Im Endspurt um die Neuwahl im Wahlkreis 9 taten sich in den letzten Tagen - ein echtes Novum, wie William Grosser von der Linkspartei erklärt - die demokratischen im Leipziger Stadtrat vertretenen Parteien zusammen, um gemeinsam für eine hohe Wahlbeteiligung am heutigen Sonntag, 12. Oktober, zu werben. Zumindest sie haben begriffen, was für verheerende Folgen die Entscheidung der Landesdirektion zur Ungültig-Erklärung der Stadtratswahlergebnisse hat.

Denn das, was die Landesdirektion in ihrer Entscheidung zur Ungültig-Erklärung der Stadtratswahl im Wahlkreis 9 als Begründung angeführt hat, könnte sich mit dem, was am heutigen 12. Oktober, passiert, geradezu als Bagatelle erweisen.

Zur Erinnerung: Die Landesdirektion hatte das Wahlergebnis nicht akzeptiert, weil die NPD mit einem Kandidaten auf der Liste vertreten war, der gar nicht hätte antreten dürfen, weil er vorbestraft war. Er hatte 1.650 Stimmen auf sich vereint und die Annahme der Landesdirektion ging dahin, dass diese Stimmen dann höchstwahrscheinlich zur CDU abgewandert wären.

Das ist eine Vermutung, die nicht wirklich so nachvollziehbar ist. Denn dieselben Wähler hätten auch durchaus der Wahl fern bleiben können oder eine Partei wie die AfD als wählbare Rechtspartei ankreuzen können. Dass die CDU dadurch einen Platz mehr im Stadtrat bekommen hätte, grenzt schon arg an Spekulation.

Dass eine komplette Neuansetzung der Wahl im Wahlkreis 9 völlig unverhältnismäßig war, sah auch die Stadt so. Sie schloss sich letztlich der Klage zweier Kandidaten an – die dennoch vom Verwaltungsgericht abgewiesen wurde.

Also sind heute noch einmal 44.000 Leipziger in Mockau-Süd, Mockau-Nord, Gohlis-Mitte, Eutritzsch, Seehausen und Wiederitzsch aufgerufen, ihre Kandidaten zu wählen.

Am 25. Mai waren knapp 17.500 von ihnen zur Wahl gegangen. 39,8 Prozent. Das war – im Leipzig-Vergleich – kein schlechter Wert. Stadtweit lag die Wahlbeteiligung bei 42,1 Prozent. Das ist zwar nicht viel – erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass parallel die Kandidaten zum Europaparlament gewählt wurden -, aber mit 39,8 Prozent Wahlbeteiligung lag der Wahlkreis 9 nicht allzu weit drunter. Andere Wahlkreise – wie der Wahlkreis 6 oder der Wahlkreis 1 lagen mit 34,1 bzw. 35,8 Prozent noch erheblich tiefer.

Und das bedeutet, dass die reine Mathematik zuschlägt. Denn nach der Wahlbeteiligung richtet sich am Ende die Zahl der Angeordneten, die aus dem einzelnen Wahlkreis in den Stadtrat entsandt werden. Im Normalfall bekommt jeder der zehn Wahlkreise am Ende sieben Abgeordnete. Aber nur, wenn die Wahlbeteiligung überall ähnlich hoch ist.Aber das war auch schon am 25. Mai nicht der Fall. Die genannten Wahlkreise 1 und 6 wurden für die niedrige Wahlbeteiligung direkt “bestraft”: Der Wahlkreis 1 konnte nur fünf Sitze im Stadtrat besetzen, der Wahlkreis 6 sogar nur vier. Womit der Leipziger Osten und Grünau im neuen Stadtrat deutlich unterrepräsentiert sind.

Der Wahlkreis 9 schaffte gerade so seine sieben Mandate: Zwei gingen jeweils an die CDU und die Linke, je einer an Grüne, SPD und AfD.

Wenn aber am heutigen Sonntag die Wahlbeteiligung deutlich unter die 39,8 Prozent fällt, bedeutet das für den Wahlkreis 9 dasselbe, was die niedrigere Wahlbeteiligung auch schon für die Wahlkreise 1 und 6 bedeutet hat: Von den hier aufgestellten Kandidaten schaffen weniger den Sprung in den Stadtrat. Auch dann, wenn sich an den Prozenten der einzelnen Parteien am Ende nichts ändert. Eine Wahlbeteiligung von 35 Prozent würde auch im Wahlreis 9 die Zahl der dort vergebenen Mandate auf 5 sinken lassen. Wird selbst nicht einmal dieser Wert erreicht, dann wird es ganz haarig und der Wahlkreis besetzt noch weniger als 4 oder 5 Sitze.

