Man liebt ihn ja fรผr seine zuweilen unverhofften Stellungnahmen zur Leipziger Politik. Konrad Riedel, Stadtrat der CDU, wackerer Kรคmpfer fรผr die Belange der Behinderten, Senioren und FuรŸgรคnger und Vorsitzender der Leipziger Senioren-Union. Dieser Club der รคlteren CDU-Mitglieder hat sich nun gegen den Modal Split im neuen Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr und รถffentlicher Raum ausgesprochen. Da wird wohl die CDU-Fraktion am 25. Februar gegen den STEP stimmen. Wie erwartet.

Getrommelt wurde ja heftig seit November. Die Resolution der IHK-Vollversammlung hat Wirbel gemacht. Genauso wie eine รคhnliche Positionierung aus der Kreishandwerkerschaft Leipzig.

Die Diskussion darรผber, was der Modal Split (also die Art der tรคglichen Wege der Leipziger zu Arbeit, Einkauf, Ausbildung Freizeit โ€ฆ) mit dem Wirtschaftsverkehr zu tun hat, nahm dabei zum Teil irrationale Zรผge an. Oft genug wurde aber auch sichtbar, wie krampfhaft versucht wurde, den Wirtschaftsverkehr irgendwie in den Modal Split hineinzuquetschen.

Davon ist auch Konrad Riedel nicht frei. Und so erzรคhlte er am Dienstag, 10. Februar, der Leipziger Volkszeitung: โ€œSchon die Einteilung in ,Individual-โ€˜ oder ,Wirtschaftsverkehrโ€˜ ist lebensfremd. Denn der Anteil der Leipziger, die auf StraรŸen einfach nur spazierenfahren, liegt wohl eher bei einem als bei zehn Prozent. Letztlich ist fast jede Fahrt in der Stadt eine Wirtschaftsfahrt, denn sie kostet etwas und bringt Unternehmens- und damit Gewerbesteuereinnahmen.โ€

Da mรผsste die Stadt Leipzig ihren STEP Verkehr jetzt also komplett umschreiben, denn damit fรผhrt Konrad Riedel ja eine vรถllig neue Definition von Wirtschafts- und Individualverkehr ein โ€“ den er dann auch noch mit Freizeitverkehr verwechselt. Den gibt es extra โ€“ hรผbsch nachlesbar in den jรคhrlichen Bรผrgerumfragen, wo es quasi einen jeweils eigenen Modal Split gibt fรผr jeden einzelnen Lebensbereich (Arbeit, Ausbildung, Einkauf, Freizeit, Innenstadt).

Zur Arbeit fahren zum Beispiel werktags 51 Prozent der Leipziger mit dem Auto (Bรผrgerumfrage 2013), 22 Prozent nehmen Bus und Bahn, 18 Prozent das Fahrrad.

Zum Einkauf ist es noch deutlicher. Da hat Konrad Riedel Recht, wenn er der LVZ erzรคhlt: โ€œDie Zahl der รคlteren Bรผrger Leipzigs steigt in den nรคchsten Jahren stetig an, damit auch die derjenigen, die das Auto fรผr ihre Einkรคufe benutzen mรผssen โ€“ weil der Leipziger Stadtentwicklungsplan Zentren mit seiner Center-Politik den Einzelhandel groรŸflรคchig verdrรคngt hat.โ€

Dafรผr lieben wir den knorrigen CDU-Mann. Denn damit hat er Recht. Und ist zu recht sauer. Denn diese seit รผber 15 Jahren auf Center fixierte Politik hat ganze StraรŸen leer gefegt von kleinen, laufnahen Geschรคften. Nicht weil die groรŸen Mรคrkte so schรถn bequem alles auf einem Fleck bieten, sondern weil sie den kleinen Hรคndlern die notwendigen Mindestumsรคtze abgeluchst haben. Konrad Riedel hat es ja vor รผber 15 Jahren als selbststรคndiger Bรคckermeister in der Delitzscher StraรŸe selbst erlebt. Durch den Umbau der Delitzscher StraรŸe und den Bau des Eutritzsch-Zentrums sind 34 kleinere Geschรคfte im Umkreis verschwunden. Auch seine Bรคckerei, die auch nach der รœbernahme durch einen anderen Betreiber keine Chance hatte.

Konrad Riedel zur LVZ: โ€œSo gibt es zwischen Eutritzscher Markt und Wiederitzsch gar kein Geschรคft mehr. Deshalb erledigen viele nicht nur รคltere Bรผrger ihre Einkรคufe per Auto einmal wรถchentlich in den Centern oder auf der grรผnen Wiese. All diese Leute mit dem Rad loszuschicken, ist unmรถglich.โ€œ

Manchmal ist es auch einfach gefรคhrlich, weil die Verkehrsstrukturen fรผrs Radfahren jenseits einiger ausgebauter Routen geradezu kรผmmerlich bis hochgefรคhrlich sind. Nicht nur fรผr ร„ltere.

Und die Zentren-Struktur sorgt dafรผr, dass viele Leipziger sich teils animiert, teils gezwungen sehen, fรผr den Familieneinkauf das Auto zu nehmen. 56 Prozent der Leipziger taten das 2013. Eine Verรคnderung ist nicht in Sicht. Mit dem Fahrrad fuhren 10 Prozent zum Einkauf, 23 Prozent aber gingen zu FuรŸ.

