Es ist eine seltsame Gesellschaft geworden, diese deutsche Gesellschaft im Jahr 2013. Die sozialen Probleme manifestieren sich in der ganzen Republik, die Städte ächzen unter steigenden Sozialkosten, obwohl Exportüberschuss, Steuereinnahmen und Reichtum im Land wachsen und immer neue Rekordstände erreichen. Und ganz unten in der Pyramide spielen Kommunen wie Leipzig mit ihren Hilfeempfängern Katz und Maus. Etwa bei den Kosten der Unterkunft.
Ein Thema, das die Stadt seit Jahren beschäftigt – gerade auch, weil die Ermittlung der Sätze, mit denen Leipzig die Unterkunftskosten für die Leipziger Bedarfsgemeinschaften bestreitet, seit Jahren nicht genügen und auch in der Herleitung vor den Sozialgerichten nicht stand halten.
148 Millionen Euro gab Leipzig 2012 aus seinem Haushalt allein für die Kosten der Unterkunft aus. Der Anteil des Bundes an diesen Kosten ist über die Jahre permanent gesunken. Normalerweise gäbe es dafür einen Ausgleich, der über die Länder an die Kommunen weitergereicht wird. Aber im November brachte eine Anfrage des Leipziger SPD-Abgeordneten Dirk Panter (SPD) an den Tag, dass Leipzig bei dieser innersächsischen Verteilung seit 2005 deutlich benachteiligt wurde. Insgesamt 281 Millionen Euro wurden dem städtischen Haushalt auf diese Weise vorenthalten. 281 Millionen Euro, die die Stadt zwangsläufig aus anderen Haushaltsposten abziehen musste.
Doch die Haushalte 2013 und 2014 zeigen, dass es der Stadt nicht mehr gelingt, die durch falsche Verteilung auf Landesebene gerissenen Löcher noch zu stopfen.
Ausbaden müssen es die Bürger, wer sonst?
In diesem Fall all die Hartz-IV-Betroffenen, die in den rund 44.000 Bedarfsgemeinschaften der Stadt leben und auf die Erstattung der Kosten der Unterkunft (KdU) angewiesen sind.
“Eine grundlegende Aufgabe der Stadt Leipzig ist die Sicherstellung und der Schutz des Grundbedürfnisses Wohnen. Um Leistungsberechtigten nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) und SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) das Wohnen unter angemessenen Bedingungen zu ermöglichen, werden die festgelegten Eckwerte für die Bemessung der Unterkunftskosten jährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst”, heißt es in der Vorlage, die in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters am 9. Dezember besprochen wurde.
Doch was kann eine Verwaltung tun, die gerade in einem Haushaltsjahr steckt, das allein schon aufgrund der gestiegenen Soziallasten auf ein Minus im Ergebnishaushalt zurollt, und die gerade mit dem Stadtrat darum ringt, das Minus im nächsten Jahr auf 15 Millionen Euro zu deckeln?
Wieder Geld draufpacken, das einfach nicht da ist? Oder darauf hoffen, dass der Freistaat im nächsten Jahr zu gnädig ist, Leipzig dieselben Beihilfen für die Kosten der Unterkunft zu gewähren wie Dresden oder Bautzen?
Beides nicht. “Der Eckwert für die Angemessenheit bleibt unverändert bei 4,48 Euro je qm Grundmiete”, heißt es im Beschluss der Dienstberatung, der am 16. Januar noch einmal im Fachausschuss Soziales besprochen werden wird.
Dabei wissen sowohl OBM wie Sozialbürgermeister, dass sie sich mit dem Beschluss in einer Grauzone bewegen. Nicht nur weil in etlichen Stadtteilen Leipzigs mittlerweile das Mietniveau spürbar gestiegen ist und damit auch die Vergleichsmieten. Auch der alte Quadratmetersatz für die Grundmiete hatte vor den Sozialgerichten keinen Bestand, obwohl er sich der Durchschnittsmiete von 5,15 Euro (2012) schon etwas deutlicher angenähert hatte als die Vergütungssätze der Vorjahre.
“Zuletzt erfolgte dies mit der Herleitung der Eckwerte 2012 im ‘Schlüssigen Konzept’ vom 18.09.2012 (DS V/2510). Die Anpassung der Eckwerte 2012 basierte wie schon 2011 auf der Datengrundlage des Leipziger Mietspiegels 2012, der Betriebskostenbroschüre 2012 und den Bestandsdaten der Unterkunftskosten aller Leipziger Leistungsberechtigten nach dem SGB II”, heißt es in der Vorlage des Sozialdezernats.
Das klingt zwar logisch, hat aber vor Gericht keinen Bestand.
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So steht es auch in der Vorlage: “Die Herleitung der Eckwerte im ‘Schlüssigen Konzept’ wird durch das Sozialgericht Leipzig derzeit nicht akzeptiert. Eine Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts steht noch aus.”
Ein Kritikpunkt an der KdU-Kosten in Leipzig war in den letzten Jahren auch immer, dass sie das ansteigende Mietkostenniveau nicht wirklich widerspiegelten und auch auf die zunehmende Verknappung preiswerten Wohnraums nicht reagierten. Denn irgendwann hilft auch alles Umziehen nicht mehr, dann finden die Betroffenen keine kleinen Wohnungen mehr im Bereich der Kostenerstattung.
Doch eine Wohnraumverknappung sieht die Leipziger Verwaltung trotz gestiegener Einwohnerzahlen nicht: “Die vorgenommene Auswertung des Wohnungsangebotes im Stadtgebiet Leipzig bestätigt, dass permanent ein ausreichender Umfang an Wohnungen im preiswerten Segment über alle Haushaltsgrößen angeboten wird. Allein im Bereich der 5-Personen-Haushalte liegen in den Immobilienportalen des Internets nicht genügend passende Wohnungsangebote vor. Das Angebot an großen Wohnungen ist jedoch generell gering und würde auch bei einer Erhöhung der Eckwerte nicht steigen.”
Also gilt aus Sicht der Leipziger Verwaltung: “Insgesamt ist durch den im ‘Schlüssigen Konzept’ vom 18.09. 2012 (DS V/2510) festgesetzten Grundmieteneckwert von 4,48 Euro je m² Wohnfläche eine ausreichende Versorgung mit Wohnungen des preiswerten Segments gewährleistet. Eine Veränderung dieses Wertes ist derzeit nicht notwendig.”
Nicht betrachtet hat das Sozialdezernat natürlich die Lage der verfügbaren “Wohnungen des preiswerten Segments”. Dabei weiß auch die Leipziger Stadtverwaltung, dass die Einführung von “Hartz IV” im Jahr 2005 die soziale Entmischung der Stadt vorangetrieben hat. In der Stadtmitte sind kaum noch Wohnungen für sozial schwache Familien zu finden. Die SGB-II-Quote liegt hier deutlich unter 10 Prozent – im Waldstraßenviertel zum Beispiel bei 4,8 Prozent, im Zentrum-Süd bei 7,7 Prozent.
Die sozial schwächeren Leipziger wurden in den letzten Jahren schon in den Ring der einstigen Arbeitervororte abgedrängt, wo man auch die Ortsteile mit den höchsten SGB-II-Quoten findet: Volkmarsdorf mit 42,5 Prozent, Neustadt-Neuschönefeld mit 34,1 Prozent, Altlindenau mit 28,8 Prozent. Dazu kommen die Plattenbausiedlungen wie Paunsdorf mit 28,9 Prozent oder Grünau-Mitte mit 35,0 und Grünau-Nord mit 33,5 Prozent. Der Entmischungsprozess ist in aller Stille im Gange.
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