Seit gestern Abend ist klar: Mit einer knappen Mehrheit von 33 zu 26 Stimmen bei 5 Enthaltungen und einer oberbürgermeisterlich flott eingesammelten FDP hat der Leipziger Stadtrat dem Zuschuss von einer Million Euro für den 100. Katholikentag den Weg geebnet. Ratsentscheidungen, welche nicht die Pflichtaufgaben der Stadt betreffen, bringen eine Möglichkeit des Widerspruchs mit sich. Die Leipziger Bürger können sich mit einem Bürgerentscheid dagegen aussprechen oder die Entscheidung durch eine eigene Abstimmung so "absegnen". Wenige Stunden nach dem Beschluss bildet sich eine erste Initiative für ein Bürgerbegehren gegen die Zahlung der Steuergelder heraus.
Wer gedacht hatte, es kehre Ruhe ein um die Frage, wie viel Geld der Katholikentag vom Steuerzahler erhalten soll, dem seien die Kommentare der letzten Stunden im Netz empfohlen. Natürlich sind auch diese nicht repräsentativ, aber sie zeigen mehrheitlich in eine Richtung: So nicht! Neben dem Ärger über die Großzügigkeit des Rates keimen auch die sozialen Gerechtigkeitsfragen ebenso weiter wie die nach Sinn und Nutzen des Zuschusses ohne transparente Begründung. Fragen, welche mit der Entscheidung am gestrigen Abend nicht geklärt werden konnten. Stattdessen versuchten vor allem Ursula Grimm (CDU) und Burkhard Jung (SPD) die Nachfragen in einem Schwall von moralisierenden Worten zu ersticken.
Offen blieb also auch die Frage, warum eine auch durch die Katholische Kirche mit 20 Prozent co-finanzierten Veranstaltung der Steuerzahler außerhalb der gepflegten Gewohnheiten vergangener Jahre überhaupt beteiligen soll. Und warum diese Verquickung zwischen staatlichen und kirchlichen Geldern offenbar vollkommen normal sei. Für den Initiator Marco bras dos Santos eines der Themen, welche ihn zum Aufruf für ein Bürgerbegehren trieb. Die Frage des bekennenden Christen auch: Wie weit reicht der Geist der humanistischen Aufklärung bereits wirklich in die heutige Gesellschaft hinein?
“Auch unter Christen gibt es Menschen, welche die Errungenschaften der Aufklärung und der Französischen Revolution aus dem Jahr 1794 zu schätzen wissen. Ich zähle mich zu dieser Personengruppe, jedoch geht es nicht um sie oder mich. Die Trennung von Kirche und Staat hat in Deutschland, durch die Weimarer Reichsverfassung, erst 1919 Einzug gehalten und die Norm wurde mit Art 137 in unser heutiges Grundgesetz übernommen. So wenig wie ich im Islamischen Staat leben möchte, möchte ich im Christlichen Staat leben, sondern in einem Staat, der seine Neutralität bewahrt. Wenn nach knapp hundert Jahren die Trennung von Kirche und Staat immer noch nicht angekommen ist, läuft meiner Ansicht nach etwas falsch.”
Konkret zeige sich für Santos diese Schieflage in der demokratischen Kultur auch an der Wahlbeteiligung zur Stadtratswahl am 25. Mai, bei welcher nur noch 41,8 Prozent teilgenommen hätten. “Ohne das politische System als solches infrage zu stellen, stelle ich die Frage an die Demokratische Legitimation unserer Regierenden und das mit nicht geringerem als der Frage nach der ersten Million.”
Obwohl es aus seiner Sicht wichtigere Themen geben könnte, um sich stärker über Bürgerbegehren zu engagieren, gehe es ihm mittlerweile auch ums Prinzip der Legitimation solcher Entscheidungen in Zeiten wackliger Sozialausgaben und Sparhaushalte. Und um das Engagement der Bürger für die Belange ihrer Stadt. So hofft Marco bras dos Santos darauf, “dass sich eine breitere Diskussion über den fragwürdigen Beschluss des Stadtrates entfacht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Entscheidung mehrheitlich von den (Nicht)wählern getragen wird. Mit dieser Million geht es um ein Prinzip. Den Ausflug die desaströse Außenpolitik, die inländische Sozialpolitik oder die schlicht militärische Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle spare ich mir an dieser Stelle.”
Interessanterweise ein Ansinnen des Leipzigers, was erst vor kurzem der amtierende Bundespräsident auf dem zurückliegenden Katholikentag im Mai 2014 in Regensburg wortmächtig einforderte. So verlangte Joachim Gauck nach Medienberichten mehr gesellschaftliches Engagement von den Deutschen. “Die “grassierende Gleichgültigkeit” sei besorgniserregend, sagte Joachim Gauck bei einer Podiumsdiskussion beim Katholikentag. “Viele Menschen denken, Leben ereignet sich einfach so”, beklagte er. Es sei aber für eine Gesellschaft von Nachteil, den “größten Schatz unserer individuellen Möglichkeiten” nicht zu heben.” so Gauck laut Spiegel Online vom gleichen Tage. Weiter heißt es da: “Eine Ursache für diese Entwicklung ist nach Einschätzung Gaucks, dass es vielen Menschen in Deutschland gut geht: `Wenn unser Leben uns in den Schoß fällt, denken wir nicht mehr daran, dass wir es gestalten und verantworten müssen.'”
