Nicht nur in der Stadtratsfraktion, auch im Kreisverband pflegen Leipzigs Grüne inzwischen konsequent das Prinzip der Doppelspitze. Deswegen antworten auf die 10 etwas anderen Fragen der L-IZ zur Stadtratswahl am 25. Mai sowohl Petra Cagalj-Sejdi (PS), Vorstandssprecherin, als auch Jürgen Kasek (JK), Vorstandssprecher der Leipziger Grünen.
Die Stadt hängt voller Plakate und trotzdem hat man das Gefühl, den Leipzigern ist die Wahl des neuen Stadtrates weitestgehend schnuppe. Nur 41,2 Prozent der Leipziger beteiligten sich 2009 an der Stadtratswahl. Gibt es einen guten Grund, warum sie diesmal wählen gehen sollten? Oder können sie beruhigt zu Hause bleiben?
PS: Kommunalpolitik ist die direkt Ebene, die unmittelbar das Lebensumfeld der Menschen gestaltet. Wer sich also nicht nur darüber aufregen will, wenn etwas nicht funktioniert, der sollte sein demokratisches Grundrecht wahrnehmen und wählen gehen und noch besser, sich darüber hinaus engagieren. Nicht jede(r) LeipzigerIn hat dieses Recht. Es gibt fast 33.000 Menschen in unserer Stadt, die weder an der Europawahl noch an der Kommunalwahl teilnehmen dürfen, da sie keine EU-Bürger sind. Viele von ihnen leben schon über 10 Jahre hier, arbeiten hier, zahlen Steuern, gestalten das Leben in unserer Stadt mit und dürfen trotzdem nicht mitbestimmen. Allein schon für diese Mitmenschen sollten wir am Sonntag wählen gehen.
JK: Weil Sie es können. Aus meiner Sicht gibt es soviel verbesserungsbedürftige Sachen, egal ob das Fragen des Lärmschutzes, der Familienfreundlichkeit oder im Bereich der Stadtentwicklung und des Umwelt- und Klimaschutzes sind, dass jeder Mensch, sein Grundrecht wahrnehmen sollte, um darüber mit zu entscheiden. Es ist noch nicht so lange her, dass Menschen um dieses Recht gekämpft haben. Das sollten wir nicht vergessen.
Warum glauben Sie, dass Ihre Partei wichtig für Leipzig ist? Oder ist der Antritt zur Wahl schon reine Gewohnheit?
JK: Wir stehen für umfassenden Umwelt- und Klimaschutz, einer familienfreundlichen Stadt mit einer umfassenden Bürger-, bei uns eigentlich Einwohnerbeteiligung, deren Grundlagen Informationsfreiheit und Transparenz sind. Ein Großteil der Initiativen und Anträge in diesem Bereich gehen auf die Arbeit der Fraktion zurück. Wir werden auch zukünftig unbequem bleiben und immer wieder nachhaken. Die Wähler müssen entscheiden, was Ihnen wichtig ist.
Politik ist ein zähes Geschäft. Sind Ihre Kandidatinnen und Kandidaten besonders masochistisch, dass sie sich das wieder fünf Jahre lang antun wollen? Oder ist das einfach die Pflicht eines Demokraten, auch dann anzutreten, wenn mit Lorbeer nicht zu rechnen ist?
PS: Mit Masochismus hat das nichts zu tun, eher mit dem Willen zur Gestaltung und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Unsere KandidatInnen möchten Leipzig aktiv mitgestalten und Verantwortung übernehmen, ich glaube das zeichnet uns aus. Die Erfolge und der Zuspruch der BürgerInnen, die wir dabei erzielen, sind die Lorbeeren, die wir ernten.
Was ist aus Sicht Ihrer Partei der größte Fehler, der in den letzten Jahren in Leipzigs Politik gemacht wurde? Und wie wäre das aus Ihrer Sicht zu reparieren?
