Jahrelang wurde in Leipzig über Luftbelastung und notwendige Gegenmaßnahmen diskutiert. Die Luftreinhaltepläne enthielten rund 50 Maßnahmen, mit denen dem Problem zu Leibe gerückt werden konnte. Am Ende wurde auch die Umweltzone eingeführt, der umstrittenste Baustein von allen. Doch als das Leipziger Umweltdezernat im Juni 2013 den "Jahresbericht 2011" zum Luftreinhalteplan vorlegte, schüttelten auch viele Stadträte die Köpfe: So geht es nicht.

Sie forderten eine Vertagung der Diskussion über das, was drin zu lesen war. Das Umweltdezernat hatte sich richtig Mühe gegeben und alle Maßnahmen auch noch mit schwarzen Punkten (überwiegend umgesetzt), weißen Punkten (nicht umgesetzt) und schwarz/weiß geteilten Punkten (teilweise umgesetzt) bewertet. Doch gerade das machte vielen Stadträten wohl auch sichtbar, was alles nicht abgearbeitet wurde. Etliche Gründe waren in einer eigenen Spalte aufgelistet: Der Umbau der Stadt für eine bessere Luftqualität kostet Geld.

Manchmal waren es die Stadträte selbst, die das Geld lieber für andere Maßnahmen eingesetzt sehen wollten. Ist ja nicht so, dass die deutschen Großstädte von Irgendjemandem extra Geld bekommen, um die notwendigen Luftreinhaltemaßnahmen auch finanzieren zu können. Da benimmt sich die EU genauso schäbig wie Bund und Länder: Man fordert, definiert Sanktionen – und halst das Ganze dann den Kommunen als Zusatzbelastung auf.

Oft wurden Luftreinhaltemaßnahmen auch zwischen Ämtern und Dezernaten zerrieben, bremsten die einen, wo die anderen gern umsetzen wollten. Man denke nur an das Maßnahmepaket “Tempo-30-Zonen” in Wohngebieten – seit Jahren steht es im Luftreinhalteplan. Am Ende müssen die Anwohner vor Ort dennoch Bürgerinitiativen gründen, um das Anliegen auf städtischer Ebene durchzusetzen. Zuweilen bekommt man durchaus das Gefühl, dass der Luftreinhalteplan gern mal beiseite geschoben wurde, wenn es um höhere Ziele ging – etwa den Bau neuer Verkehrstrassen. Als stünde nicht auch eine Stärkung von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr im Luftreinhalteplan und sogar in den verkehrspolitischen Leitlinien der Stadt.

Einer jedenfalls hat jetzt die Faxen dicke: Jens Herrmann-Kambach, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Er hat sich den Bericht zum Luftreinhalteplan vorgenommen und fragt jetzt zur Ratsversammlung am 18. September jeden einzelnen Punkt ab, wo er den Eindruck hat, hier wurde nur die Hälfte berichtet, wurde ein Punkt schöngeschrieben, fehlen die Begründungen für Unterlassungen oder Verschiebungen.

Er ist von Beruf Straßenbahnfahrer – erlebt also während der täglichen Arbeit mit, wie sehr das Leipziger Verkehrsunternehmen mittlerweile auf Sparflamme fährt. An sensiblen Stellen müssen die Bahnen im Fußgängertempo fahren, weil die Gleiserneuerung überfällig ist. Die Erneuerung des Fuhrparks stockt, weil der Freistaat Sachsen bei den Fördergeldern knausert, die Fahrpreise steigen, obwohl an eine Beschleunigung der Bahnen gar nicht mehr gedacht wird.

Und jetzt will er ein bisschen Klartext dazu hören, wie die Verwaltung wirklich zu all den versprochenen Maßnahmen steht.

“Die Stadt Leipzig musste im Jahr 2009 einen Luftreinhalteplan aufstellen und in Kraft setzen. Die Stadt wurde auch verpflichtet, bis zum 25. 6. 2013 einen Jahresbericht 2011 zur Umsetzung der Maßnahmen des Luftreinhalteplanes der Stadt Leipzig zu veröffentlichen”, stellt er fest. Aber ein Bericht ist nur Papier. Davon wird die Luft und die Verkehrssituation in Leipzig nicht besser. Und die berechtigte Frage ist also: Sind all die Maßnahmen selbst nur heiße Luft? – Herrmann-Kambach: “Inwieweit ist die Stadt Leipzig verpflichtet worden, die einzelnen Maßnahmen des Luftreinhalteplanes umzusetzen? Welche finanziellen Mittel wurden der Stadt Leipzig seitens der EU, des Bundes oder des Landes Sachsen für die Umsetzung dieser Maßnahmen gewährt? Wie hoch ist die Förderquote für die einzelnen Maßnahmen? Welche Priorität haben/hatten Maßnahmen des Luftreinhalteplanes bei der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfes für das Jahr 2014?”Das sind nur die Eingangsfragen. Insgesamt hat er 29 einzelne Fragepakete geschnürt, in denen er die meisten Teile des Leipziger Luftreinhalteplanes hinterfragt auf Konsequenzen und Umsetzung hin.

