Haushaltsdisziplin, Arbeitsmarkt, Wirtschaft. Drei Schlagworte, die auch kommunal nur zusammen funktionieren. Drei Begriffe, die Fragende und Antwortende schon im ersten Teil des großen L-IZ-Interviews rasch auch über die Leipziger Stadtmauern auf Land und Menschen schauen lassen. Von Jobcenterpolitik, Gewerbesteuerzahlern und Verteilungsgerechtigkeit - ein intensives Gespräch zwischen Ralf Julke, Matthias Weidemann und Burkhard Jung.

Was die Stadt jetzt bewegen wird, ist der Haushalt und das Defizit, mit dem er 2014 gestartet ist. Wie gehen Sie damit um, hat die Stadt Leipzig überhaupt eine Chance, den Haushalt genehmigt zu bekommen und dieses Defizit 2014 auch wieder loszuwerden?

Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass wir am Ende 2014 auch wieder ausgeglichen sind. Ich kann Ihnen jetzt schon fast zusichern, dass wir auch das Jahr 2013 ausgeglichen schließen. Nach der Sorge noch im Herbst, es könnte ein zweistelliges Defizit in 2013 geben, ist die Steuerentwicklung sehr positiv verlaufen – im Ergebnis zweistellig mehr als die ursprünglich geplanten 210 Millionen Gewerbesteuer.

Wir haben durch eine deutliche und klare Disziplin in der Haushaltsdurchführung weitere Einsparungen erzielt und wir haben jetzt die Frage der Haushaltsausgabereste zu lösen: Was übertragen wir von 2013 nach 2014, was ist verzichtbar? So, glaube ich, kriegen wir den Haushalt 2013 mit einer schwarzen Null hin. Auch 2014 werden wir natürlich mit einer hohen Disziplin versuchen, den Haushalt auszusteuern, auch hier wird sich Bewegung ergeben, wenn die steuerlichen Effekte anhalten. Wofür einiges spricht, weil die wirtschaftliche Entwicklung Leipzigs überproportional gut ist.

Hängt die steuerliche Entwicklung nur an den großen Playern, oder ist es die Gesamtwirtschaft, die zulegt?

Zur Wahrheit gehört, dass wir im Wesentlichen von hundert Unternehmen abhängig sind in Bezug auf die Steuereinnahmen. Das heißt, von 28.000 Unternehmen zahlen rund 100 den Löwenanteil bei den Gewerbesteuern. Deshalb ist es auch manchmal eine Scheindebatte, die da mit Hebesätzen und Belastungen für die Wirtschaft geführt wird.

Aber es ist deutlich ablesbar, dass auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen sich zunehmend auch steuerlich so entwickeln, dass wir Effekte im Haushalte haben. Und so – das ist bei der ganzen Diskussion vergessen worden – haben wir das Defizit von 16 Millionen planerisch für 2014 aufgestellt. Wir sind planerisch insgesamt unter den angenommenen Defiziten, die wir noch 2012 vermutet haben für die nächsten Jahre. Der Gesetzgeber räumt uns eine Übergangsfrist ein, auch mit Defiziten bei der Umstellung auf Doppik planen zu können. Zudem sind wir ursprünglich davon ausgegangen, dass wir 2014 mit 30 Millionen Defizit zum Jahresanfang planen müssen.

Das heißt nicht, dass wir Entspannung geben können, aber ich will deutlich machen: Wir sind besser als unser Plan und alle Erfahrungen 2013 sprechen dafür, dass wir das für 2014 auch hinkriegen.

Wie verhält es sich mit den ganzen fehlenden Überweisungen bezüglich Kosten der Unterkunft, Kitaausbau usw., wo sich das Land zurückhält oder die Verteilungssätze nicht so sind wie sie sein sollten. Kann Leipzig da irgendwas drehen, dass eine Verteilungsgerechtigkeit hergestellt wird?

Das ist eine durchaus schwierige Frage. Wir sind bei der Kita-Frage an den Kompromiss im Finanzausgleichgesetz gebunden, den ich mit unterschrieben habe. Sie erinnern sich vielleicht, es ging um die Verteilung und Aufteilung zwischen Land und Stadt, zwischen Landkreisen und Städten. Wir hatten große Sorge, als kreisfreie Städte unter die Räder zu kommen, dass vieles sich verschieben könnte in den Ausgleichsmechanismen hin zu den schrumpfenden ländlichen Regionen. Und das konnte abgefangen werden, indem wir insgesamt auch das Thema Kita in einem Gesamtpaket verhandelt haben. Salopp gesagt – die Messen sind jetzt rückwirkend gesungen.

