Was ist das für ein Satz! - "Im Selbstbewusstsein des mündigen Bürgers, wie es sich in den Ereignissen des 9. Oktober beispielhaft manifestiert, liegt auch das große Zukunftspotenzial der Stadt begründet." Geschrieben hat ihn das Leipziger Kulturdezernat in seiner Vorlage zum Gedenkjahr 2014, in dem sich die Leipziger Friedliche Revolution zum 25. Mal jährt. Aber hat das Kulturdezernat überhaupt begriffen, worum es dabei geht?
Oder macht man einfach so weiter im alten Trott und verkleidet das Ganze dann mit schönen Phrasen, bei denen jedem Deutschlehrer der Magen zu brennen beginnt? – “Bei keinem anderen Ereignis der Leipziger Geschichte wird derart strahlkräftig die Kraft und das Potenzial jenes engagierten Bürgerwillens deutlich, der für das Außenbild der Stadt von entscheidender Bedeutung ist.”
Mal abgesehen von dieser geballten Ausdrucksschwäche: Deutlicher hat lange niemand gesagt, dass das “Potenzial jenes engagierten Bürgerwillens” für das Innenleben der Stadt eigentlich keine Rolle spielt. Alles nur noch schöner Schein und Museum. Ein Festival der Herzen.
Auch 2014 soll es wieder ein Lichtfest geben, ein großes, mindestens so groß wie 2009 zum 20jährigen. Oder in der Formulierung unseres sprachkräftigen Kulturdezernats: ein “außerordentlich großes”. – Wer sich hier an den Stil einst wirkmächtiger Zentralorgane erinnert fühlt, wird sich freuen, dass Worte wie Arbeiterklasse und führende Rolle im Text nicht vorkommen. “Erneut soll der Zug der Menschen, die Demonstrationsroute von 1989 nachvollziehend, um den Innenstadtring geführt werden.” Diesmal ganz herum, anders noch als 2009 oder 1989. Denn diesmal haben ja alle ein Ziel vor den Augen: “Der Abschluss des Lichtfestes wird dem erreichten Realisierungsstand des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf dem Platz der Friedlichen Revolution angepasst. Geplant ist, dass der Zug um den Ring an dieser Stelle seinen Zielpunkt hat, die Bürger werden den Platz als den Standort ‘ihres’ Freiheits- und Einheitsdenkmals in Besitz nehmen”, heißt es in der Vorlage.
Das “ihres” ist tatsächlich in Gänsefüßchen gesetzt. Ein Augenzwinkern oder ein Eingeständnis, dass das, was die Verwaltung hier plant, mit einem Freiheitsdenkmal der Bürger schon lange nichts mehr zu tun hat? Mal ganz abgesehen davon, dass die Stadt Leipzig mit der nachgeschalteten Bewertungsrunde im Juli 2013 wohl dafür gesorgt hat, den Wettbewerb endgültig zu delegitimieren. Wer bei der Punktevergabe trickst, gibt eigentlich schon zu, dass er die Sache gründlich vergeigt hat. Und auch, dass die entscheidenden Leute einfach nicht begriffen haben, dass die Zeit der generös von Potentaten gebauten Denkmäler seit 1989 vorbei ist. Wenn ein solches Denkmal Sinn machen soll und vor allem das der Bürger sein soll, dann wird es nicht aus Steuergeldern “geschenkt”, sondern gestiftet – dann sollte es ein echtes Bürgerdenkmal sein und kein Verwaltungsdenkmal.
Und es sollte am richtigen Platz stehen. Bloß weil der Wilhelm-Leuschner-Platz eine Brache ist, die seit dem Abbau der Baustelle für den City-Tunnel erst recht in ihrer blanken Leere zu bewundern ist, muss er nicht zum “Platz der Friedlichen Revolution” umgerubelt werden, wie es jetzt aus den Lautsprechern der Straßenbahnen trötet und in der S-Bahn-Station Wilhelm-Leuschner-Platz zu lesen ist.
Es gibt nur zwei Plätze in Leipzig, die diesen Titel wirklich verdienen: den Nikolaikirchhof und den Augustusplatz. Keiner sonst.Was die Leipziger Stadtverwaltung um Denkmal und Platz für Eiertänze vollführt, ist im besten Fall Geschichtsverdrehung und ansonsten völlig inhaltsleer. Da kann man noch so viele Worthülsen hineinschmeißen. Es bleibt eine Leere.
