Mit der Odermannstraße 8 verliert die NPD eine der wichtigsten Anlaufstellen für Neonazis in Sachsen. Wie der Leipziger Kreisvorsitzende Enrico Böhm am Donnerstag mitteilte, setze er künftig auf eine dezentrale Stadtteil-Strategie, um Interessenten besser erreichen zu können. Das klingt nach viel heißer Luft.
Eröffnet im November 2008, fanden in dem zweigeschossigen Flachbau Schulungsabende, Konzerte, Zeitzeugenvorträge und sogar Kampfsport-Stunden statt. Der Leipziger Kreisverband nutzte das Zentrum als Kreisgeschäftsstelle, der verstorbene Landtagsabgeordnete Winfried Petzold hatte dort sein Bürgerbüro und die “Jungen Nationaldemokraten” richteten dort zeitweise ein “Nationales Jugendzentrum” ein.
Die NPD konnte hinter dem meterhohen Metallzaun treiben, was sie wollte. Das Bauordnungsamt ging Verstößen gegen die Baugenehmigung nur halbherzig nach. Eigentümer Steven H. ist ein Anverwandter Petzolds. Allerdings scheint sich dessen Interesse an einem festen NPD-Stützpunkt im Leipziger Westen in Grenzen zu halten.
Zwar behauptet die Partei, das Haus aus strategischen Überlegungen aufgegeben zu haben. Wahrscheinlicher sind wirtschaftliche und personelle Aspekte. Neben der Miete fallen Betriebskosten an. Anwesen und Räumlichkeiten müssen gepflegt werden. Offenbar übersteigen diese Anforderungen die Ressourcen des Leipziger Kreisverbands, der selbst in Szenekreisen als Altherren-Riege verschrien ist. Daher scheint die Behauptung von Parteisprecher Jürgen Gansel, die Entscheidung sei vor der Landtagswahl getroffen worden, sogar halbwegs glaubwürdig zu sein.
Zwar formierte sich im Vorjahr unter Anleitung der vorbestraften Kader Alexander Kurth und Enrico Böhm wieder eine JN-Ortsgruppe. Allerdings täuschen die zahlreichen Wahlkampfaktionen, der Aktionismus gegen die geplante Moschee in Gohlis und geplante Flüchtlingsheime einiger weniger Aktivisten nicht über die Starre hinweg, in der sich die Leipziger NPD seit Jahren befindet.
Die Messestadt ist nach Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz die sächsische Gemeinde, in der zahlenmäßig die meisten Rechtsextremisten ansässig sein sollen. Trotzdem gelingt es den Nationaldemokraten nicht, aus diesem Personenpotenzial nachhaltig Kapital zu schlagen. Subkultur geht vielen Nazis offenbar vor Politik. So ist die derzeit größte organisierte Neonazi-Gruppe in Leipzig “Scenario Lok”.
Enrico Böhm entstammt diesem Fußball-Milieu. Am Rande von Lok-Spielen kam der Lok-Anhänger mit der Neonazi-Szene in Berührung. Er schloss sich den “Blue Caps Le” an. Die schlagfertige Hooligan-Combo spannte Böhm, dem Beobachter eine tonangebende Rolle zuschrieben, spätestens 2008 für seine politischen Zwecke ein.
Lok Leipzig reagierte unter dem damaligen Präsidenten Steffen Kubald erst, nachdem die Gruppe im Oktober 2008 im Internet zur Teilnahme an einem Aufmarsch aufrief, den die “Freien Kräfte” organisiert hatten. Böhm genießt seither bei Lok-Spielen Hausverbot. Die “Blue Caps” dürfen ihre Embleme nicht mehr im Stadion zeigen. Sowohl Böhm als auch die Hooligans verstießen gegen die verhängten Restriktionen, ohne dass dies große Folgen hatte. Erst 2013 bestätigte der neu gewählte Vereinsvorstand Böhms Hausverbot und setzt dieses auch durch.
Der Neonazi ist seit Juli 2014 Kreisvorsitzender der NPD. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Mai errang er das einzige Stadtratsmandat für die Rechtsaußen-Partei. Zur Schließung der Odermannstraße äußerte sich Böhm am Donnerstag dahingehend, dass Interessenten künftig “vor Ort abgeholt” werden sollten. Eine zentrale Anlaufstelle sei daher nicht zielführend. “Aus meiner Mannschaft heraus werden künftig Regionalvertreter erwachsen, die für die Menschen in den Wahlkreisen sicht- und kontaktierbar sein werden”, kündigte Böhm an. In Anbetracht der dünnen Personaldecke wohl mehr heiße Luft denn ein realistisches Ziel.
Zum Artikel vom 11 September 2014 auf L-IZ.de
Gute Laune in Lindenau: Die Odermannstraße 8 verliert den Zaun + Jubelkundgebung
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