JK: Es fehlt an Ideen wie Leipzig in 5 bis 10 Jahren aussehen soll, wo die Schwerpunkte sind. Entsprechend fehlt es an einer klaren Prioritätensetzung und einer strategischen Planung, wie die Ziele erreicht werden sollen. Beispiel: Wenn wir Leipzig als Kulturstadt entwickeln wollen, muss die Frage der Struktur und Finanzierung geklärt werden und es kann nicht jedes Jahr aufs Neue die Strategie in Frage gestellt werden. Beispiel Lindenauer Hafen: Wenn das Gelände so spannend für Investoren ist, wäre es sinnvoller gewesen, dass die Stadt dort kein Geld investiert und das über private Investoren in einem städtebaulichen Vertrag regelt und das Geld besser in den Bereich Kitas und Schulen gibt, um Leipzig als familienfreundliche Stadt zu stärken und so Zuzug zu generieren. Beispiel: Wirtschaftsförderung: Erst wird eine Clusterstrategie aufgestellt und diese wird dann nicht umgesetzt. Und so weiter und so weiter. Dazu kommen die vielen kleinen und großen Fehler, zu wenig Transparenz und zu wenig Bürgerbeteiligung. Wir brauchen erstens umfassende Transparenz und Informationsfreiheit und eine echte umfassende Einwohnerbeteiligung und eine klare Prioritätensetzung statt dem Gießkannenprinzip. Darum wird es gehen müssen.
Und welchen Erfolg schreiben Sie Ihrer Partei in der Leipziger Kommunalpolitik der letzten fünf Jahre zu? Gibt es überhaupt einen?
PS: Wir sind die einzigen, die sich tatsächlich umfassend den Zukunftsthemen unserer Stadt gewidmet haben, sei es in der Stadtentwicklung, dem Bau von Kitas und Schulen oder auch in der Umwelt- und Klimapolitik. Bis Anfang 2012 konnten wir mit unseren Mahnungen, dass wir mehr Investitionen in den Bau von Kitaplätzen stecken müssen, keine Mehrheit im Stadtrat finden, 2 Millionen Euro zusätzlich hatten wir damals beantragt. Jetzt steht auf den Wahlplakaten aller Parteien, dass mehr Kitaplätze gefordert werden. Wir haben vor allem auch das Thema Bürgerbeteiligung und Transparenz mit der Informationsfreiheitssatzung gestärkt, wie auch den Einfluss der Stadtbezirksbeiräte, wenngleich uns das Ergebnis nicht weit genug ging. Die vielen leeren Baumscheiben an Leipzigs Straßen werden zunehmend mit neuen Bäumen bepflanzt, was ganz klar ein grüner Verdienst ist. Das Radwegenetz konnte stetig ausgebaut und damit die umweltfreundlichen Verkehrskonzepte sowie die Rahmenbedingungen für Umwelt- und Naturschutz umgesetzt und gestärkt werden.
Ist mit dem Leipziger Modell im Stadtrat überhaupt vernünftige Politik zu machen? Oder finden Sie, dass es Zeit ist für ein anderes Modell? Und für welches?
JK: Ein Großteil von kommunalen Entscheidungen wird im Stadtrat mit einem breiten Konsens verabschiedet. Aber ich denke, dass klare Zielvorgaben durch eine Stadtregierung das ganze nachvollziehbarer machen und vor allen Dingen die Verantwortlichkeit deutlicher macht. Derzeit läuft es so, dass am Ende der Wahlperiode die Parteien Fehler weit von sich weisen und mit dem Finger auf andere zeigen und jeweils für sich rekurrieren, die Besten zu sein. Das ist zum einen albern und zum anderen unehrlich. Klare Strukturen, transparente Verfahrensabläufe, klare Mehrheitsverhältnisse können auch helfen, verloren gegangenes Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Nur muss man das auch wollen. Wenn ich mir das Handeln der Stadträte so anschaue, dann fehlt mir da ein wenig Vertrauen. Das jetzige Modell ist insbesondere für die drei großen Fraktionen sehr bequem.Welches Projekt in der Leipziger Politik sollte in den nächsten fünf Jahren unbedingt umgesetzt werden?