Die Übersicht:

– Priorisierung von Straßenbelagsarbeiten unter Berücksichtigung möglicher Entlastungseffekte für die Immissionssituation

– Fortführung des Straßenbahnausbauprogramms Ablösung der Tatrabahnen bis 2018

– Weitere Erhöhung der ÖPNV-Attraktivität

– Prüfung und Umsetzung gebietsbezogener Verkehrsbeschränkungen

– Optimierung der Fernwegweisung am Verkehrsknotenpunkt B2 / A 38

– Weiterer Ausbau und Modernisierung des ÖPNV-Netzes

– Ergänzung/Erneuerung der Fahrzeugflotte für den ÖPNV – Beschaffung von Hybridbussen

– Erneuerung Kehrmaschinenflotte – M 1.20 Ausrüstung aller Müllfahrzeuge

– Auch das Fazit hinterfragt er: Baustellen können einen erheblichen Einfluss auf die PM10-Belastung haben. – Was folgt daraus für die Stadt?

– Ebenso das Fazit: Mobilitätsverhalten – gesellschaftliches Umdenken notwendig. – Was tut die Stadt dafür? Oder direkt den OBM angesprochen: “Was unternehmen Sie, Herr Oberbürgermeister, um dieses gesellschaftliche Umdenken hin zu einem ökologischeren Mobilitätsverhalten zu fördern?”

– Und wie ist es mit dem Fazit, dass die Umsetzung aller Maßnahmen gesetzliche Verpflichtung ist? (“Wie schätzen Sie, Herr Oberbürgermeister, die Bemühung der Stadtverwaltung zur Umsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtung ein? Welche verwaltungsinterne Anweisung zur Umsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtungen wurde durch Sie erlassen? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um Verstöße gegen diese gesetzliche Verpflichtung zu ahnden bzw. zu unterbinden?”)

– Wie steht es mit der Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel für die mit der Durchführung der Maßnahmen betrauten Ämter?

– Und wie steht es mit der Priorisierten Einordnung der zur Realisierung geplanter Maßnahmen erforderlichen Finanzmittel in die Haushaltsplanung?

– Welchen Einfluss nimmt die Stadt auf die Landes- und Bundespolitik – zum Beispiel zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen?

– Wie steht es um die Neuauflage der Aktion zur Fassadenbegrünung – “Aktion Klettermax”?

– Wie steht es um die versprochene verstärkte Begrünung von Straßenraum und Straßenrand – Erhöhung des Baumbestandes um 5.000 Bäume bis 2015 …?

– Und was ist mit der Schadstoffbegrenzung für Energieträgernutzung? Stichwort: Kontrolle der Feuerstätten.

– Wie steht es um verstärkte Baustellenkontrollen?

– Wie steht es um den Maßnahmepunkt Baustellen: Reifenwaschanlage bei großen Baustellen …?

– Wie steht es um den Einsatz emissionsarmer Baumaschinen und -fahrzeuge bei öffentlichen Bauaufträgen?

– Was ist mit der Verkehrsreduzierung an Abschnitten der B 181, Dufourstraße …?

– Wie steht es um die Förderung von Carsharing?

– Was ist mit der Prüfung der Wirksamkeit von Geschwindigkeitsreduzierungen auf hoch belasteten Straßenabschnitten?

– Wie geht die Stadt mit der Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h im Bereich von Großbaustellen um?

– Und wie will die Stadt die Erhöhung der Attraktivität des Radverkehrs erreichen?

– Was ist mit Weiterentwicklung des Parksystems, womit er im besonderen die Entwicklung des Park-and-Ride-Systems und das Angebot von Kombitickets anspricht. Ein Thema, das immer wieder mit der Diskussion um das Parkchaos rund ums Sportforum beiseite gedrängt wird.

– Wie steht es um die Unterstützung bei der Umstellung des kommunalen und gewerblichen Fuhrparkes auf schadstoffreduzierte Antriebe/Fahrzeuge?

– Wie steht es um die Ausrüstung aller ÖPNV-Busse mit Partikelfiltern?

– Und wie geht die Stadt mit Verbesserungsvorschlägen der LVB um? Die es ja auch gibt.

Es ist ein Fragenkatalog, der recht deutlich macht, wie sehr etliche Stadträte unzufrieden sind mit der Berichterstattung der Stadt zu einigen Themen. Den Jahresbericht zum Luftreinhalteplan legt zwar das Umweltdezernat vor. Aber es ist nur federführend. Alle andere Dezernate müssen ihren Teil dazu beitragen, Projekte umsetzen, Fördergelder einwerben oder die Budgets im Finanzplan untersetzen. Wo es tatsächlich hängt und klappert, das ist aus dem Jahresbericht nur punktuell ersichtlich.

Und dass ein LVB-Mitarbeiter zu recht ungeduldig wird, wenn der Punkt “Förderung von ÖPNV” einfach mit zwei “Erledigt”-Punkten abgehakt wird, versteht man nach dieser Frageliste.

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