Wem gehört das kommunale Eigentum eigentlich? Und wer darf über dessen Verkauf befinden? Das ist die eigentliche Frage hinter dem Bürgerbegehren für eine "Privatisierungsbremse" in Leipzig, das am Mittwoch, 22. Januar, in der Stadtratssitzung mit einer Mehrheit von 36 Stimmen abgelehnt wurde. Der üblichen Mehrheit, muss man sagen.
Selbst dieses Abstimmungsergebnis zeigt, wie groß die Kluft zwischen gewollter Bürgerbeteiligung und gelebter Politik in Leipzig längst ist. Das ist nicht nur ein Leipziger Phänomen. Es hat schon seine Gründe, wenn die Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld seit einer Weile versucht zu ergründen, wie die Akzeptanz für Großprojekte in der Bürgerschaft gestärkt werden kann. Zwei Stichworte tauchen in den Umfragen immer wieder auf: Transparenz und Beteiligung. Und auch wenn da “Großprojekte” steht, trifft das Ganze auch auf kommunale Politik zu.
Eine Unterschriftensammlung mit rund 25.000 Unterschriften macht man ja nicht, damit der Stadtrat hinterher wie üblich kurz mal drüber redet und dann abstimmt wie üblich. Das hatte der Stadtrat ja schon 2007 getan, als er mit ebenso einfacher Mehrheit kurzerhand den Teilverkauf der Stadtwerke beschloss – der dann durch das deutliche Votum der Leipziger im Bürgerentscheid im Januar 2008 gekippt wurde.
Seitdem steht die Frage: Müssen die Leipziger immer erst mit einer Menge Zeit-, Geld- und Kraftaufwand Bürgerentscheide initiieren, wenn lebendige Interessen der Kommune berührt sind und die Stadtratsfraktion trotzdem weiter nur abstimmen nach Farbe und Parteibuch? Die einen, um ihren OBM nicht zu schwächen, die nächsten, weil sie glauben für “die Wirtschaft” zu sprechen, die dritten, weil sie sowieso für “schlanken Staat” sind. Usw.
Das Prozedere, wie es am Mittwochabend wieder zu erleben war, findet Karsten Kietz, Vorsitzender der Wählervereinigung Leipzig, Karsten Kietz, mittlerweile haarsträubend: “36 ‘Ratsherren und -herrinnen’ haben heute Nachmittag klar und deutlich gegen den Willen von 25.000 der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt votiert und deren Bekundung ‘Fragt einfach einmal alle!’ zurückgewiesen.”
Natürlich ging es auch um juristische Fragen wie die: Darf ein Stadtrat sich selbst so eine Hürde legen wie eine Zweidrittelmehrheit, wenn es um Eigentumsverkäufe geht? Eigentlich eine Frage, über die man eine ernsthafte Debatte erwartet hätte – durchaus auch konträr. Die Leipziger hätten ein gewisses Recht darauf, ruhig auch einmal etwas über Grundpositionen ihrer gewählten Stadträte zu erfahren. Aber nichts war es.
“In der der Abstimmung vorausgehenden Argumentation konnte die Wählervereinigung Leipzig (WVL) e.V. nur wohlgeschliffenen Dialog über Fehler im Antragstext, Gesetzesverletzungen und politischer Sprachdefinition sowie die Feinheiten der parlamentarischen Regularien erkennen”, bilanziert Karsten Kietz den Mittwochabend. “Nur wenige Stimmen ergingen zum Willen der Bürgerinnen und Bürger Leipzigs, sich engagierter mit der Gestaltung unserer Stadt Leipzig auseinanderzusetzen, den Worten der Bürgerbeteiligung Taten folgen zu lassen. Kein Wort zu Sinn und Inhalt. Keine wirklich positiv gestaltende Stimme.”
Wieder bleibt nur ein mühsames Karrenschieben, wenn da Bürgerbegehren doch noch Erfolg haben soll. “Der Rechtsweg muss nun beschritten werden. Lang, teuer, beschwerlich und nur gemeinsam zu beschreiten”, so Karsten Kietz. “Die Wählervereinigung Leipzig (WVL) e.V. sieht jedoch auch in den bereits beginnenden Aktivitäten zur Vorbereitung der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 besorgniserregende Entwicklungen.”
Leipzigs politische Landschaft droht weiter zu zersplittern. “Laut Pressemitteilungen sitzt ein empörter Vertreter der Transparenz und Bürgerbeteiligung, Florian Bokor von der Piratenpartei ‘sich schon im Ratssaal warm’, Dirk Feiertag ruft mit seinen Mitstreitern von der Besuchertribüne ein neues ‘Bündnis für Leipzig’ aus und die von unserem Oberbürgermeister (Burkhard Jung – Erfolg wählen!) getrösteten engagierten und enttäuschten Leipzigerinnen und Leipziger werden von allen Seiten um ihre Sympathie und Stimme für den nächsten Urnengang umworben”, stellt Kietz fest. “Und WIR tun das natürlich auch.”
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Die Wählervereinigung Leipzig (WVL) e.V. sieht aus der sich abzeichnenden Zerspaltung des bürgerschaftlichen Engagements zur Kommunalwahl am 25. Mai 2014 nach sogenannten Wählerspektren, in Bündnissen und Initiativen, in Vereinen und Parteien ein ineffektives Ergebnis im Sinne einer wirklich möglichen Bürgerbeteiligung voraus. “Aus diesem Grund rufen WIR alle sich jenseits der etablierten Strukturen Engagierenden zu einem gemeinsamen Vorgehen bei der Kommunalwahl 2014 auf. Die Individualität jeder Struktur ist unsere Stärke, das Gemeinsame unsere Kraft”, so Kietz.
Unmut über die Mittwochdebatte äußert aber auch die Initiative Bürgerbegehren “Privatisierungsbremse”.
“Die Initiative Bürgerbegehren und das APRIL-Netzwerk bedauern die Ablehnung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens “Privatisierungsbremse” durch den Stadtrat”, erklären dazu Wolfgang Franke und Mike Nagler, die Sprecher der Initiative. “Wir halten diese Entscheidung für rechtlich falsch und sehen darin auch eine Missachtung des Bürgerwillens. Den Leipzigerinnen und Leipzigern wird so eine Möglichkeit vorenthalten, selbst direkt mitzubestimmen, wie in Zukunft in der Stadt mit kommunalem Eigentum umgegangen werden soll. – Eine juristische Bewertung durch die ablehnenden Fraktionen wurde in der Debatte zum Teil versucht, erweckte bei uns jedoch den Eindruck, dass dabei nur vorgefasste Meinungen mit verschiedenen herbeigeholten Argumentationen begründet werden sollten.”
Ihre Einschätzung zur Haltung der Fraktionen im Stadtrat: “Offenbar möchten sich die Stadträtinnen und Stadträte der ablehnenden Fraktionen von der Bürgerschaft Leipzigs nicht “ins Handwerk pfuschen” lassen. Diese Haltung wurde bei einzelnen Stellungnahmen mehr oder weniger verblümt deutlich. Die Entscheidung ist nicht nur bedauerlich, sie wird von uns auch nicht hingenommen werden.”
Die Vertreter der Initiative Bürgerbegehren seien sich einig darüber, dass nun juristische Schritte folgen müssen, um den über 26.000 Unterstützern des Bürgerbegehrens zu ihrem Recht und den Bürgerinnen und Bürgern zum Bürgerentscheid verhelfen.
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