Es ist ja nicht so, dass nur Leipzig über die stetig steigenden Kosten für seine Hochkultur debattiert. In Frankfurt z. B. wir genauso heftig gestritten - und die Main-Metropole hat nun eindeutig mehr Geld in der Tasche als Leipzig. Aber es geht auch Frankfurt wie allen andere Großstädten im Land: Die Verteilungspolitik in der Bundesrepublik lässt ihre finanzielle Spielräume schmelzen. Müssen deshalb Häuser geschlossen werden, hieß es am Mittwoch im Leipziger Stadtrat.
Die FDP-Fraktion hatte noch einmal ihren Antrag vorgelegt, die Spielstätte der Musikalischen Komödie im Haus Dreilinden zu schließen und den Operetten-Spielbetrieb mit ins Opernhaus am Augustusplatz zu integrieren. Doch sie bekam dafür keine Mehrheit. Der Actori-Prozess hat 2013 eine entscheidende Wende genommen, die im Prinzip heißt: Auch Leipzig schließt keine (große) Spielstätte und versucht den Spagat hinzubekommen zwischen “etwas mehr Geld im System” (OBM Burkhard Jung), Einsparbemühungen der einzelnen Häuser und der künftigen Synergie aus der Zusammenlegung von (mindestens) zwei Verwaltungen. Das dämpft die ausufernden Kosten, bedeutet aber auch, dass die Stadt von ihrer breit aufgestellten Kulturlandschaft nichts aufgibt.
Enttäuscht zeigte sich am Tag der Entscheidung logischerweise Reik Hesselbarth, Fraktionsvorsitzender der FDP im Leipziger Stadtrat: “Die traurige Botschaft, die wir heute mitnehmen: Verwalten statt gestalten, keine Strukturanpassungen bis 2020! Und der Stadtrat trägt den mutlosen Strukturvorschlag des Oberbürgermeisters noch mit. Die Zustimmung des Stadtrates bedeutet Stillstand, ja sogar Rückschritt, weil andernorts die visionären kulturellen Entscheidungen getroffen werden.”
Ein Workshop soll nun die nächsten Schritte begleiten. “Stattdessen gründen wir den nächsten Arbeitskreis, der im Ergebnis dann auch nur nicht weiter weiß”, meint Hesselbarth dazu. Die FDP-Fraktion hatte in ihren Änderungsanträgen zur Vorlage des Oberbürgermeisters neuerlich eine Anpassung der Struktur der kommunalen Eigenbetriebe im Kulturbereich gefordert. Die Liberalen schlugen dafür eine Zusammenlegung der Verwaltungen von Oper und Schauspiel sowie perspektivisch eine Verlagerung des Bereichs Operette an das Opernhaus am Augustusplatz vor. Das Haus Dreilinden sollte ab der Spielzeit 2016/2017 zur neuen Spielstätte für die Freie Szene werden.
“Wir kommen um Strukturanpassungen nicht herum. Andernfalls werden uns die Kosten mehr und mehr aus dem Ruder laufen, nachdem die großen Stadtratsfraktionen durchweg Strukturanpassungen ablehnen, ist das Zusammengehen der Verwaltungen von Oper und Schauspiel dabei der kleinste gemeinsame Nenner. Diese Chance haben wir heute verpasst”, meint Hesselbarth. “Darüber hinaus bleiben wir dabei: Eine Konzentration aller Sparten des Eigenbetriebes Oper am Stammhaus Augustusplatz ist vor dem Hintergrund des Sanierungsbedarfes des Hauses Dreilinden unumgänglich. Gleichzeitig bekäme Lindenau mit einer Spielstätte der Freien Szene einen echten kulturellen Anker – inklusive des vielzitierten Klebeeffektes. Denn Besucher der Freien Szene gehen anders als das Gros der MuKo-Besucher sehr wohl anschließend noch in Bars und Kneipen.”
Hesselbarth kann sich in diesem Zusammenhang eine Übernahme der bisherigen MuKo-Spielstätte durch eine Kulturgenossenschaft vorstellen: “In ihr hätten ausschließlich die Kulturschaffenden das Sagen. Sie können gemeinsam über einen längeren Zeitraum die Entwicklung des Hauses planen. Der Standort hätte das Potential für das lang gesuchte Theaterhaus West.”
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Für die Oper hätte für Hesselbarth eine Konzentration auf den Standort Augustusplatz ebenso Vorteile: “Kürzere Wege und Belebung des Hauses in der Breite. Ich kann mir sehr gut kleine Operettenabende im derzeit nicht genutzten Kellertheater oder auch im Foyer vorstellen. Darüber hinaus bietet das Große Haus alles, was man für große Operetten- und Musicalabende braucht. Anders als in Lindenau ist die Anreise mit Öffentlichen Verkehrsmitteln aus allen Himmelsrichtungen möglich, der Hauptbahnhof mit Citytunnelanschluss ist um die Ecke und Parkplätze gibt es im Parkhaus in Hülle und Fülle. – Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Uns geht es nicht um die Schließung der MuKo, sondern um eine Verlagerung ans Stammhaus – einzig und allein, um die Sparte dauerhaft zu sichern.”
