Dumm nur, wenn diese Ämter betteln um Gnade, wie es das Sozialamt 2014 gemacht hat, und trotzdem kein ordentliches Angebot bekommen.
“Zur Sicherung eines vielfältigen, zum Teil auch kurzfristig verfügbaren Angebotes von Flächen unterschiedlicher Größe und Qualität wird bereits heute eine langfristig orientierte Flächenvorsorge- und Bestandsentwicklungspolitik betrieben”, meint das so erfolgreich wirkende Amt.
Es gibt 2 Kommentare
Dass massive Korruption in der Stadtverwaltung vorliegt, ist für mich persönlich ausgemachte Sache.
Das zeigt sich allein schon daran, dass viele Projekte viel zu viel Zeit brauchen; denn mafiöse Strukturen binden Arbeitskraft und Arbeitszeit.
Übrigens heißt es “Daseinsvorsorge”, nicht “-fürsorge”.
Was will man von diesem Bürgermeister und seinen Mitarbeitern halten?
Der Fisch stinkt vom Kopf!