Noch sind sie nicht drin, aber die Chancen stehen nicht schlecht dafür, dass auch die Piraten nach der Wahl am 25. Mai einziehen in den Leipziger Stadtrat. Aber wieviel Einfluss rechnen sie sich tatsächlich aus auf eine Stadtpolitik, die oft schon in tief ausgefahrenen Gleisen fährt? - Die L-IZ hat Werner Willeke, den Vorsitzenden der Leipziger Piraten, gefragt.
Die Stadt hängt voller Plakate und trotzdem hat man das Gefühl, den Leipzigern ist die Wahl des neuen Stadtrates weitestgehend schnuppe. Nur 41,2 Prozent der Leipziger beteiligten sich 2009 an der Stadtratswahl. Gibt es einen guten Grund, warum sie diesmal wählen gehen sollten? Oder können sie beruhigt zu Hause bleiben?
Plakativ: Wem Leipzig egal ist, der kann zu Hause bleiben. Diejenigen, die Leipzig lieben und freundlicher und schöner machen wollen, sollten sich bitte überlegen, wer am ehesten ihr Leipzig freundlicher und schöner oder gar bunter machen will. Wir müssen uns klar machen, dass wählen gehen zwar notwendig ist, aber nicht reicht. Die Bürger müssen Politik und Verwaltung immer wieder daran erinnern, dass diese Vertreter sind, keine Herrscher.
Warum glauben Sie, dass Ihre Partei wichtig für Leipzig ist? Oder ist der Antritt zur Wahl schon reine Gewohnheit?
2009 haben wir in Leipzig noch nicht mal als Piraten-Kreisverband existiert. Insofern ist das für uns keine Gewohnheit, sondern in Gegenteil sogar eine Premiere.
Man könnte sagen: Unsere Partei ist unwichtig. Wichtig sind unsere Ideen. Wir glauben daran, dass Leipzig kreativ ist und wollen die Verwaltung dazu bewegen, auch kreativ zu sein, weil es manchmal gar nicht viel Geld braucht, sondern nur den Willen, etwas zu tun. Wir möchten Politik zu mehr Spaß verhelfen, ohne als Spaßpartei abgestempelt zu werden. Wir möchten die Leipziger mitnehmen, denn es ist ihre Stadt. Dazu wollen wir unsere Entscheidungen und den Weg dahin nachvollziehbar offenlegen.
Politik ist ein zähes Geschäft. Sind Ihre Kandidatinnen und Kandidaten besonders masochistisch, dass sie sich das fünf Jahre lang antun wollen? Oder ist das einfach die Pflicht eines Demokraten, auch dann anzutreten, wenn mit Lorbeer nicht zu rechnen ist?
Engagement ist vielleicht immer etwas masochistisch, denn man setzt sich, indem man etwas tut, auch immer der Kritik Anderer aus. In der Öffentlichkeit zu stehen, macht einen gerade in der Politik angreifbar und ein bisschen “nackt”.
Sich für etwas zu engagieren beruht auch auf Gefühlen und wenn andere die eigenen Ideale und Ziele nicht teilen oder sogar geringschätzen, kann das verletzend sein.
Dennoch haben wir uns in den letzten fünf Jahren in Leipzig mit Stadtratssitzungen, Beschlussvorlagen, Vereinen, Initiativen, Satzungen etc. ehrenamtlich auseinandergesetzt. Jetzt sind wir bereit, das auch in Verantwortung im Stadtparlament zu tun.
Und wer sagt denn, dass nicht mit Lorbeer zu rechnen ist? Da wir frische Ideen haben, sind wir da eigentlich ganz optimistisch.Was ist aus Sicht Ihrer Partei der größte Fehler, der in den letzten Jahren in Leipzigs Politik gemacht wurde? Und wie wäre das aus Ihrer Sicht zu reparieren?
Der Stadtrat hat sich von der Verwaltung vielleicht ein wenig zu sehr die Butter vom Brot nehmen lassen. Wie sonst sind Spekulationen um Wasserwerke oder “Herrenlose Grundstücke” zu erklären? Ursache könnte hier auch das “Leipziger Modell” gewesen sein, das oftmals in faulen Kompromissen statt hartem Ringen um die beste Lösungen endete.
Auch der Verkauf einiger städtischer Betriebe war definitiv ein Fehler.