Aufatmen hingegen beim SPD-Ortsverein Altwest. Das Haus Drei Linden liegt mit seiner Nähe zum Lindenauer Markt mitten in einem Stadtteil, der seit einigen Jahren zu den jungen Wachstumsstadtteilen im Leipziger Westen gehört. Mit Lofft und Theater der Jungen Welt bildet er eine Art kulturelles Cluster in Altlindenau.
“Das deutliche Votum gegen den FDP-Antrag auf Zerschlagung der Musikalischen Komödie am Standort in Lindenau freut mich außerordentlich”, kommentiert Christian Schulze, SPD-Stadtrat und Spitzenkandidat zur nächsten Stadtratswahl im Wahlkreis Altwest, “die Zusage des Oberbürgermeisters zur Sicherung der Kulturstätte ist ein wichtiges politisches Signal.”
“Dieser Antrag zeigt, dass die FDP von den Verhältnissen, dem Spielplan und der Auslastung in der Musikalischen Komödie keine Ahnung hat”, ergänzt Eva Brackelmann,
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SPD-Landtagskandidatin und Stadtbezirksbeirätin vor Ort. ” Christian Schulze und ich stehen für den Erhalt der Musikalischen Komödie am Standort Lindenau und lehnen die peinlichen Versuche der FDP, die Hochkultur gegen die freie Szene auszuspielen, ganz klar ab.”
Seit vielen Jahren bemühen sich Schulze und Brackelmann gemeinsam, die Musikalische Komödie am Standort Lindenau zu erhalten. Es sei unstrittig, dass das international bekannte Operettenhaus für Leipzig ein Alleinstellungsmerkmal darstelle und zur kulturellen Vielfalt beitrage. Und einen Spaß lässt sich Christian Schulze nicht entgehen. “Augen auf, wo man kandidiert. Der Mut von Herrn Hesselbarth als Spitzenmann für die FDP im Wahlkreis Altwest zu kandidieren, ist schon bewundernswert. Ich freue mich auf die Auseinandersetzungen vor Ort.”
Erleichtert zeigen sich nach der Mittwochdebatte auch die Linken.
“Die Debatte um die Zukunft der Kultur in Leipzig wurde in der Stadtratssitzung zwar ohne konkrete Ergebnisse hinsichtlich Strukturveränderungen bei den Eigenbetrieben geführt, aber ein Erfolg ist dennoch zu verzeichnen”, meint Dr. Skadi Jennicke, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die auch die Etablierung von zwei Mal jährlich stattfindenden Workshops zur Zukunft der Kultur in Leipzig begrüßt. Daran sollen neben Stadtrat, Verwaltung und Eigenbetrieben auch die Freie Szene und Vertreter der Theaterwissenschaft und der Dramaturgie der in Leipzig ansässigen Hochschulen beteiligt werden.
“Das System ‘Stadttheater’ ist seit mehreren Jahren einem enormen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt”, sagt die ausgebildete Dramaturgin. “Dieser ist keineswegs nur fiskalisch motiviert, sondern resultiert auch aus dem Anspruch der Freien Szene, als gleichberechtigter Partner wahrgenommen zu werden. Nach wie vor werden die zahlreichen Innovationen – ästhetische, programmatische, strukturelle – der Freien Szene von den großen Häusern absorbiert, fungiert die Freie Szene als Jungbrunnen und Innovationsmotor für die subventionierten Häuser. Das ist auf lange Sicht zu wenig und korrespondiert in keiner Weise mit der finanziellen Ausstattung der freien Häuser und den prekären Lebensverhältnissen ihrer Akteure.”
Die Debatte, wie die beiden Parallelsysteme in Zukunft ausgestaltet werden sollten, finde deutschlandweit längst statt. Davon würden zahlreiche Aufsätze und Publikationen zeugen. “Noch sind die Ansätze disparat und zeugen – unabhängig davon, ob die Akteure aus der Freien Szene oder aus den etablierten Häusern kommen – von einer großen Spannbreite der Ideen”, so Jennicke. “Die einen wollen in Affirmation des neoliberalen Umbaus des Sozialstaates dessen Leitziele von Transparenz, Effizienz und Deregulation auf das gesamte Theatersystem übertragen (Oberender), die anderen fordern eine stabile Ausfinanzierung aller Akteure (Ostermeier). Dazwischen gibt es noch viele Grautöne.”
Und das beträfe dann eben auch die Leipziger Diskussion um die Eigenbetriebe Kultur. Jennicke: “Auch in Leipzig muss man auf diese Systemfrage in Sachen Kultur eine Antwort finden. Umso mehr, als die großen Häuser mit ihren umfangreichen Zuschüssen zunehmend ihr Aufgabenfeld erweitern (etwa im Bereich der kulturellen Bildung) und somit in unmittelbare Konkurrenz zu den Akteuren der Freien Szene treten, die nicht selten gerade mit diesen Feldern abseits des Kerngeschäfts lebensnotwendige Einnahmen generieren.”
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