Am Mittwoch, 16. April, taucht er erstmals auf der Tagesordnung der Ratsversammlung auf: der Antrag Nr. V/A 536/14 der Linksfraktion, der dann zur Beratung im Mai ansteht: "Durchführung einer wohnungspolitischen Stunde". Ein Antrag, der Stadträtin Naomi Pia-Witte besonders am Herzen liegt. "Wir brauchen dringend ein wohnungspolitisches Konzept in der Stadt", sagt sie. Die üppigen Zeiten sind vorbei.

So sieht es jedenfalls die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die das Thema Leipziger Wohnungsmarkt auch aus der anderen Perspektive kennt: aus dem Beirat des Jobcenters Leipzigs, wo seit Jahr und Tag das Thema “Kosten der Unterkunft” auf dem Tisch liegt. Von der Stadt stets nur widerwillig angefasst, denn es ist teuer. Es ist der städtische Haushalt, der herhalten muss, wenn die Kosten für die Unterkunft der ALG-II-Empfänger steigen. Auch wenn sie nur gebremst steigen und das Berechnungskonzept der Stadt vor den Sozialgerichten nicht Bestand hat.

Allein aber über die Kosten der Unterkunft bekommt Leipzig das Problem eines sozial verträglichen Wohnens nicht in den Griff. Und auch der Versuch, allein die Wohnungsgesellschaften in die Pflicht zu nehmen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen bzw. bereitzustellen, greife zu kurz, findet Witte. “Man kann die Kosten doch nicht einfach den Wohnungsgesellschaften aufbürden. Das ist unredlich.”

Verwaltung und Stadtrat müssten sich endlich der Tatsache stellen, dass die Zeit eines Wohnungsüberangebots in Leipzig zu Ende gehe. Das sei gut so, sagt Witte, weil es den Bevölkerungszuwachs widerspiegele, der Leipzig lebendiger mache. Aber das seigleichermaßen ein Problem, das sich gerade im Bereich des bezahlbaren Wohnraums zuspitze. “Wir sind an einem Scheidepunkt”, sagt die Linke-Stadträtin. Und: “Jetzt können wir vielleicht noch reagieren.” Würde Leipzig diesen Zeitpunkt verpassen, hätte die Stadt sehr schnell dieselben Probleme wie westdeutsche Großstädte – wie München oder Frankfurt. “Lindenau”, sagt sie, “ist auf dem besten Weg, das neue Schleußig zu werden.”

Da brauche es mehr als nur einen Ansatz, um zu verhindern, dass in Leipzig der Verdrängungswettbewerb über die Mieten erst so richtig in Gang käme.Und so lautet der Beschlussvorschlag der Linksfraktion: “Der Stadtrat führt im I. Quartal 2015 eine wohnungspolitische Stunde durch.”

Die Begründung ist dann auch für alle anderen, die das Thema noch nicht ernst nehmen wollen, etwas ausführlicher: “Nach den bildungspolitischen, der sicherheitspolitischen und einer wirtschaftspolitischen Stunde ist es an der Zeit für eine wohnungspolitische Stunde.

Die Stadt Leipzig wächst. Der Wohnungsmarkt entwickelt sich nach Jahren, die von schwacher Nachfrage und hohem Leerstand geprägt waren, in Richtung eines ausgeglichenen Angebots- und Nachfrageverhältnisses, in einigen Stadtteilen mit hoher Nachfrage wird der Wohnraum in einzelnen Segmenten knapp und verteuert sich.

Die bis 31.12.2013 mögliche Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte und anderer Bedarfsgruppen (z. B. ältere und behinderte Menschen) durch das Sozialamt ist ab dem 01.01.2014 eingeschränkt. Ursache sind

– das Auslaufen des Sächsischen Belegungsrechtsgesetzes zum 31.12.2013, welches die Basis der bestehenden Belegungsrechtsverträge der Stadt Leipzig mit der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) und den Wohnungsgenossenschaften bildete,

– der massive Rückgang der Belegungsbindungen aus der Wohnungsbauförderung (von ehemals 10.000 Wohnungen im Jahr 2003 verblieben am 01.01.2014 noch ca. 350 bis 500 Wohnungen mit alten- und behindertengerechter Ausstattung in der Bindung) und

– der Wegfall der Subjektförderung (“einkommensabhängige Zusatzförderung”) für rund 10.000 Wohnungen durch Auslaufen der Mietwohnungsbauförderprogramme des Freistaates Sachsen nach Teil B II in den letzten Jahren.

In dieser Situation steht das Sozialamt vor der Herausforderung, die Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte und andere Bedarfsgruppen bei geänderten Rahmenbedingungen nachhaltig zu sichern. Dazu bedarf es eines tragfähigen wohnungspolitischen Konzeptes der Stadt, um auch weiterhin genügend Wohnraum für einkommensschwache Haushalte und andere Bedarfsgruppen vorhalten zu können und somit einer weiteren Segregation entgegenzuwirken.”

Und das – so Naomi Pia-Witte – beträfe eben nicht nur Bedarfsgemeinschaften, die ihre Kosten der Unterkunft vom Jobcenter erstattet bekommen. Das beträfe auch die in Leipzig gar nicht so kleine Zahl von einkommensschwachen Haushalten, die nicht in der erdrückenden Umarmung des Jobcenters über die Runden zu kommen versuchen. Die aber schon jetzt in einigen Stadtquartieren gar nicht mehr nach einer Umzugswohnung suchen brauchen, weil diese besonders attraktiven Stadtlagen längst in einer anderen Preisregion gehandelt werden, die deutlich über der derzeit ermittelten (Kalt-)Durchschnittsmiete von 5,13 Euro je Quadratmeter liegt.

Was genau die Stadt tun kann, um im ganzen Stadtgebiet bezahlbaren Wohnraum auch für sozial schwächere Haushalte zu sichern, das muss Thema der wohnungspolitischen Stunde werden, die ab 2015 regelmäßig stattfinden soll.

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