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Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, nennt in seiner Begründung für die feststehende Entscheidung, den 100. Katholikentag in Leipzig auszurichten, die “Lebendigkeit des bürgerlichen Engagements” als einen der Gründe, sich für die Messestadt zu entscheiden. “Wir freuen uns auf einen Jubiläumskatholikentag in einer hochinteressanten und kreativen Stadt, die mit ihrer reichen Geschichte, ihrer spannenden Kultur und der Lebendigkeit des bürgerlichen Engagements dieses größte Treffen katholischer Christen bereichern wird. Ich bin sicher, dass vom Katholikentag ein wichtiger Impuls für die Gestaltung von Kirche in einer modernen Gesellschaft ausgehen wird”, so Alois Glück am 11. Juli 2014.
Wie dieser Impuls aussieht und ob er gar in einer erstmaligen Verweigerung eines staatlichen Zuschusses an die katholische Glaubensgemeinschaft ist, dass könnte sich über einen Bürgerentscheid klären lassen.
Wie gut es der Mehrheit in Leipzig so geht und wie lebendig und welcher Art das bürgerliche Engagement in Leipzig ist, könnte sich mit einer Frage an die Bürger “Soll die Kommune Leipzig eine Million Euro für den Katholikentag 2016 bezahlen – Ja oder Nein” sicher feststellen lassen. Auch, ob die Menschen bereit sind, sich im Falle einer grundsätzlichen Zustimmung oder einer Ablehnung des Vorhabens aktiv darüber zu informieren. Eine tiefere thematische Befassung mit dem Jahres-Großereignis vom 25. bis 29. Mai 2016 wäre dafür ebenso dringend nötig, wie mit dem Konstrukt des ZdK, der Kirche und der Verstrickungen über jährliche Steuergeldzuflüsse, wenn es zu einer Entscheidungsfrage kommen sollte. Auch eine Chance also, dass sich große Teile der 80 Prozent nichtkonfessionell gebundenen Leipziger mit der Katholischen Kirche, dem Wirken des ZdK, dem christlichem Glauben und Religionen allgemein eingehend befassen könnten. Hie und da könnten so sicher Vorurteile abgebaut werden und das Wissen reifen, welches am Ende zu einer bewussten Wahl im Rahmen eines Bürgerentscheides zu einer kommunalen Sach- und Geldfrage führen würde.
Dass sich dafür auch die Informationspolitik des Zentralkkomitees der Katholiken und vielleicht auch der katholischen Kirche ändern müsste, um für den Zuschuss zu werben, könnte ein weiterer Effekt eines solchen Entscheides sein. Würdig einer Bürgerstadt wie Leipzig wäre er allemal.
Initiator Marco bras dos Santos hat begonnen, sich mit Leuten, die das Begehren unterstützen würden, zu vernetzen und eine Webseite sowie eine Facebookseite dafür eingerichtet. Seine Hoffnung für das Bürgerbegehren, welches einen Entscheid einfordern könnte: “Vielleicht lässt sich, innerhalb der Widerspruchsfrist, eine kritische Menge gegen den Beschluss mobilisieren. Nach meinem aktuellen Kenntnisstand liegt diese ca. bei 22.500.” Wichtig ist Santos dabei eines zu betonen: “Gastfreundschaft und Toleranz sind für mich ein Selbstverständnis. Deshalb werde ich bei Erfolg der Aktion, rund um den 100. Kirchentag, meine Wohnung auf Couchsurfing zur Verfügung stellen.”
Kommuniziert werden soll das Vorhaben vor allem auf der Facebookseite der Initative “Bürgerbegehren: Keine Finanzierung des Katholikentages”
https://www.facebook.com/katholikentagleipzig
Zur Webseite von “Bürgerbegehren: Keine Finanzierung des Katholikentages” mit dem vollständigen Erst-Aufruf
http://hashtagpeace.blogspot.de/2014/09/burgerbegehren-keine-finanzierung-des.html
Zur Pressemitteilung des Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) vom 11. Juli 2014
Leitung für den 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig gegründet
Zum Artikel vom 29. Mai 2014 auf Spiegel Online
Bundespräsident auf Katholikentag: Gauck beklagt grassierende Gleichgültigkeit der Deutschen
Die Regularien zur Einleitung eiens Bürgerentscheides auf Leipzig.de (Zahlen des Quorums veraltet, 2011)
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