Negativ ist das immer. Denn Stadträte sind in der Politik nun einmal die Einzigen, die tatsächlich direkt in ihren Wahlkreisen verwurzelt sind und ein großes Interesse daran haben, dass die Probleme ihres Wahlkreises auch in der Stadtpolitik Widerhall finden. Sie heben die Probleme aus ihrem direkten Lebensumfeld auf die Tagesordnung des Stadtrates, boxen sie in ihrer Fraktion und in den Ausschüssen durch.

Doch wenn die Wahlbeteiligung in anderen Wahlkreisen deutlich höher ist, entsenden diese auch mehr Stadträte ins Stadtparlament. Der Wahlkreis 4, der Leipziger Süden, hatte zum Beispiel am 25. Mai eine Wahlbeteiligung von 49 Prozent. Das bedeutet 9 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung. Der Wahlkreis 0 (Leipzig-Zentrum) hatte zwar ebenfalls eine Wahlbeteiligung von 49 Prozent – weil er aber zu den bevölkerungsstärksten Wahlkreisen in Leipzig gehört, bedeutet das sogar 13 Mandate im neuen Stadtrat.

Die Mandate, die der Wahlkreis 9 bei niedriger Wahlbeteiligung verliert, gehen zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht den einzelnen Parteien verloren, aber sie wandern ab zu Kandidaten aus Wahlkreisen mit höherer Wahlbeteiligung. Zum Beispiel in den Süden oder in den Südwesten, wo die Wahlbeteiligung mit 45 Prozent ebenfalls höher lag als im Wahlkreis 9.

Und da auch das Trommelfeuer des stadtweiten Wahlkampfs fehlt, sind die Wähler im Norden heute ganz allein. Im Grunde geht es nur darum, die Wahlbeteiligung vom 25. Mai wieder einigermaßen zu erreichen, um im Stadtrat wenigstens mit sieben Kandidaten vertreten zu sein. Für echte Verschiebungen im Wahlergebnis müssten schon einzelne Parteien exorbitante Steigerungen nicht nur in der Prozentzahl, sondern in der Zahl der aktivierten Wähler hinlegen.

Die Verschiebungen könnten selbst innerhalb der CDU-Fraktion passieren: Am 25. Mai legten Gerd Heinrich (CDU) mit 5.524 und Andrea Niermann (CDU) mit 3.480 Stimmen im Wahlkreis 9 sehr ordentliche Ergebnisse hin. Sollten sie ein paar tausend Stimmen weniger bekommen, könnten an ihrer Stelle CDU-Kandidaten aus anderen Wahlkreisen zum Zug kommen. Dasselbe gilt für William Grosser bei den Linken und Alrun Tauché bei den Grünen.

Eine niedrige Wahlbeteiligung würde – zumindest für die Wähler aus dem WK 9 – eine richtige Bestrafung sein und das, was die Landesdirektion als “Reparatur” eines Wahlfehlers angewiesen hat, in seinen Folgen vervielfachen.

Das Einzige, was diese Folge verhindern kann, ist eine Wahlbeteiligung, die sich möglichst nicht unter der vom 25. Mai einpegelt.

Wem also sein Ortsteil lieb ist, der geht heute zur Wahl.

Korrektur: Im Artikel ist eine Formulierung zur Klageabweisung durch das Verwaltungsgericht wohl ein wenig zu knapp und verkürzt geraten, so dass diese möglicherweise falsch verstanden werden könnte. Ein aufmerksamer Leser der L-IZ teilte uns per Leserbrief mit: “Sie schreiben, die Klagen der Stadt Leipzig sowie der beiden Stadtratskandidaten wurden abgewiesen. Dies ist nicht korrekt. Richtig ist vielmehr, dass nur über die Anträge im einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Darin hatten die Kläger beantragt, die Neuwahl bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klagen aufzuschieben. Wann nun über die Klagen selbst entschieden wird, zeichnet sich noch nicht ab.” Vielen Dank für den Hinweis.

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