Jetzt wird es darum gehen, wie durch die neue Koalition in Berlin die neuen Mittel für Kita auch wirklich bei uns ankommen. Zwingend werden wir weiter dafür kämpfen, dass die Kitapauschalen erhöht werden. Ich setze darauf, dass die neue Koalition, die in Dresden in 2014 sicherlich gebildet wird, sich dem Thema nicht verschließen kann. Der Ministerpräsident kann nicht einen Familienfreundlichkeitsempfang machen, ohne auch Konsequenzen für die Politik daraus abzuleiten, d.h. auch dazu zu stehen, dass die Kommunen bei der tagtäglichen Arbeit, Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen, unterstützt werden müssen. Wir brauchen eine Anpassung der Pauschalen und wir brauchen die Durchleitung von 100 Prozent der Bundesmittel.

Das zweite Thema sind die Kosten der Unterkunft, bei dem Leipzig in der Tat benachteiligt wird – es handelt sich um 30 Millionen, die in unseren Töpfen fehlen. Es würde uns richtig helfen, wenn es dort zu einer Anpassung in der Verordnung des Freistaates käme. Bei Einführung von Hartz IV nach komplizierten Verteilerschlüsseln – da konnte man damals diesen Kompromiss akzeptieren. Es ist dann nur leider nach der Übergangszeit nicht das Ist-Ergebnis abgerechnet worden. So wie in anderen Bundesländer evaluiert wurde, ist das im Freistaat nicht passiert. Dafür werden wir kämpfen und gegebenenfalls müssen wir auch vor Gericht ziehen.

Welche Schritte wollen Sie vorher gehen? Direkt mit der Regierung und den verantwortlichen Ministern sprechen?

Das Thema wird federführend von Herrn Bonew (Anm. d. Red.: Leipzigs Finanzdezernent) bearbeitet und wir haben es gutachterlich gerade noch mal untersucht. Wenn das Gutachten vorliegt, werden wir uns erneut an den Freistaat wenden, unsere Vorschläge machen, in die Gespräche eintreten. Hier muss sich einfach was bewegen!

Vielleicht noch ein dritter Gedanke, der uns auch haushaltsmäßig sehr entgegenkommt. Die neue Bundesregierung hat versprochen, das Bundesteilhabegeld als ein Bundesgesetz anzugehen und einzuführen, so dass wir darauf hoffen, in 2015 als Kommunen Entlastung zu erfahren.

Und ein vierter Effekt, da setze ich persönlich darauf: Die Einführung des Mindestlohns wird zu einer Entlastung des städtischen Haushalts führen, weil die Zahl der Aufstocker sinken wird.

Hoffen Sie? Weil die Aussage von der Wirtschaft ist ja immer, wir können eigentlich keine höheren Löhne zahlen, besonders das Dienstleistungsgewerbe.

Ich habe mir das noch mal genau angeschaut. Insgesamt kann man sagen: weit über 80 % in Leipzig zahlen sowieso mehr als 8,50 Euro. Dann gibt es in der Tat einige Dientstleistungsbereiche, wie das Friseurhandwerk, Bewachungsgewerbe, die tariflich noch unter 8,50 Euro liegen.

Das betrifft auch viele andere Unternehmen, nicht unbedingt in der Dienstleistungsbranche, sondern auch teils bei hoch qualifizierten Arbeitsplätzen. Ich denke da an gewisse Online-Banken, die zwei bis drei Fremdsprachen voraussetzen, aber trotzdem bei 7 bis 8 Euro bleiben. Und das bei Schichtbetrieb.

Und das kann nicht sein. Derzeit haben wir etwa 16.000 Aufstocker, so heißen ja Menschen, die – obwohl sie voll arbeiten – aus Steuermitteln subventioniert werden müssen. Im Ergebnis kann das natürlich heißen, dass Dienstleistungen teurer werden. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich das einpegeln wird. Weil die Binnenkaufkraft erhöht wird, weil die Leute dann auch wirklich mehr im Portemonnaie haben und dann allmählich bereit sein werden, auch mehr für Dienstleistung zu bezahlen. Das wird die Frage des Einpegelns von 2, 3 Jahren sein.

Auf jeden Fall werden wir signifikant im Haushalt der Stadt eine Reduzierung der Quersubventionierung von Wohngeld und KdU-Beziehern haben. Und es spricht alles dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, aber auch gerade in Sachsen und in Leipzig anhält und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Effekte sehen werden.

Wäre das nicht auch der Zeitpunkt, die Politik im Jobcenter zu ändern? Weniger Sanktionen und mehr wirkliche Integrationsinstrumente, bis hin zu dem was Die Linke gerade beantragt hat, Mindestlohnjobs im städtischen Bereich?

