Fleißig war die vierköpfige FDP-Fraktion im Leipziger Stadtrat seit 2009: 150 Anfragen hat sie gestellt, 73 Anträge formuliert und 300 Pressemitteilungen verschickt. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen. Frei nach dem Motto: "Einer muss es ja tun." Die nächste Stadtratswahl steht am 25. Mai an. "Ich freu mich drauf", sagt Fraktionsvorsitzender Reik Hesselbarth.
Mit 77 Kandidatinnen und Kandidaten tritt die FDP in Leipzig an. “Und danach gibt es auch wieder eine FDP-Fraktion”, ist sich Hesselbarth sicher. Auch wenn es diesmal bunt wird im Stadtrat. Deutlich bunter als in den vergangenen Jahren, als sich noch CDU, Linke und SPD allein um den Titel “größte Fraktion” balgten. Dabei hat Leipzigs Stadtrat noch ein strukturelles Problem: das Leipziger Modell, 1990 noch unter OBM Hinrich Lehmann-Grube eingeführt.
“Damals war es richtig und zeitgemäß”, sagt Hesselbarth. Doch mittlerweile führe die Konsenspolitik dazu, dass der Stadtrat seine politische Hoheit fast komplett an die Verwaltung abgegeben hat. Oder an den Oberbürgermeister, der seine strukturellen Mehrheiten sucht, wo er sie braucht. Und wenn er keine Mehrheiten findet, begräbt er Projekte auch schon einmal. Zuletzt erlebt beim Actori-Prozess, den Burkhard Jung (SPD) mit der bekundeten Absicht gestartet hat, im Geflecht der Eigenbetriebe Kultur wirkliche strukturelle Änderungen vorzunehmen. Insbesondere Grüne und FDP preschten mit konkreten Einsparvorschlägen vor. Doch als Linke und CDU verkündeten, sie würden strukturelle Änderungen nicht mittragen, war das Projekt erledigt. Es gab auch keine öffentliche Diskussion mehr.
Und es gab auch im Stadtrat keine Mehrheit, die auf Veränderung drängt. Die größeren Fraktionen lähmen sich gegenseitig. Eine belastbare Koalition, die der Verwaltung auch einmal eigene Strategien und Visionen entgegen setze, gebe es nicht. Anders als in Dresden, betont Hesselbarth, der in den nun zurückliegenden vier Jahren beobachtet hat, wozu so eine Lähmung des eigentlichen Vertretungsgremiums der Leipziger führt: Die Handlungshoheit liegt fast komplett bei der Verwaltung. Eigene Ideen, Projekte, Visionen können die Stadtratsfraktionen selten bis nie durchsetzen. “Konstruktive Mehrheiten kommen nur noch selten zustande”, bedauert der Fraktionsvorsitzende der FDP.
Aus Sicht seiner Fraktion kann er zumindest ein positives Beispiel nennen: den Corporate Governance Codex. “Da ist es uns gelungen, im Stadtrat eine überwältigende Mehrheit zusammen zu bekommen und die Verwaltung zum Handeln zu verpflichten”, sagt Hesselbarth. Für den das Projekt in den Fächerkanon gehört, den sich die mit vier Stadträten doch recht überschaubare FDP-Fraktion für diese Legislatur vorgenommen hatte: Transparenz, Gläsernes Rathaus, elektronische Stadtratsarbeit, Bürgerbeteiligung sind Stichworte aus diesem Kanon, mit dem die kleine Fraktion durchaus auch Mehrheiten fand.Denn die Probleme sind ja nicht neu. Sie spiegeln das Selbstverständnis einer Verwaltung, die sich über 20 Jahre stets im Informationsvorteil sah und auch den Stadtrat oft nur informierte, wenn Dinge wirklich offenkundig wurden oder der öffentliche Unmut schon zu groß war.
