"Er sollte kurz sein, so dass man es gut rufen kann", hieß es. Dann war der Name gefunden. Die Abstimmung kürt einen klaren Sieger: "Bündnis Leipzig" heißt die neue politische Plattform in Leipzig. Für gestern Abend hatten die Initiatoren in den Saal des Volkshauses in der Karl-Liebknecht-Straße eingeladen. Und etwa drei Dutzend Interessierte waren gekommen.
Ein wichtiger Auslöser war das Scheitern eines Bürgerbegehrens im Stadtrat am 22. Januar dieses Jahres. Über 26.000 Leipziger hatten dafür unterschrieben, dass der Verkauf von kommunalem Eigentum an privat nur noch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit möglich sein soll. Doch die Ratsmitglieder hatten die “Privatisierungsbremse” regelrecht abgeschmettert. Sie entschieden, dass das Begehren nicht den formalen Anforderungen genüge.
Doch der Rahmen ist größer, der juristisch strittige Vorgang rings um die Privatisierungsbremse nur ein Stein, wenn auch ein großer, welchen die Gründer in der Mauer zwischen Bürger und Politik sehen. “Es ist verwunderlich, dass der Bürgerwille keine Rolle spielt”, beschreibt Sandra Schenk ihre Motivation, das Bündnis mit zu begründen. “Kommunalpolitik scheint für die meisten nur ein Sprungbrett für Landtags- oder Bundestagspolitik zu sein”, so Schenk. Sie selbst war bei den Grünen und ist erst kürzlich ausgetreten. Vorangegangen war eine Parteiquerele, weil sie in einem sozialen Netzwerk dazu aufgerufen hatte, Mike Nagler bei den Bundestagswahlen zu unterstützen. Nagler ist parteilos und Schenks Parteigenossen schmeckte der Aufruf nicht. “Ich habe erlebt, wie es ist, wenn man eine andere Meinung vertritt als die Partei.” Ihr Resümee: “Das darf man nicht sagen.”
Frederik Grünebergs politisches Engagement ist vom Echo aus der rechten Ecke auf die Flüchtlingsproblematik geprägt. “Ich habe erlebt, wie der Sozialbürgermeister in der Schönefelder Gedächtniskirche niedergebuht wurde.” Leipzig hat für ihn ganz klar ein Problem. “Daher möchte ich über die Gefahren von rechts aufklären. Zudem interessiere ich mich für öffentliche Daseinsfürsorge. Dass es eine Schuldenbremse gibt, aber keine Privatisierungsbremse ist für mich unverständlich.”
Gefahr der Zersplitterung – “die Großen reiben sich die Hände”
Maren Müller dürfte die derzeit prominenteste unter den Initiatoren sein. Ihre Online-Petition gegen ZDF-Moderator Markus Lanz hat sie deutschlandweit bekannt gemacht. “Mir wäre es schon lieb, wenn unsere Stadträte wenigstens die Verwaltung kontrollierten”, sagt sie und fragt nach der Kommunikation und dem Miteinander zwischen Kommunalpolitik und Bürger: “Warum arbeitet die Stadtverwaltung nicht so, dass die Bürger es verstehen?”
Jene, die der Einladung gefolgt sind, vertreten am Abend ähnliche Ansichten. “Die Möglichkeiten in Leipzig die Politik zu beeinflussen sind gleich Null”, sagt zum Beispiel Ralf Kohl, der im Mai zur Stadtratswahl antreten möchte. Doch es gibt auch kritische Stimmen: “Jeder versucht etwas Neues zu machen, doch ihr dürft nicht den Fehler machen, Euch immer weiter zu zersplittern. Denn dann teilen sich die kleinen Parteien in wenige Prozente und die großen reiben sich die Hände”, so einer der Gäste.
Ute Elisabeth Gabelmann ist Mitglied bei den Piraten und ebenfalls zur Veranstaltung erschienen. “Ist es sinnvoll, etwas Neues zu gründen, wenn es doch schon so viele Alternativen gibt?”, fragt sie und weist darauf hin, dass die Piraten ihre Listen auch für Nichtparteimitglieder geöffnet haben. Das sorgt für Missgefallen. “Es ist anmaßend, dass System-Parteiler anwesend sind”, so ein Zwischenruf, welcher sich wohl auch gegen ein SPD-Mitglied in Reihe zwei richtet.