PS: Hierbei kann man sich sicher nicht nur auf ein Thema beschränken. Damit Leipzig auch weiterhin lebens- und liebenswert bleibt, gibt es noch viel Projekte, die umzusetzen sind. Erwähnenswert ist hier vor allem eine nachhaltige Stadtentwicklung, die es schafft, Freiräume zu erhalten und in der ganzen Stadt bezahlbaren Wohnraum dauerhaft bereit zu stellen und neu zu schaffen. Wir brauchen bei der wachsenden Bevölkerung Konzepte, die den Umweltverbund, also die Mobilität mittels Fahrrad und ÖPNV, stärken und somit die zunehmenden Verkehrs-, Luft- und Lärmprobleme in den Griff bekommt. Hierfür müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden durch einen Ausbau des Radwegenetzes und einen noch attraktiveren und vor allem bezahlbaren ÖPNV.
Zentrales Thema ist natürlich auch die Situation der Kinder und Jugendlichen, Betreuungsplätze in Kitas müssen wohnortnah entsprechend des Bedarfes zur Verfügung stehen, ebenso die notwendigen Schulkapazitäten geschaffen werden, ohne dabei den Abbau des bestehenden Sanierungsstaus zu vergessen. Mehr Angebote für Jugendliche sind ebenfalls wichtig. Die Standards in der Jugendhilfe müssen endlich nach Jahren des Ausdünnens verbessert werden, ebenso wie die Partizipation der Jugendlichen an der Stadtpolitik durch die Implementierung des Jugendparlaments. Bei den städtischen Unternehmen brauchen wir mehr Zukunftssicht, gerade auch bei den Stadtwerken. Nur wenn die Stadtwerke im Bereich der Erneuerbaren Energien zukunftssicher aufgestellt sind, werden auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Gewinne kommen und den Öffentlichen Nahverkehr und so manches Haushaltsloch in der Stadtkasse füllen. Doch die Investitionen in diese gesicherte Zukunft wurden unterlassen, weil es der Stadtspitze nur um kurzfristige Gewinnmaximierung ging. Das muss sich ändern. Dies kann nur ein Ausschnitt aus den vielen Zielen grüner Politik bis 2019 sein, gute Ideen haben wir viele und dazu auch tatkräftige Leute, die diese Ziele in die Tat umsetzen wollen.
Und welches sollte unbedingt unterlassen werden?
PS: Die Anbindung des Elster-Saale Kanals an die Saale mit dem Bau eines notwendigen Schiffshebewerkes. Der touristische Mehrwert des kilometerlangen geradeaus führenden Grabens, der vom Boot aus keinen Blick in die Natur ermöglicht, ist äußerst gering. Dem entgegen stehen allerdings Investitionskosten von schätzungsweise 200 Millionen Euro, die keiner hat und die an anderer Stelle allemal besser angelegt wären. Wir haben uns von Beginn an gegen dieses Projekt ausgesprochen, während die anderen Fraktionen mehrheitlich dafür waren, wovon jetzt keiner mehr etwas wissen will.
JK: Die fortschreitende Förderung des Massentourismus sollte unterbleiben. Dem Auwald wurde schon genug Schaden zugefügt.
Wie finden Sie die Informationspolitik Ihrer Fraktion? Wissen die Leipziger überhaupt, was Ihre Mannschaft in den vergangenen Jahren alles getan und erreicht hat?