Hesselbarth nennt die seinerzeit fast als frech empfundene Anfrage von René Hobusch zu den “herrenlosen Häusern” in Leipzig, auf die er vom Verwaltungsbürgermeister als Antwort bekam, es handele sich doch nur um einen Einzelfall. “Ein Einzelfall, der sich nun wohl in viele einzelne Einzelfälle aufgesplittet hat”, sagt Hesselbarth. Der materielle Schaden für die Stadt sei zwar überschaubar. “Der Image-Schaden für die Politik ist aber gewaltig”, sagt er.
Denn das bekommen ja auch die Bürger mit. Und es bestätigt den Eindruck, Leipzigs Verwaltung wäre nur am Verschweigen und Vertuschen, auch wenn es schlichte Schlamperei und fehlende Transparenz sind, die hier sichtbar werden.
“Die Bürger haben sehr viel Verständnis, wenn man ihnen nur sagt, wie die Dinge wirklich sind”, sagt Hesselbarth. Aber mit der Informationspolitik zu den fehlenden oder vorhandenen Kita-Plätzen in Leipzig habe die Verwaltung gerade wieder durchexerziert, wie man es nicht machen darf.
Etliches, was die FDP – zum Teil gemeinsam mit andere Fraktionen – an Transparenz von der Stadt einfordert, ist noch Zukunftsmusik. Die Bereitstellung aller Dokumente etwa, die nicht dem Geheimnisschutz unterliegen, als ganz normale Informationsarbeit für die Bürger. Gedruckst wurde auch jahrelang bei den Zahlen zu Investitionen. Auch da habe die FDP nachgefragt, um endlich einmal Zahlen zu bekommen. Etwa zum Investitionsstau bei Straßen und Brücken. Der sich auf 500 Millionen Euro beläuft. Und der wächst und nicht schmilzt, weil der größte Teil der Leipziger Straßen nicht den Notenzustand 1 oder 2 hat, sondern 3 bis 5.
Erst wenn man Prioritäten setze, könne man auch eine sinnvolle Politik machen, betont er. “Deshalb haben wir auch seit 2011 keinem Haushalt mehr zugestimmt”, betont Hesselbarth. Und begrüßt, dass es künftig endlich eine Haushaltssteuerungsgruppe geben wird, die auch Prioritäten setzt.
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Schwer im Magen liegen ihm die Risiken, die Leipzig als Immobilienentwickler bei der Kongresshalle und beim Lindenauer Hafen eingegangen ist. Beides Projekte, die sich geradezu anbieten als private Immobilienentwicklungen. Aber auch das hat nicht der Stadtrat entschieden, sondern die Verwaltung, die sich zum Teil als oberstes politisches Gremium der Stadt inszeniert und Projekte entwickelt, mit denen sie dann einfach die Mehrheiten im Stadtrat zusammen sammelt. Für den Durchstich vom Lindenauer Hafen zum Karl-Heine-Kanal zum Beispiel.
“Ein an sich gutes Projekt”, betont Hesselbarth. “Aber wenn man Prioritäten gesetzt hätte, wäre das Geld jetzt erst einmal für Kitas und Schulen dran gewesen.”
Aber der jetzige Stadtrat fällt als strategischer Weichensteller für die Verwaltung fast komplett aus. Das macht sich auf praktisch allen Politikfeldern bemerkbar. Die Mittelstandsförderung nennt Hesselbarth noch als Beispiel, wo in Leipzig gar nichts läuft. Das, was es gibt, ist ein lächerliches Klein-Klein. “Da fehlt ein echtes Programm”, sagt Hesselbarth. Was funktioniert, ist die Clusterförderung. Aber die stammt ja bekanntlich noch aus der Amtszeit eines anderen Wirtschaftsbürgermeisters.
Das “Leipziger Modell”, betont Reik Heselbarth, wird dann wohl das erste große Thema, das die FDP-Fraktion in der neuen Legislatur anpacken wird. “Wir gehen optimistisch in den Wahlkampf”, sagt er.
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