Am Samstag, 31. Mai, demonstrierte das Netzwerk "Leipzig für Alle" und "Recht auf Stadt" für die Entkriminalisierung von alternativen Wohnformen und Wagenplätzen in Leipzig. Da und dort loderte auch die Sorge auf, dass bald Schluss sein könnte mit alternativen Freiräumen in Leipzig. Die Grünen sind jedenfalls der Meinung, dass die Stadt jetzt dafür sorgen sollte, dass freie Räume für andere Lebensvorstellungen bewahrt werden, bevor alles dicht ist.

“Die Parameter der Stadtentwicklung haben sich in den letzten Jahren in Leipzig verändert: Leerstand und Stadtumbau waren gestern, aktuell sind Aufwertung, Mietsteigerungen und Verdrängungsdruck zentrale Themen der Stadtentwicklung. Das hat den Wohnungsmarkt zwar spürbar belebt, führt auf der anderen Seite aber zu deutlich höheren Mieten und Verdrängung”, meint Jürgen Kasek, Vorstandssprecher des Kreisverbandes der Grünen.

Noch gibt es die freien Flächen. Wie an der Schulze-Delitzsch-Straße in Volkmarsdorf, wo die Gruppe Trailerpark vor einer Woche ein neues Camp aufgemacht hat. Aber das Gelände gehört noch der Bahn und die war sich nicht wirklich schlüssig, ob sie die Wagenleute auf den Gelände dulden möchte, obwohl es seit Jahrzehnten brach liegt. Es gibt zwar Pläne der Stadt, hier vielleicht mal einen Stadtteilpark zu entwickeln. Aber getan hat sich dazu seit drei Jahren nichts mehr.

“Wir begrüßen, dass die Deutsche Bahn als Grundstückseigentümerin zunächst die Duldung für die Gruppe Trailerpark auf einem Gelände an der Schulze-Delitzsch-Straße im Leipziger Osten ausgesprochen hat, langfristig muss es aber auch darum gehen, dass alternative Wohnformen innerhalb der Stadtpolitik generell stärkere Berücksichtigung finden”, findet Diana Ayeh, Stadträtin der Grünen.

Leipzig hat zwar noch längst nicht die Wohnraumprobleme wie sie etwa Berlin hat. Aber auch dort hat die offizielle Politik im Warten auf die großen Investoren und Sanierer das Thema Freiräume völlig vernachlässigt. In Leipzig findet die Verdrängung bislang erst punktuell statt. Aber die Grünen sehen das durchaus als Warnzeichen: “Gerade in jüngerer Zeit erleben wir immer wieder, dass von Menschen entwickelte Freiräume, aufgrund des wirtschaftlichen Verwertungsdrucks kommerzialisiert werden und verschwinden. Aktuell davon betroffen sind die Elsterwerke und die Diskussion um den Fockeplatz 80.”Eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zur Situation von Wagenplätzen hatte ergeben, dass die Stadt derzeit wirtschaftliche Interessen an innerstädtischen Standorten gegenüber alternativen Wohnformen klar vorziehe. Die Antwort beleuchtete aber auch das rechtliche Dilemma, denn alle Fragen um Immobilienbesitz sind in Deutschland klar geregelt. Keinerlei Regelung aber gibt es zum Umgang mit Wohnformen, die nicht auf Besitz an Grund und Boden fußen. Aktuell, so betonte die Stadtverwaltung, sei eine Duldung der Wagenplätze die sinnfälligste städtische Strategie. Aber das bietet den alternativ Wohnenden andererseits natürlich so gut wie keine Sicherheit.

“Es ist zu begrüßen, dass die Stadt Wagenplätze prinzipiell duldet, aber es ist leider auch zu erwarten, dass zukünftige Entscheidungen über eine Tolerierung an attraktiven Standorten negativ ausfallen werden. Wir fordern daher, dass die Stadt mit den Nutzern in Dialog tritt, um kurz- und langfristig Möglichkeiten für die Realisierung und Etablierung alternativer Wohnformen in der Stadt zu schaffen”, fordert Ayeh. “Zielsetzung muss es sein, Freiräume, die gerade zur Attraktivität von Leipzig beitragen, zu erhalten und dafür zu sorgen, dass die Stadt für alle Menschen bezahlbar bleibt.”

Für die Grünen seien eine soziale Mischung in Wohnvierteln und lebendige Freiräume ein Teil der Attraktion verschiedener Quartiere. Eine nachhaltige Stadtentwicklung fördere neben der Funktionsmischung innerhalb der Stadtteile auch die soziale Mischung von Bewohnenden unterschiedlicher Einkommensklassen, Haushaltstypen und Lebensstile. Diese Heterogenität biete den Raum für eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensentwürfe, die gegenseitig voneinander profitieren könnten. Sie eröffne Chancen für den Austausch und die gegenseitige Hilfe zwischen Angehörigen unterschiedlicher Erfahrungswelten, betonen die Grünen.

Es ist – so betrachtet – auch der Gegenentwurf zu einer geschlossenen Stadt mit homogenen Bevölkerungsstrukturen, wie sie zuletzt von der CDU im Leipziger Nordwesten diskutiert wurde. Womit die Grünen auch ein Thema benennen, das in Leipzig gern unter den Tisch gekehrt wird: Wie sehr soziale und kulturelle Unterschiede Quartiere auch lebendig machen, weil sie den Dialog geradezu erzeugen. Und zwar nicht nur den über Konflikte. Dass Leipzig seit 20 Jahren von der Vielfalt dieser Möglichkeiten profitiert, sollte gerade jetzt, da die Stadt in einigen Bereichen beginnt, sich zu saturieren, eine Rolle spielen in der Diskussion über die Zukunft der Wohnungspolitik.

Eine Mischung privater, gemeinschaftlicher und öffentlicher Freiraumtypen soll angestrebt werden, fordern die Grünen. “Freiräume, die sich gegenseitig durchdringen, bieten eine hohe Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten. Durch Nutzungskonzepte wie ‘urban gardening’ und Gemeinschaftsgärten können Bewohnerinnen und Bewohner von Großstädten in ihrem direkten Wohnumfeld mit Natur in Berührung kommen. Dies ist ist eine wichtige Möglichkeit, Natur mit ihren Kreisläufen wieder erfahrbar zu machen und somit ganz allgemein das Verantwortungsbewusstsein der Umwelt gegenüber zu fördern. Hierbei muss eine Verstetigung und damit der Erhalt von alternativen Zwischennutzungen angestrebt werden.”

Womit man bei der nicht unwichtigen Frage ist, die gerade junge Leute und Kreative sich stellen, wenn sie nach Leipzig kommen: Wo sind die Freiräume für Experimente und was – verflixt – kostet das? – Denn das dicke Geld ist auch im Jahr 2014 nicht bei den jungen Haushalten zu finden. Doch wenn Wohnungspolitik nach klassischem Muster umgesetzt wird, dann sind es die mit dem kleinen Geldbeutel, die weichen müssen.

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