JK: Die Fraktion hat einen Liveticker vom Stadtrat eingerichtet und berichtet umfassend über das Geschehen, Anträge, Reden, Initiativen. Dazu kommen der Ratschlag, die Printausgabe der Fraktionsnachrichten und natürlich die Nutzung der sozialen Medien wie Twitter und Facebook. Alle Pressemitteilungen etwa werden zeitgleich zur Versendung an die Medien auch in den Presseblog gestellt und direkt getwittert, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Geschehen direkt mitzuverfolgen. Hinzu kommen Veranstaltungen. Aber ich denke, da ist immer noch Luft nach oben.
Zentral ist für uns, bei den Leipzigerinnen und Leipzigern Interesse für Kommunalpolitik zu wecken und den Menschen deutlich zu machen, dass im Stadtrat über Sachverhalte entschieden wird, die die Bürger tagtäglich betreffen und die sie durch eigenes Bürgerengagement beeinflussen können. Wir Grüne haben in Leipzig die Informationsfreiheitssatzung initiiert und standen immer für größtmögliche Transparenz und haben diese stets von der Verwaltung eingefordert. In unserer eigenen Kommunikation leisten wir daher selbstverständlich auch unseren Teil zu mehr Nachvollziehbarkeit.
Wie halten Sie es mit der Transparenz der Stadtpolitik? Ist für die Bürger überhaupt nachvollziehbar, was in Rathaus und Stadtrat vor sich geht? Und sollte das nicht geändert werden? Haben Sie einen Vorschlag?
JK: Ich denke eine Reihe von Entscheidungen sind für die BürgerInnen nicht vollständig nachvollziehbar, was auch daran liegt, dass es Parteien gibt, die kein weiteres Interesse daran haben, das transparent zu machen, weil es die eigene Untätigkeit oder Fehler beleuchten würde. Im Zweifel herrscht dann immer noch die “Politik hinter verschlossenen Türen”-Mentalität vor, so wie bei den Haushaltsverhandlungen, als ein bereits abgelehnter Antrag in einem Hinterzimmergespräch zwischen SPD und LINKEN noch angenommen wurde, um die Zustimmung der LINKEN zum Haushalt zu erkaufen.
Und genau in diesem Punkt wird auch das Problem des “Leipziger Modells” deutlich, dass sich der Oberbürgermeister mit seiner Hinterzimmerpolitik immer wieder die für ihn notwendige Mehrheit sucht und diese sich regelmäßig unterschiedlich zusammensetzt. So gut das in Einzelfällen auch sein mag, bei Sachthemen Mehrheiten zu finden, so schlecht ist es bei der strategischen Ausrichtung der Stadtpolitik. Genau deshalb fordern wir verlässliche Mehrheiten im Stadtrat, um die Initiative für die strategische Ausrichtung wieder mehr zum Stadtrat zu ziehen und die Machtposition des Oberbürgermeisters zu beschränken.
Als einzige Partei haben wir der Problemstellung “Transparenz der Stadtpolitik” einen eigenen Punkt im Wahlprogramm eingeräumt (http://www.gruene-leipzig.de/kommunalwahl-2014/wahlprogramm/transparenz-und-informationsfreiheit/)
PS: Wir wollen ein gläsernes Rathaus, Voraussetzung dafür ist Informationsfreiheit. Sachsen ist eines der wenigen Bundesländer, welches kein gesetzlich verbrieftes allgemeines Zugangsrecht zu Informationen von Landes- und Kommunalbehörden gewährt. Wir sind der Auffassung, dass Informationen über das Handeln öffentlicher Verwaltungen und die Entscheidungsgrundlagen grundsätzlich Jeder und Jedem offen und kostenlos zugänglich sein sollten. Die Möglichkeit der Einsicht in Akten soll immer gegeben sein, wenn diese nicht ausdrücklich dem Geheimschutz oder dem Schutz persönlicher Daten unterliegen. Die Verweigerung einer Informationserteilung soll gerichtlich überprüfbar sein.
Der Kreisverband der Grünen: www.gruene-leipzig.de
Die Fraktion der Grünen: www.gruene-fraktion-leipzig.de
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