Und welchen Erfolg schreiben Sie Ihrer Partei in der Leipziger Kommunalpolitik der letzten fünf Jahre zu? Gibt es überhaupt einen?
Die Piraten haben bundesweit einige Ideen auf die Tagesordnung gebracht, die auch in die Programme anderer Parteien Einzug gehalten haben: fahrscheinloser ÖPNV, mehr Transparenz, Liveübertragung der Ratssitzungen, Einwohnerbeteiligung über Internet-Werkzeuge… Piraten wirken!
Ist mit dem Leipziger Modell im Stadtrat überhaupt vernünftige Politik zu machen? Oder finden Sie, dass es Zeit ist für ein anderes Modell? Und für welches?
Das Leipziger Modell hat sich nicht bewährt. Es sorgt oft für Kuschelkurs, wo lebhafte Diskussion nötiger wäre. Aus heutiger Sicht erscheint dies als große Klüngelrunde, bei der politische Positionen austauschbarer Einheitsbrei wurden. Unserer Überzeugung nach muss Politik Spaß machen können, sollte aber faktenbasiert diskutiert werden.
Das radikale Gegenstück mit ausdefinierter Regierung und Opposition behindert in seiner Starre allerdings auch manch produktives Arbeiten. Es ist gut, Kompromisse zu suchen, die auf möglichst breite Zustimmung stoßen. Dies macht aber am Ende auch austauschbar und beliebig.
Welches Projekt in der Leipziger Politik sollte in den nächsten fünf Jahren unbedingt umgesetzt werden?
Wir sollten durch gelebte Anerkennung von Privatinitiativen das schlummernde Potential der Kreativen dieser Stadt wecken. Viele kleine Schritte, die Leipzig mit jedem Zentimeter besser machen. Dazu müssen wir die Bürger der Stadt ernster nehmen, auf Ängste eingehen, ins Gespräch kommen, kommunizieren, Politik transparenter, also sichtbarer und nachvollziehbarer und verständlicher vermitteln.
Ein erster schöner Schritt wäre es, sich endlich in Gänze um den Wilhelm-Leuschner-Platz zu kümmern – jenseits von kleinlichen Denkmustern wie Denkmal und Markthalle. Dies wäre ein Projekt, wo sich jeder Leipziger mit einbringen könnte.
Und welches sollte unbedingt unterlassen werden?
Volker Külow für die Linkspartei
Petra Cagalj-Sejdi und Jürgen Kasek für die Grünen
Leipzig soll weiter eine weltoffene und freundliche Stadt bleiben. Von Ängsten getriebene, rückwärtsgewandte Politik gehört nicht zu Leipzig. Wir brauchen Mut, Lebensfreude, Witz und Charme. Kurzum, Leipzig sollte der Sonnenplatz unter den Städten sein. (Und von der weiteren Privatisierung von städtischem Eigentum sollte man wirklich die Finger lassen. Wir denken da zuallererst ans Stadtbad.)
Wie finden Sie die Informationspolitik Ihrer Partei? Wissen die Leipziger überhaupt, was Ihre Mannschaft in den vergangenen Jahren alles getan und erreicht hat?
Nein, das wissen viele Menschen nicht. Es ist verständlich, dass hauptsächlich über im Stadtrat vertretene Parteien berichtet wird. Trotzdem würden wir uns wünschen, dass auch abseits von spektakulären Aktionen über unsere Arbeit berichtet werden würde und die Regelung mancher Redaktionen, nur über Fraktionen des Stadtrates zu schreiben und zu sprechen, endlich mal gestrichen wird.
Wie halten Sie es mit der Transparenz der Stadtpolitik? Ist für die Bürger überhaupt nachvollziehbar, was in Rathaus und Stadtrat vor sich geht? Und sollte das nicht geändert werden? Haben Sie einen Vorschlag?
Mehrere. Unsere gemeinsamen Live-Übertragungen der Stadtratssitzungen waren ein erster Schritt. Eine bessere Information der Einwohner über die Entscheidungsprozesse in der Verwaltung wäre der nächste Schritt. Ein Informationsportal mit verständlich aufbereiteten Daten ein weiterer. Und wir möchten erreichen, dass endlich auch die Ausschüsse des Stadtrates öffentlich tagen.
Keine Kommentare bisher