Proteste vor der Ratsversammlung haben fast schon Tradition. So voll wie am heutigen Mittwoch war die Obere Wandelhalle allerdings zu Versammlungsterminen selten. TTIP-Gegner mit einer Darstellung der Justitia am Gängelband der Finanzwelt, ein Netzwerk von Vereinen aus verschiedenen Bereichen, die Cinémathéque wegen der Weiternutzung der ehemaligen Skala, oder das Netzwerk Ess-Klasse, sie alle bauten sich auf, um die Aufmerksamkeit der Kommunalpolitiker noch einmal punktgenau zu erreichen. Auch Bürgerrechtler, die sich um die Diskussionen in der Volkshochschule bemüht hatten, überreichten Empfehlungen.
+++Zu allen Tagesordnungspunkten wird die L-IZ im Laufe der Sitzung weiter informieren.+++
Burkhard Jung entschuldigte den leicht verspäteten Beginn der Sitzung: “Es gab viele Petitionen und Bitten um Beteiligungsformen.” In Bezug auf diese hatten die Bürgerrechtler nicht nur Forderungen an die Politik, sondern auch an die Bürger. So steht es in den übergebenen Empfehlungen, die nun auch an die Fraktionen weitergereicht werden sollen. Michael Kölsch erklärte gegenüber der L-IZ: “Es muss, braucht auch das Interesse der Bürger, aktiver an der Demokratie mitzuwirken. Gerade auf kommunaler Ebene gibt es viele Möglichkeiten. Ein Zurücklehnen und Hoffen, dass “die da oben” das schon machen werden, bringt sicher nichts.”
Die Sorgen, die in den beiden Veranstaltungen im Januar und Februar deutlich wurden, listet das Papier ebenfalls als Zusammenfassung an die Politiker auf. Dazu gehören die Befürchtung einer Islamisierung genauso wie die einer Ausweitung der Kriege auf Europa, oder dem Gebrauch des Wortes “Lügenpresse, ohne dass dies als vormaliger politischer Kampfbegriff als rechtsextrem tradiert erkannt wird”. Klar ist, die Dialogforen werden am 3. März fortgesetzt, da selbst bei tendenziell geringerem Interesse an den Demonstrationen die Themen weiter unter den Nägeln brennen werden. “Selbst wenn Legida sich auflösen sollte, vieles bewegt die Menschen ja weiter”, so der Leiter der Volkshochschule Rolf Sprink.
Bessere Infrastruktur für Vereine
In einer ganz anderen Richtung engagieren sich Vertreter vieler Leipziger Vereine. Mit dem Wegfall von vielen ABM-Stellen, stehen sie vor der Herausforderung, ihr Wirken aus dem reinen Ehrenamt zu organisieren. “Kern unseres Anliegens ist, Strukturen zu schaffen, die Hilfe zur Selbsthilfe bieten”, sagt Ralf Elsässer. Er moderierte im Zuge des Agenda-Prozesses die Diskussion der Vereine und die Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes. “Es gibt in der Stadt keine strategische Planung zur Koordination ehrenamtlichen Engagements. Die Freiwilligenagentur wäre bereit, eine Anlaufstelle für Vereine einzurichten, um Ressourcen, die ein Verein hat, vielleicht gemeinschaftlich und effizienter zu nutzen.” Damit dies geleistet werden könne, brauche es aber auch einen Willen in der Stadtverwaltung dazu. Den Verwaltungsstandpunkt zu den Vereinen kritisierte er als etwas arrogant. “Es kann nicht sein, dass die Stadt vereinfacht gesagt äußert, sie kenne ja nur die Vereine, die Förderung beantragten, die anderen bräuchten offenbar keine Unterstützung.” Dies stellt zwar eine Zuspitzung dar, doch etwas leicht macht sich die Stadt die Arbeit an dieser Stelle schon.
Kulturstätte ehemalige Skala
Auch Vertreter der Cinemathéque machten noch einmal auf ihr Anliegen aufmerksam, die ehemalige Spielstätte des Schauspiel Leipzig in der Gottschedstraße 16 für kulturelle Zwecke weiter zu nutzen. Angela Seidel erklärte hierzu: “Wir haben schon vor zwei Jahren ein Konzept eingereicht, da auch wir an einer Nutzung des Hauses interessiert wären.” Dass es Ende November dennoch am Stadtrat vorbei fast zu einem Verkauf an den Meistbietenden gekommen wäre, brachte sie in Rage. “Die Stadt darf dieses Haus mit einer langen Geschichte als öffentlicher Ort und kultureller Nutzung nicht aus der Hand geben. Zuspruch bekam sie vom Vorsitzenden der SPD, Axel Dyck, Gegenwind gab es in einer Rede zum Haushaltsplanentwurf von Uwe Rothkegel (CDU).
