In der Stadtratssitzung am 15. Oktober war es Thema. Da stand die Frage im Raum, wie sich die Zukunft der Wagenleute gestaltet, die auf dem Jahrtausendfeld in Plagwitz ein städtisches Stell-Plätzchen gefunden haben, aber nun weichen müssen, wenn die Stadt hier endlich mal Schulen baut. Währenddessen tun sich auch noch neue Wagenplätze auf. Erst am 23. Oktober meldete die Wagenplatzgruppe Rhizomia aus dem Leipziger Osten: Wir sind jetzt auch da!

Die Stadt wächst. Und sie tut es auf unterschiedliche Weise. Und nicht jede Weise passt in die klassischen Muster – entweder Eigenheim oder Mietwohnung. Nicht jeder will so leben. Gerade in Zeiten, da moderne Stadtgesellschaften über alternative Lebensmuster zumindest diskutieren. Oft nicht sehr konsequent oder mit den alten Bleigewichten an den Füßen, wie es seit dem Frühjahr die Diskussion um das Wohnungsmarktpolitische Konzept der Stadt zeigt. Man kann zwar die ganze Stadt durchdefinieren und Stadt und Privat hübsch trennen und beleitplanken. Aber schon der erste Ansatz zeigte, wie schwer sich auch Leipzigs Politik tut, das Ungewohnte und Außergewöhnliche mitzudenken. Das hat nicht immer mit Geld zu tun, oft einfach mit Freiräumen, Lebenskonzeptionen und dem großen Wunsch nach Unabhängigkeit, der immer mehr junge Menschen umtreibt.

So beschrieb am 23. Oktober auch die Gruppe Rhizomia ihr Programm: “Es ist ein stetig wachsender Bedarf an unkommerziellen nutzbaren Flächen für alternative Wohnformen in der Stadt Leipzig zu verzeichnen. So auch bei der Gruppe Rhizomia, die seit dem Wochenende im Leipziger Osten angesiedelt ist. Ingeborg C. äußert sich erleichtert, dass die Deutsche Bahn nicht eskalativ gegen das Projekt Rhizomia vorgeht. Die Deutsche Bahn zeigt sich bereit zu Gesprächen mit der Projektgruppe. Die Stadt hält sich vorerst bedeckt.”

Das trifft zwar auf das konkrete Projekt zu, das nun einmal auf Grund und Boden im Besitz der Bahn entstanden ist. Aber zumindest die Diskussion innerhalb der Stadtverwaltung ist erst einmal eröffnet – mitsamt den Schwierigkeiten, die die Verwaltung in der aktuell verfügbaren Gesetzgebung sieht, denn der Gesetzgeber hat Wagenplätze als Element städtischen Wohnens überhaupt nicht im Programm.

Unterstützung bekommen die Wagenleute freilich von politischer Seite – insbesondere von Grünen, Linken und SPD.

Zum Projekt Rhizomia, das sich am 18. Oktober in Volkmarsdorf statuierte, äußerte sich gleich am 23. Oktober die Linke-Stadträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel.
“Eine wachsende Stadt muss sich auch auf einen größeren Bedarf an Flächen und Räumen für alternative Lebensformen einstellen. Dazu gehören Wagenplätze. Es ist längst nicht damit getan, eine Fläche zur Verfügung zu stellen, wie es nach langen verwaltungsinternen Verhandlungen nun als Alternative zum Interims-Platz am Karl-Heine-Kanal (Jahrtausendfeld) geschehen wird”, stellte sie zum Thema fest. “Rhizomia ist nach dem Trailerpark das zweite Wagenkollektiv, das Platz im Leipziger Osten sucht.”

“Trailerpark” hatte im Mai 2014 eine Fläche der Deutschen Bahn in der Schultze-Delitzsch-Straße in Besitz genommen. Seitdem verhandeln DB und Stadt Leipzig eine alternative und rechtssichere Lösung.

“Die Wagenplatz-BewohnerInnen werden dabei allerdings außen vor gelassen”, kritisiert Nagel. “Bei der Suche nach dauerhaften Flächen für Wagenplätze braucht es eine Kommunikation auf Augenhöhe. Sowohl die Bedürfnisse nach Rechtssicherheit bei der Nutzung von Flächen als auch das Bedürfnis nach bedarfsgerechten Plätzen im Stadtgebiet haben ihre Berechtigung und müssen in Einklang gebracht werden. Dabei ist zu beachten, dass die Wagenplatz-Szene heterogen ist. Verschiedene Kollektive haben verschiedenen Vorstellungen von Nutzungsmodellen und Örtlichkeiten. Das muss seitens EigentümerInnen und Stadtverwaltung berücksichtigt werden.”

Ihre Empfehlung, das Thema anzugehen: “Empfehlenswert wäre, einen Runden Tisch ‘Wagenplätze’ einzuberufen, an dem alle betroffenen Seiten – Stadtverwaltung, FlächeneigentümerInnen und WagenplatzbewohnerInnen – und die Politik beteiligt werden und an dem gemeinsam nach individuellen Lösungen gesucht wird.”

Ein Vorschlag, den SPD-Stadtrat Mathias Weber begrüßt.

“Der Vorschlag von Juliane Nagel, einen Runden Tisch ‘Wagenplätze’ einzuberufen, ist richtig. Es gibt in Bezug auf die Wagenplätze an der Schulze-Delitzsch-Straße, auf dem Jahrtausendfeld und an der Fockestraße Redebedarf. Grundsätzlich gehören Wagenplätze zu einer vielfältigen Großstadt wie Leipzig dazu. An vielen Stellen profitiert Leipzig beispielsweise vom kulturellen Engagement von Wagenplatzinitiativen”, erklärt Weber, der die SPD auch im Fachausschusses Stadtentwicklung und Bau vertritt. “Vor dem Hintergrund der Grundstücks- und Mietpreisentwicklung und dem einhergehenden Verwertungsdruck auf mindestens zwei der oben genannten Flächen, sollte auch diese Wohnform Gegenstand des Wohnungspolitischen Konzeptes werden. Perspektivisch müssen planerische Instrumente für diese Wohnform gefunden werden.”

Ein Problem sieht er freilich im knappen Grundstücksbestand der Stadt.

“Teilen der Wagenplatzszene muss aber auch klar sein, dass die Stadt keine Grundstücke zu verschenken hat, da deren Anzahl begrenzt ist und es konkurrierende Nutzungen, beispielsweise für Sozialinfrastruktur, gibt”, benennt er das Thema, das freilich für die gesamte wohnungspolitische Diskussion eine wichtige Rolle spielt. “Der Legislative und Exekutive muss klar werden, dass die Wagenszene heterogen ist und es auch weiterhin politisch motivierte Besetzungen geben kann.”

Doch um das Thema überhaupt erst mal in eine Art Arbeitsmodus zu befördern, mache ein Runder Tisch Sinn, um Bedürfnisse und Möglichkeiten zu klären und Grundlagen für dauerhafte Lösungen zu finden, so Weber.

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