Eine echte Leipziger Idee wäre gewesen, den Platz in den “Platz der Beat-Proteste” umzubenennen. Das ist das einzige namhaft gewordene Ereignis, das hier tatsächlich stattgefunden hat. Aber welcher der üblichen Leipziger Granden ist schon noch ein Rocker?
Der “große Zug” am 9. Oktober 2014 wird also im Nirwana enden. Auf einer großen leeren Fläche. Es sei denn, man stellt wieder potjemkinsche Aufbauten hin.
Der Promenadenring selbst soll wieder – wie 2009 – künstlerisch bespielt werden. 425.000 Euro hat das Kulturdezernat dafür im Haushalt 2014 beantragt. Weitere 40.000 Euro hat es beantragt, um auch wieder die Ideen der freien Szene in das Jubiläum einfließen zu lassen. Aber an der Stelle wird ziemlich deutlich, wie verquer Leipzigs Verwaltung mittlerweile tickt. “Aktive Teilnahme, Möglichkeiten der Entäußerung eigener Sichten auf die Dinge müssen gefördert werden, es muss über den Genuss eines zentral organisierten Gedenk- und Kulturevents auch Möglichkeiten für die aktive Beteiligung von Bürgern aller sozialen Schichten geben.”
Jeder, der mag, kann jetzt sein Wörterbuch aus dem Schrank ziehen und nachschauen, was “Entäußerung” bedeutet. Es ist auch egal, ob man dann bei Hegel oder Marx weiterliest – es kommt aufs Selbe heraus. Dass man im Kulturamt nicht einmal weiß, worin sich freie Kunstszene und bürgerschaftliches Engagement unterscheiden, zeigt der nächste Satz. Man verweist auf die 40.000 Euro, die 2009 für “Projekte freier Künstler und soziokultureller Träger” zur Verfügung gestellt wurden. Diesmal will man sie für “Projekte gesellschaftlichen Engagements” hergeben.
Und wie man das in den letzten Jahren mit jedem Jubiläum eingeübt hat: Man organisiert auch wieder eine Extra-Veranstaltung für “hochrangige Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft”, wunschweise als Festakt wieder im Gewandhaus, Preislage 50.000 Euro, von denen man hofft, dass der Freistaat wieder die Hälfte übernimmt. Man hat auch das Gefühl, dass so ein Festakt “von den Medien intensiv wahrgenommen wird”, womit man wohl die üblichen Sender meint, die stundenlang nichts lieber tun, als immer wieder die selben Leute beim Reden abzufilmen.
Und weil man “hochrangige Gäste” nicht einfach nur mal so einlädt, sondern auch beherbergt und beköstigt, sollen auch 10.000 Euro aus dem Referat Protokoll zur Verfügung gestellt werden.
Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal: Es gab überhaupt keine Bestätigung von der Vergabekammer
Es stimmte wohl so gut wie nichts …
Nachprüfungsverfahren zum Wettbewerb Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal: Es muss nachbewertet werden
Und siehe da. Was das Leipziger Kulturdezernat …
Leipziger Freiheitsdenkmal: Ein Worpsweder Künstler entwirft ein echtes Denkmal für die “Bürger von Leipzig”
Es wird ein großes Schweigen sein …
Thema war diese seltsam wortgewaltige Vorlage in der Dienstberatung am 29. Oktober. Am 22. Januar 2014 soll sie im Stadtrat beschlossen werden.
Die Zahlen passen zwar nicht ganz zum Beschlusstext. Aber Verwendung wird sich für das Geld schon finden lassen. Der Beschlusstext selbst:
“1. Die Stadt Leipzig feiert das 25-jährige Jubiläum des 9. Oktober 1989, mit dem deutsche und europäische Geschichte geschrieben sowie der Weg zur deutschen Einheit frei wurde. Dafür werden Mittel i.H.v. 500.000 ? als städtischer Zuschuss bereitgestellt.
2. Wesentlicher Programmbestandteil der Feierlichkeit ist das Lichtfest am 09. Oktober 2014, das von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH veranstaltet wird. Es werden der LTM GmbH zur Organisation und Durchführung Mittel i.H.v. 425.000 ? bereit gestellt. Hiervon sind 200.000 ? aus dem für 2014 bestätigten höheren Zuschuss an die LTM GmbH zu finanzieren. 225.000 ? kommen aus dem Budget für Jubiläen 2014.”
Der Text der Vorlage: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/FCDE0BC6D067CFD8C1257C12003699F1/$FILE/V-ds-3382-text.pdf
Erklärung zu “Entäußerung” auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ent%C3%A4u%C3%9Ferung
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