UPDATE 19:00 Uhr:
Noch nach 18 Uhr kochten die Gemüter noch einmal hoch, beim Punkt kulturelle Weiternutzung der Skala. Auf sie mit Gebrüll, dachte sich wohl Michael Weickert (CDU) und kritisierte lautstark Siegfried Schlegel (Die Linke), der die Vorrednerin Andrea Niermann (CDU) kritisiert hatte. “Es ist eine Frechheit einer Kollegin abzusprechen, sie würde im Interesse der Stadt handeln, darauf hat jeder Stadtrat einen Eid geleistet.” Die Lautsprecher trieb er bei dieser Äußerung an den Anschlag, sorgte aber nach über vier Sitzungsstunden, dafür, dass trotz schlechter Luft alle Anwesenden wieder wach wurden. Schlegel hatte zuvor betont, dass die Gottschedstraße 16 ihm als Leipziger sehr am Herzen liege und er einen Verkauf nicht nachvollziehen könne.
Den beiden Punkten, um die es den Fraktionen Die Linke und Bündnis90/Die Grünen ging, wurde zugestimmt:
Das Grundstück Gottschedstraße 16 (ehemalige Spielstätte Skala) wird einer dauerhaften kulturellen Nutzung zugeführt. Die Stadtverwaltung bietet diese potenziellen Nutzern aus der Freien Szene gezielt für Erbbaurecht oder Kauf an.
Eine Wiedereröffnung wird von der Stadtverwaltung unterstützt.
Skadi Jennicke sagte gegenüber der L-IZ: “Mit der Annahme des Antrags von Linken und Grünen haben wir erst mal nur den Verkauf gestoppt und müssen die weitere Entwicklung beobachten.” Daran, dass sie selbst gerne eine kulturelle Weiternutzung sähe, ließ sie beim geschichtlichen Abriss keinen Zweifel. Gegenüber der L-IZ erklärte sie nach der Abstimmung: “„Ich freue mich, dass die Skala auch weiterhin kulturell genutzt wird. Es werden dort keine Luxuswohnungen entstehen. Ich denke, das waren wir der Theatertradition dieser Stadt schuldig. Jetzt beginnt die Arbeit für ein tragfähiges kulturelles Konzept.“
Einen für die weitere Diskussion wichtigen Punkt sprach Gesine Märtens (Bündnis90/Die Grünen) an: “Es liegt ein großartiges Nutzungskonzept für das Haus als Filmkunsthaus vor, die Einreicher der Cinemathéque könnten mit Ach und Krach 800.000 Euro aufbringen. Damit reden wir nur über einen Fehlbetrag zum festgestellten Verkehrswert von 60.000 Euro. Ein Verkauf wegen dieser Summe wäre für mich nicht nachvollziehbar.”
Für eine TTIP-freie Kommune
Gegner der Freihandelsabkommen TTIP und CETA wiesen auf die schwerwiegenden Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung hin. “Natürlich wird das Thema auf europäischer Ebene behandelt, aber unser Ziel ist, 10.000 Kommunen zusammenzubekommen, die sich nicht nur im Städtetag sondern auch einzeln gegen das Abkommen aussprechen und so Druck ausüben”, so Dominik Pietron und Hendrik Lenk vom Leipziger Netzwerk “Vorsicht Freihandel”. “Immerhin gibt es schon ein leichtes Umdenken in Leipzig, noch im November lautete ein Verwaltungsstandpunkt: Wir haben unsere Position im Städtetag deutlich gemacht, das muss genügen.” Nun werde eben auch einem Antrag der Linken zugestimmt, die Ablehnung von TTIP noch einmal durch den Stadtrat zu beschließen.