Immer wieder auf Kurs brachte hingegen der ehemalige Oberbürgermeisterkandidat Dirk Feiertag die Diskussion. “Wir sind knapp dran, quasi auf den letzten Drücker”, erinnerte er. “Bereits im Mai finden die Stadratswahlen statt.” Einzelne Punkte kann man an diesem Abend nicht ausdiskutieren. “Wir brauchen erst einmal 250 Unterschriften. Das ist sportlich.” Wie sportlich, dass weiß er aus eigener Erfahrung. Der Anwalt hatte bei der Oberbürgermeisterwahl im vergangenen Jahr im ersten Durchgang 6,9 Prozent geholt, was für Aufsehen sorgte. “Um erfolgreich zu sein, braucht es einen Minimalkonsens”, so Feiertag.
Der ist nicht leicht zu finden. Bereits nach der einer Stunde verlassen erste Gäste die Gründung wieder. “Jetzt geht schon die Kungelei los”, grummelt einer, der die Tür findet. Was er als Kungelei empfindet, sind die gründungsbedingten Diskussionen um den Verhaltenskodex, die Namensfindung und ob es eine offene Kandidatenliste geben soll oder die Kandidaten ausschließlich durch das neue Bündnis gefunden werden sollen.
Im Kodex zumindest steht am Ende des Abends, dass man tolerant ist und basisdemokratisch entscheiden will. “Konsensdemokratisch” stand im ersten Entwurf auch drin, wird dann aber gestrichen. “Wenn wir das jetzt streichen, sind wir nur noch basisdemokratisch”, gibt Frederik Grüneberg zu bedenken. “Was heißt nur noch? Das ist doch schon mal ein Fortschritt”, bewertet Ralf Kohl. Die Mehrheit entscheidet, dass künftig eine einfache Mehrheit reichen wird, um über Punkte abzustimmen. “Liquid Democracy”, die flüssige Demokratie – ein Online-Werkzeug zum direkten Austausch zwischen Mandatsträgern und Bürgern – soll genutzt werden. Ob deren Ergebnisse für die Kandidaten des Bündnisses verpflichtend werden, das steht noch nicht fest.
Keine Chance für KPD
Fest steht dafür der Name: “Bündnis Leipzig” war der erste Vorschlag und klarer Abstimmungssieger. Der Name setzte sich gegen ernste Vorschläge wie “Bürgerliste”, “Bürgerwille Jetzt!” und “Wir in Leipzig” durch. Und auch der Spaß-Vorschlag “Kommunale Politik demokratisieren – KPD” war chancenlos. Das politische Kind hat also einen großen Namen bekommen. Ob es eine Partei werden soll, das bleibt zunächst unklar. Dass man sich hier jedoch ausschließlich lokal verpflichtet sieht, scheint ein erster Wesenszug zu sein, welcher von SPD, CDU und anderen unterscheidet.
Knackpunkt bleibt die Frage, ob die Kandidatenliste offen oder geschlossen bleiben soll. “Wir müssen darüber entscheiden, wer antritt”, so Dirk Feiertag. “Aber was spricht denn dagegen, schon gewählte Stadträte auf unsere Liste zu holen”, fragt Ralf Kohl. “Sonst dienen wir als Stimmenfänger für andere Parteien”, gibt Feiertag zu bedenken. Hinter dem Hin und Her steckt auch das Für und Wider eines Zusammenschlusses mit existierenden Alternativen wie beispielsweise Neues Forum, Wählervereinigung und Piraten.
Nach über drei Stunden findet die Versammlung einen ersten Konsens: Es wird eine eigene Liste geben. Aber auch konkrete Angebote an andere Parteien. Der nächste Termin ist ebenfalls gesetzt. Am 26. Februar 2014 will das Bündnis Leipzig seine Kandidaten aufstellen. Sechs haben sich bereits an diesem Abend gefunden. Zehn braucht das Bündnis, um in allen Leipziger Wahlkreisen antreten zu können. “Ist der Termin nicht etwas spät angesetzt?”, fragt ein Mann in die Runde. Doch es geht nicht anders, da man zuvor mit WVL, Neuem Forum und weiteren in Ruhe reden möchte.
Das Bündnis Leipzig ist eine zügig zusammengekommene Runde, in Reaktion auf das Scheitern der Privatisierungsbremse im Stadtrat. Nun will eine Handvoll Leipziger die Politik selbst in die Hand nehmen. Kurzfristig, denn bereits im Mai dieses Jahres wird ein neuer Stadtrat gewählt. Sie wollen mehr direkte Demokratie durch die Bürger selbst, unbedingt, wenn auch auf den letzten Drücker.
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