Wobei zu betonen ist: Es gibt lรคngst drei Lebensbereiche, in denen das Auto in Leipzig schon lange nicht mehr die Nr. 1 ist.

Das beginnt mit der Innenstadt (wo nur 24 Prozent der Leipziger noch unbedingt mit dem Auto hinfahren), geht in der Ausbildung weiter (27 Prozent) und hat ja bekanntlich 2012 auch erstmals den Freizeitverkehr erfasst, als das Fahrrad grรถรŸere Anteile hatte als das Auto (2013 gab es da mit 36 : 36 Prozent einen Gleichstand).

Diese Werte in der Bรผrgerumfrage zeigen recht deutlich, dass sich die Verkehrsmittelwahl von Lebensbereich zu Lebensbereich oft gravierend unterscheidet und dass sich Verkehrsverhalten auch verรคndert, wenn sich die Bedingungen fรผr manche Verkehrsarten (bessere Radwege z.B.) verbessern. Das kann man nicht erzwingen. Und von Zwang ist im ganzen 100-Seiten-Entwurf zum STEP Verkehr auch keine Rede. Und aus gutem Grund wird Wirtschaftsverkehr nicht mit Individualverkehr vermischt. Nicht mal Leipzigs Verwaltung kรคme auf die Schnapsidee, Handwerker nun mit dem Fahrrad fahren zu lassen oder Lieferdienste mit der StraรŸenbahn.

Fรผr alle Verfechter der wilden Vermischung der Verkehrsarten sei hier Wikipedia zitiert: โ€œMit Wirtschaftsverkehr werden die Ortsverรคnderungsprozesse von Gรผtern, Personen und Nachrichten bezeichnet, die im Rahmen der Produktion von Gรผtern (z. B. Waren, Dienstleistungen) bzw. zur Ver- und Entsorgung von Wirtschaftseinheiten (Industrie, Gewerbe, Handel) stattfinden.โ€

Leipzig wรคre schlecht beraten, wenn es auf diese klare und notwendige Unterscheidung ausgerechnet im STEP Verkehr verzichtet. Denn sie hilft bei der Orientierung. Auch wenn es tatsรคchlich um Diskussionen zu Verkehrsprojekten geht โ€“ dann gibt es nรคmlich immer klassische Runden, bei denen gezielt die Vertreter der Wirtschaftskammern eingeladen werden, um die Interessen des Wirtschaftsverkehrs zu klรคren und im Projekt zu verankern (Parkplรคtze, Lieferzonen usw.).

Und nicht nur die anderen Fraktionen im Stadtrat sind mittlerweile genervt von diesem wilden Versuch, die ganze Nomenklatur in Leipzig neu erfinden zu wollen. Deswegen werden SPD, Grรผne und Linke am 25. Februar eher der Fortschreibung des ursprรผnglichen Modal Split aus dem Entwurf vom Januar 2014 zustimmen, aber keinem Antrag, den Modal Split ganz zu streichen. Eine gewisse Orientierung muss sein. Der Stadtrat braucht auch ein gedrucktes Argument in der Hand, um die Stadt beim umweltgerechten Umbau der Verkehrsnetze voranzutreiben.

Auch aus Sicht der Umwelt- und Verkehrsverbรคnde lenkt die von der CDU angeschobene Diskussion vom Eigentlichen ab.

โ€žDurch die ร„uรŸerungen der fรผhrenden Kรถpfe der Leipziger Wirtschaftsverbรคnde in den letzten Tagen und Wochen wird klar, dass dort in Unkenntnis der tatsรคchlichen Sachverhalte offenbar plumpe Lobbypolitik betrieben wirdโ€œ, moniert Kerstin Dittrich, Sprecherin der Leipziger VCD-Ortsgruppe.

Die Kammern selbst saรŸen mit am Tisch, als der Entwurf des STEP Verkehr Konturen annahm. โ€žMan kann nicht erst Ziele mitverhandeln, und dann den gefundenen Konsens in Frage stellenโ€œ, kritisiert sie. Und was sie besonders รคrgert, ist die Verachtung, die dahinter steckt โ€“ all den anderen Leipzigern gegenรผber, die Zeit und Energie geopfert haben, um gemeinsam eine neue Verkehrsvision fรผr Leipzig zu entwickeln. โ€žDamit wird die mehrjรคhrige Bรผrgerbeteiligung durch einseitige Interessenpolitik aufgekรผndigt und ad absurdum gefรผhrt.โ€œ

Am 25. Februar liegt ein 100-Seiten-Papier zur Entscheidung im Stadtrat auf dem Tisch, das im Grunde exemplarisch zeigt, dass Bรผrger, Initiativen und Verbรคnde in Leipzig durchaus in der Lage sind, Verkehrspolitik gemeinsam zu gestalten. Diese Gemeinsamkeit wird seit drei Monaten torpediert.

Die Stellungnahme des VCD zur aktuellen Diskussion als pdf zum Download.

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โ€œโ€ฆauch ohne CDUโ€ฆโ€
Diese Erfahrung, diese Erkenntnis, so man sie nicht รผbersieht, wird ein Glรผck sein fรผr unsere Stadt.
Welch produktive, beschleunigende Kraft frei werden kann, so ganz ohne am Alten stur โ€œfesthaltendenโ€ Konservatismus, es scheint mir unvorstellbar.
Visionen und frische Gedanken werden weit โ€ฆ.

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