UPDATE 17:50 Uhr:
Ein Antrag der Fraktion Die Linke auf eine Resolution zu den Freihandelsabkommen TTIP mit den USA, CETA mit Kanada und des multinationalen Dienstleistungsabkommens TiSA appelliert an die beschließenden europäischen Gremien sich für eine Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung einzusetzen und diese daher von den Verhandlungen auszunehmen. “Ein Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft und die sich daraus ergebende Steuerung der Gesundheitsleistungen könnte durch TTIP gefährdet sein, sofern Klinikbetreiber in den USA hier eine Ungleichbehandlung geltend machen”, begründete Skadi Jennicke. Ebenso gebe es Bedenken bezüglich der Sicherheit einer kommunalen Wasserversorgung. Kritik an Ihrer Rede übte Stefan Georgi (CDU): “Die Resolution ist unnötig, da sie gleichlautend ist mit der Position des Deutschen Städtetages. Ich hoffe, der Stadtrat wird in Zukunft nicht gleichermaßen von eigentlichen Aufgaben abgelenkt werden.” Der Resolution wurde mit 20 Gegenstimmen von CDU und FDP zugestimmt.
Verpflegungssituation von Schülern
Mit immer mehr Ganztagsangeboten an den Schulen, ist auch die Verpflegung eine infrastrukturelle Frage. Zu dieser war das Netzwerk “Ess-Klasse” Leipzig mit einem Stand präsent und verteilte Löffel mit einem Knoten an die Stadträte. “Damit möchten wir die Abgeordneten ermahnen, die Suppe auszulöffeln, die sie den Schulen einbrocken”, so Rosemarie Schneider. “Weder das Platzangebot an vielen Schulen noch die Pausenzeiten reichen für ein Mittagessen aus.” Sie selbst engagiert sich seit 1977 ehrenamtlich und sieht erhebliches Verbesserungspotenzial. Hierzu steht auch eine Bürgeranfrage auf der Tagesordnung.
Schutzschirm Vereine
“Die Vereine sind das Rückgrat der Stadtgesellschaft”, leitete Skadi Jennicke (Die Linke) ihre Begründung zum Antrag auf einen Schutzschirm für Vereine ein. Wobei das Wort Schutzschirm nach Phänomenen wie dem Bankenschutzschirm etwas in die Irre führt. Es ist keine finanzielle Unterstützung gefordert, lediglich eine Bedarfsanalyse, auf deren Basis den Vereinen das weitere Engagement erleichtert werden soll. Hierzu sollen Stadtverwaltung und Vereine eine Strategie erarbeiten. Das Verfahren soll laut Antrag öffentlich ablaufen. Ein Änderungsantrag der Grünen fordert ergänzend dazu eine Leitstelle Bürgerschaftliches Engagement bei der Stadt, sowie eine Servicestelle, die extern den Vereinen beratend zur Seite steht.
Nach einigem formellen Hick-Hack um die Reihenfolge der Abstimmung wurden folgende Punkte beschlossen:
Das Stadtbüro bekommt die zusätzliche Funktion einer Kontaktstelle für Vereine und Verbände. Dort werden Beratungen zu Antragsfristen und Zuständigkeiten innerhalb der Stadtverwaltung angeboten.
Die Freiwilligenagentur erhält zunächst 20.000 Euro für Personal zusätzlich, um Vereine, Verbände und Initiativen bei der Absicherung und Entwicklung ihrer Arbeitsfähigkeit zu unterstützen.
Darüber hinaus werden folgende Punkte als Stellungnahme des Stadtrates zur Vorlage „Grundbekenntnis zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements in der Stadt Leipzig (DS-00794/14)“ eingereicht:
Der Zuwendungsbericht der Stadt soll künftig um folgende Punkte erweitert werden:
– eine Aufgliederung der gesamten Förderung nach der Pflichtigkeit der mit der Förderung übernommenen Aufgaben (freiwillige Leistungen, weisungsfreie Pflichtaufgaben, weisungsgebundene Pflichtaufgaben)
– eine Aufgliederung der gesamten Förderung nach Fachbereichen, hierbei mit den Teilsummen institutionelle und Projektförderung.
Das Konzept zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements soll folgende Aspekte aufnehmen:
– eine Darstellung dazu, vor welchen Herausforderungen die Vereine und Verbände durch Wegfall von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen stehen und wie das Ehrenamt künftig strukturell und finanziell gestärkt werden kann.
– eine Darstellung, wie die Anerkennungskultur für bürgerschaftliches Engagement weiterentwickelt werden kann sowie
– eine Überprüfung der städtischen Fachförderrichtlinien und der Rahmenrichtlinie vor dem Hintergrund der Anregungen im Beteiligungsprozess und der veränderten Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Tätigkeit.
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