So langsam scheint sich am Horizont ein neues Problem für Leipzig zusammenzubrauen: der knapper werdende Wohnraum im Zusammenhang mit dem verstärkten Bevölkerungswachstum. Für die Linksfraktion war das im April Anlass, einen Antrag zu schreiben, damit sich der Stadtrat mit dem Thema auch einmal in einer wohnungspolitischen Stunde beschäftigen kann. Jetzt liegt der Standpunkt der Verwaltung vor, der empfiehlt, das Ganze um ein Jahr zu vertagen.
Dabei weiß selbst OBM Burkhard Jung, dass da etwas im Gange ist, womit noch vor zehn Jahren niemand gerechnet hat. Mittlerweile vergleicht er das Wachstum Leipzigs mit dem um 1900, als Leipzig sich zur 600.000- und 700.000-Einwohner-Großstadt mauserte, Schulen und Kirchen im Akkord gebaut wurden und die Wohnungsprobleme tatsächlich nie gänzlich gelöst wurden. Nach am Vorabend des 1. Weltkrieges und auch danach in den 1920er Jahren war die Wohnungsnot ein Thema – und der soziale Wohnungsbau stand ganz oben auf der Agenda. Das war die Zeit, als die Leipziger Wohnungsgenossenschaften entstanden und mit modernen Konzepten daran gingen, nicht nur bezahlbaren Wohnraum für Geringverdiener in Größenordnungen zu bauen, sondern auch auf, für damalige Verhältnisse, moderne Ausstattungen zu achten.
Aber da endet der Vergleich mit der Gegenwart, denn in den modernen, für heutige Verhältnisse klein wirkenden, Wohnungen lebten oft genug Familien mit drei, vier und mehr Kindern. Wenn Burkhard Jung heute von einer Stadt spricht, die für 600.000 Einwohner gebaut wurde, dann darf er diese Verhältnisse nicht außer Acht lassen. Und auch nicht die Tatsache, dass etwas heute die Bevölkerungszusammensetzung bestimmt, was vor 100 Jahren eher die Ausnahme war: die große Zahl von Ein-Personen-Haushalten. Jeder zweite Haushalt ist so ein Ein-Personen-Haushalt. Und das sind seltener jene Personen, die man so leichthin Singles nennt, als vor allem ältere Menschen, die auch im hohen Alter noch eigenständig leben.
Man kann also recht getrost zugrunde legen, dass die einst für 600.000 Menschen gebaute Stadt heute den Zuschnitt für 500.000 Menschen hat – etwas erweitert um die 1999 und 2000 eingemeindeten Ortsteile.
Auch der jüngste Monitoringbericht “Wohnen” der Verwaltung zeigte recht deutlich, dass die aktuelle Wohnungsmarktreserve der Stadt sich in den letzten beiden Jahren deutlich verringert hat. Offiziell galten 2013 noch 27.000 Wohnungen als leerstehend. Aber vermietbar waren nach diesem Bericht aktuell nur rund 9.000. Vielleicht mögen es 10.000 sein. Aber das ist eine für einen funktionsfähigen Wohnungsmarkt notwendige Reserve, damit Umzüge überhaupt möglich werden.
Insofern unterscheidet sich das wachsende Leipzig von 2014 doch vom wachsenden Leipzig des Jahres 1914. Und ein Fakt erschwert das Umsteuern: Der gigantische Berg an Vorschriften, der heutigen Wohnungsbau praktisch nur noch finanzierbar macht, wenn am Ende Mieten um die 10 Euro pro Quadratmeter genommen werden können. Das funktioniert in einigen gehobenen Lagen in der Innenstadt, aber nicht in der Fläche. Denn selbst bei Mieten um 5 Euro sind die einkommensschwächeren Haushalte in ihrem Monatsbudget schon zu 30, 40 und mehr Prozent belastet. Da ist kein Spielraum mehr, wenn nicht das passieren soll, was in steigenden Fallzahlen die Stadt schon längst beschäftigt: Stromabschaltungen, Kündigungen, Verdrängung. Nur dass der Verdrängung Grenzen gesetzt sind durch den vorhandenen, noch freien, Wohnraum.
Was fehlt – und was ganz sicher ein Thema der Landespolitik werden muss – ist ein Förderprogramm für sozialen Wohnungsbau. Mit dem sich der Freistaat schwer tut, denn parallel zwingt ihn die andauernde Abwanderung aus den ländlichen Räumen dazu, dort Rückbauprogramme zu finanzieren. Auch das unterscheidet das Jahr 2014 vom Jahr 1914.
Und die ersten Workshops zum Wohnungspolitischen Konzept haben gezeigt, dass es im 21. Jahrhundert auch nicht machbar ist, nur mit den Wohnungs- und Immobiliengesellschaften zu diskutieren. Denn Leipzig hat gerade in den letzten 15 Jahren auch Erfahrungen mit alternativen Wohnmodellen gesammelt. Die Stadt würde ein Stück ihrer eigenen, gern gefeierten Erfolge preisgeben, wenn sie die Pioniere aus diesen Wohnfeldern nicht mit einbezieht.
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Aber den Zeitdruck sieht Leipzigs Verwaltung noch nicht so, wie ihn einige Mieter im Stadtgebiet schon spüren.
Und so lautet denn der Alternativvorschlag, den das Planungsdezernat und das Sozialdezernat gemeinsam formuliert haben: “Im Stadtrat wird im Zusammenhang mit der Vorlage zur Neufassung des Wohnungspolitischen Konzepts eine ausführliche wohnungspolitische Diskussion geführt.”
Der Zeitplan steckt in der Begründung: “In Umsetzung des RBV-1793/13 ist die Vorlage mit der Neufassung des Wohnungspolitischen Konzepts für das 1. Quartal 2015 geplant. Die im Antrag genannten Themen werden im Zuge des Prozesses zur Erarbeitung des Wohnungspolitischen Konzepts behandelt, weswegen eine Diskussion darüber in diesem Zusammenhang geführt werden wird und in der entsprechenden Stadtratssitzung ein angemessenes Zeitfenster zur Verfügung stehen sollte.”
Der ursprüngliche Antrag der Linksfraktion, der im Oktober 2013 vom Stadtrat beschlossen wurde:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/39EE8E7E87C1FC68C1257B6A002F8696/$FILE/V-429.pdf
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