Die gesamte Gemengelage ist sehr kompliziert. Die Vermittlung der Menschen, die langjährig im Jobcenter betreut werden, wird immer schwieriger. Durch den starken Rückgang der Arbeitslosigkeit, der anhält, auch in 2014 wird es etwa 1-2 Prozentpunkte Arbeitslosigkeitsrückgang geben, wird der Anteil der schwer Vermittelbaren immer größer. Insofern ist der Gedanke von Ihnen völlig richtig – der Integrationsansatz muss gestärkt werden, das ist der Agentur und dem Jobcenter auch klar. Inwieweit das in neue Programme mündet, hängt von der Entwicklung in Nürnberg und der Bundesagentur ab. Darüber hinaus einen öffentlichen Beschäftigungssektor neu zu entwickeln, ist, glaube ich, nicht die Lösung.

Ein Thema war im letzten Jahr auch, in Vereinen und Verbänden Stellen zu schaffen, weil sie alle ja relativ finanzschwach aufgestellt sind und sich freuen würden, wenn von der Stadt dort voll subventionierte Stellen geschaffen werden würden.

Da würde sich jeder freuen, aber es muss ja bezahlt werden. Es wäre auf jeden Fall ein Weg, wenn er finanzierbar wird, aber zurzeit ist die Politik aus Nürnberg so, dass die Eingliederungstitel zurückgefahren werden. So bleiben schlechter Qualifizierte weiter auf der Strecke. Der Logistikbereich, wo man auch als geringer Qualifizierter Möglichkeiten hat, ist im Prinzip ausgereizt, da wird sich so viel nicht mehr entwickeln. Es ist eine sehr schwierige Frage, aber ich glaube, dass der richtige Ansatz erst mal ist, alles zu versuchen, um in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen.

Und dann wird man sich unterhalten müssen, für wie viel Prozent arbeitsloser Menschen wir darüber hinaus Angebote machen, die gezielter und integrativer, vielleicht auch im erweiterten Sinne von Arbeitsverständis her Beschäftigung ermöglichen. Das ist ein weites Feld, es geht um gesellschaftlich notwendige Arbeit, die teilweise auch vom Staat oder der Kommune finanziert werden muss. Das setzt eine Grunddiskussion in Deutschland voraus, was Arbeit ist und was Beschäftigung ist und wie diese bezahlt werden kann. Diese Frage werden wir stellen müssen. Je höher der Anteil derer wird, die aufgrund ihrer Vermittlungshemmnisse große Schwierigkeiten haben, wird sich diese Frage weiter stellen.

Denn sonst entsteht ein Riesensockel an Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikation nicht mehr “beschäftigbar” sind in so einer Gesellschaft.

Ich bin ein Optimist. Machen sie einmal folgende Rechnung mit mir: Wir haben jetzt 10 % Arbeitslosigkeit. Ich gehe davon aus, dass, wenn die Weltwirtschaft nicht insgesamt in eine völlig neue Krise kommt, wir realistisch annehmen können, dass in Leipzig in den nächsten 5 Jahren jeweils ein weiteres Prozent die Arbeitslosigkeit sinkt, trotz Zuwachs und Zuwanderung. Dann werden wir im Jahr 2019/20 bei 5 % Arbeitslosigkeit liegen. Man spricht heute bei 3 % Arbeitslosigkeit von Vollbeschäftigung. Also wer wird noch vermittelt werden können? Wo ist der Sockel? Der schmilzt natürlich ab durch Altersabgänge …

… und wächst nach mit 10 % jungen Leuten, die ohne Schulabschluss aus der Schule kommen und zum großen Teil keine Qualifikationsfähigkeiten mitbringen …

Richtig. Und da ist die vordringlichste Aufgabe, die Anzahl der Schulabbrecher definitiv zu senken. Wir brauchen Qualifizierungsprogramme für junge Menschen, die sonst ihr Leben lang in prekären Situationen bleiben.

Weil sie die Grundfähigkeiten nicht ausgebildet haben. Was können Sie da tun? Außer dem zuständigen Kultusminister immer wieder mal zu sagen, da muss sich was ändern.

Ich denke, dass wir da als Stadt auch in der Verantwortung sind. Wir haben über das Programm “Lernen vor Ort” dem Thema Schulabbrecher den Schwerpunkt gesetzt und mit verschiedenen Projekten versucht, messbar zu machen, welche Maßnahme welchen Erfolg hat. Wir haben Integrationsprogramme an der 20. Mittelschule, Integrations- und Schullaufberatungsbegleitung, die über eine Stiftung finanziert werden. Das sind mittlerweile 64 Schulsozialarbeiter, um die wir hart gekämpft haben. Wir haben Bildungsträger am zweiten und am dritten Lernort, bis hin zur Soziokultur und zur Jugendhilfe bestehen die Schnittmengen. In diesem Gesamtpaket habe ich mit dem Kollegen Fabian vereinbart, dass es unser Ziel ist, bis 2020 die Schulabbrecherquote unter 10 % zu senken. Mit den städtischen Mitteln und in Übereinstimmung mit der Bildungsagentur, die auch ein existenzielles Interesse hat, besser zu werden.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar