Leipzig hat in der kommenden Bundestagswahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der dritten Folge äußert sich Sebastian Czich, Direktkandidat im Leipziger Süden und Kreisschatzmeister der Piraten in Leipzig.
Wie viel haben Sie zuletzt für eine Fahrt mit der Straßenbahn bezahlt?
Ich fahre nicht Straßenbahn, lieber Auto. Und da hat es den Anschein als würden die Straßen recht planlos gebaut und überall dort, wo alle Leute eben lang müssen. Das nervt schon. Parkplätze sind auch nicht genug da.
Was hat Sie in der vergangenen Legislaturperiode am meisten geärgert?
Hartz IV. Nicht nur für mich selbst – ich habe eine Weile lang aufgestockt – sondern darüber, was mit den Menschen gemacht wird. Nicht nur in der letzten Legislaturperiode, schon ein bisschen länger. Es ärgert einen eben, dass der Staat es tatsächlich geschafft hat, trotz des Widerstands der Bürger, so was durchzusetzen. Sobald die Empfänger auch nur einem 165-Euro-Job nachgehen, sind sie schon nicht mehr in der Statistik. Sie gelten ja als beschäftigt, nur verdienen sie eben nicht genug. Schlimmer ist noch, dass das Ganze gegen das Grundgesetz verstößt. Also, dass Menschen zu Dingen gezwungen werden, obwohl sie nicht gezwungen werden dürfen.
Ich allerdings hatte nie Probleme. Das hat immer irgendwie geklappt und hat sicherlich die Ursache darin, dass ich mich mit der Rechtslage ganz gut auskenne. Ich habe den Leuten beim Amt auch gesagt: Dies, das, jenes mache ich, das mache ich nicht und das ist mit Paragraph soundso verbunden. Da lassen die einen in Ruhe. Doch man kann eben nicht bei jedem voraussetzen, dass er sich entsprechend informiert und auskennt.
Worüber haben Sie sich in der vergangenen Legislaturperiode am meisten gefreut?
Gefreut? Es gibt so viele Baustellen, aus Piratensicht. Also, politisch gefreut, das ist eine schwierige Frage, da kann ich ja mal drüber nachdenken (lacht). Das fällt mir gerade schwer.
Nun, gute Tendenzen sind erkennbar, zum Beispiel sind in diversen Parteien Mindestlohnforderungen aufgekommen. Das ist aber nur die halbe Miete, das wird das Problem nicht lösen. Gefreut hat mich, dass zumindest die CDU mal über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht hat. Dies ist eines der wichtigsten Anliegen der Piraten, auf lange Sicht gesehen. Das ist kein ad hoc Ziel. Wenn wir am 22. September 51 Prozent kriegen, wird das nicht sofort umgesetzt. Wer das glaubt, der ist einfach nicht von diesem Planeten. Aber wenigstens ist es das Ziel. Man muss Ziele vor Augen haben. Nur so kann man sie verfolgen und umsetzen.
Also so richtig gefreut, nein, das gab es nicht.
Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie gewählt werden?
Man ist ja dann kein Bürgermeister. Man kann für die Stadt an sich wenig tun. Natürlich ist es möglich, zumindest die Lokalpolitiker hier und da aufmerksam zu machen, wo es Probleme gibt. Da gibt es viele. Ob das nun Straßenbau ist oder die zu kurzen Grünphasen bei Fußgängerampeln, die ich jeden Morgen beobachte, wenn ich meinen Sohn in die Schule bringe. In der kurzen Zeit schafft es noch nicht einmal eine Katze über die Straße. Und Autofahrer sind nicht die rücksichtsvollsten Menschen. Eher ein banales Problem aber für Kinder, die in die Schule unterwegs sind, ist das schon ein Thema. Man kann als Mitglied des Bundestages nicht viel für lokale Sachen tun, auch wenn meine lieben Mitkandidaten das anders glauben machen wollen. So einflussreich ist man auf lokaler Ebene nicht.
Warum sollten die Leipziger Sie wählen?
In erster Linie geht es darum, dass der Bundestag ein Paar Piraten bekommt. Und das nicht nur aus reinem Selbstzweck, sondern damit die anderen Parteien anfangen über Themen nachzudenken, die sie bis jetzt weggedrängt haben. Das Thema Rente zum Beispiel: Jemand, der 2.500 Euro im Monat brutto 35 Jahre lang verdient hat, der soll dann 2030 nur 600 Euro oder 700 Euro Rente haben. Wenn ich mir das überlege, dann ist klar, das System wird kippen. Das wird nichts.
Da muss man nachdenken und ein bedingungsloses Grundeinkommen, eben auch für Rentner, also für alle Menschen zahlen. Und damit ist das Problem erledigt. Soweit ich informiert bin – das hat mal ein kluger Kopf bei den Piraten durchgerechnet – wenn wir das Jobcenter abschafften und alle Beamten entließen, die dort arbeiten, dann könnte man allen Menschen in der Bundesrepublik 1.000 Euro im Monat zahlen. Da frage ich mich: Warum machen wir das noch nicht?
Klar, wir machen das noch nicht, weil die Rahmenbedingungen noch nicht stimmen. Wenn ich morgen anfange, jedem Menschen 1.000 Euro zusätzlich zu seinem Gehalt zu bezahlen, dann werden Mieten steigen, dann werden Preise steigen, weil alle natürlich denken, Mensch, lass uns ein Stück vom Kuchen haben. Daher müssten erst einmal Rahmenbedingungen geschaffen werden, Mietpreiserhöhungen eingedämmt et cetera. In dem Fall muss man Dinge festzurren aber man muss auch flexibel reagieren können, so dass eben niemand – keine Firma, kein Staat, keine Behörde – das ausnutzen und die Bürger über den Tisch zu ziehen kann. Danach kann das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden. Und das soll schon vor 2030 passieren. Ich zum Beispiel gehe auch irgendwann in Rente und habe keine Lust, dann trotz vielen Jahren Arbeit Hartz IV-Empfänger zu sein.
Was machen Sie, falls Sie den Einzug nicht schaffen?
Ja, dann bin ich weiterhin Schatzmeister der Piraten in Leipzig und werde weiterhin für unsere Ziele kämpfen.
Was sind Leipzigs drängendste drei Probleme?
Nummer eins: Kita-Plätze. Das haben ich und meine Frau am eigenen Leib erlebt. Wir haben Glück gehabt, muss man sagen, dass wir bei einem Tagesvater jetzt einen Platz bekommen haben für meine Tochter. Zuvor hatten wir uns bei zehn Kindergärten beworben. Wir sind aller 14 Tage hingegangen und haben uns – ich sage das böse Wort jetzt: prostituiert – sozusagen, nur um den Platz zu bekommen. Wir haben uns in lustige Bücher eingetragen, das ist eigentlich ein bisschen unter meiner Würde aber ich brauchte eben so einen Platz. Gebracht hat es trotzdem nichts. Wir haben von zehn Kindergärten gesagt bekommen: Nö, wir haben halt leider keinen Platz. Fragen Sie nächstes Jahr noch mal.
Da dachte ich mir: Schön, meine Frau geht seit August wieder arbeiten und ich habe auch vor wieder arbeiten zu gehen, spätestens nach der Bundestagswahl. Wir haben dann noch mal 20 Bewerbungen bei Tagesmüttern und Tagesvätern abgegeben.
Aber am Ende kann es doch so nicht laufen. Es muss doch für jedes Kind ein Platz da sein. Es sind massiv Kindergärten geschlossen worden und nun wundert man sich ein paar Jahre später: Wir haben ja Kinder, was machen wir denn da? Das kann nicht sein. Wozu haben wir das Meldesystem? Wozu haben wir denn die ganzen Daten erhoben? Damit wir wissen, wie viele Kinder wir haben, die eventuell irgendwann mal einen Platz brauchen könnten. Das ist ein Knopfdruck – für mich als Ex-ITler – das muss ein Knopfdruck sein, dass man das findet.
Nummer zwei: Die Infrastruktur. Mir scheint, dass das Geld, was ich und viele weitere Millionen Bürger an Kfz-Steuer bezahlen, nicht da ankommt, wo es hin soll. Und was den Tunnel anbelangt, ja, (lacht), also für das Geld hätte man viele Kita-Plätze herrichten können.
Nummer drei: Die Preise für den öffentlichen Nahverkehr sind zu hoch. Die Piraten planen einen fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr. Das heißt nicht, dass das niemand bezahlt, sondern dass jeder Bürger das bezahlt und alle soviel und so oft fahren können, wie sie lustig sind.
Mir fällt noch ein viertes Problem ein: Die Stadtverwaltung versucht massiv, die öffentlichen Unternehmen zu verkaufen. Das muss unterbunden werden. Dafür mache ich mich jetzt schon stark, es gibt ja die Bürgerbewegung der Privatisierungsbremse, die schon fleißig Unterschriften gesammelt hat. Und das Problem beziehe ich nicht nur auf Leipzig. Das sollte für alle Städte gelten, dass so was nicht passiert. Ich meine, das sind Güter, die allen gehören. Und die sollte man nicht einfach so veräußern können. Was geschieht dann mit dem Wasserpreis? Strom ist schon schlimm genug.
Beamen Sie sich gedanklich in das Jahr 2030. Wie hat sich Leipzig verändert?
Wir haben einen Bürgermeister, der der Piratenpartei angehört, vorzugsweise meinen Namen trägt … aber erst mal gucken (lacht). Durch mein Engagement bei den Piraten habe ich Einblicke bekommen, was in Leipzig in der Stadtverwaltung so läuft. Sagen wir mal so: Wer mit wem kungelt und wer in irgendeiner Form Vorteile schöpft. Ich nenne keine Namen, da hat man gleich wieder eine Abmahnung am Hals. Aber diese Vetternwirtschaft, die ganz offensichtlich hier stattfindet, auch wenn sie schön kaschiert und schön versteckt ist, die muss einfach aufhören. Aber ich denke Leipzig wird das im Jahr 2030 gepackt haben. Es wird eine blühende Stadt sein, hoffentlich mit den Piraten.
Wie stehen Sie zum Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?
Also die Piratenpartei an sich, wenn wir das grob umreißen, steht für eine Weltregierung. Das hat natürlich Facetten, das hat Einschränkungen, aber ich denke, zumindest ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen, wäre eine gute Idee. Es würde Geld sparen, man hätte zentrale Stellen, um Dinge verwaltungstechnisch zu regeln.
Aber das ist mit dem Bürger nicht zu machen. Und was mit den Bürgern nicht zu machen ist, brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Also, das garantiere ich. Wenn niemand auf die Straße geht, wenn er abgehört wird, wenn niemand auf die Straße geht, wenn jeder x-beliebige Polizist innerhalb eines Tastendrucks weiß, was er auf dem Kerbholz hat… Aber wenn man versucht Bundesländer zusammenzulegen, dann gehen die Leute auf die Straße und dann wird man auch Rentner sehen.
Deswegen würde ich das verwaltungstechnisch durchsetzen, ohne Ländergrenzen aufzulösen. Die Verwaltungsstruktur ist ja der Hauptkostenfaktor. Ich sehe auch nicht, warum zum Beispiel Sachsen einen Gesundheitsminister braucht. Dafür haben wir den Bund. Die föderale Struktur könnte man schon ein bisschen aufbrechen und sicherlich viele Kosten einsparen, die sinnlos ausgegeben werden.
Würden Sie Ihren Kindern den Job des Bundestagsabgeordneten empfehlen?
Nein, hypothetisch gesehen, ich glaube nicht. Ich mache jetzt den Job des Schatzmeisters im Kreisverband einer kleinen Partei. Das macht Spaß und ist auch interessant aber im Bundestag wird das noch viel anstrengender. Also rein das menschliche Miteinander, nehme ich an, wird sehr verloren gehen. Ich würde meinen Kindern lieber empfehlen, erst mal das zu machen, was sie gerne möchten und wenn es das dann ist, Bundestagsabgeordneter, so sollen sie es versuchen. Aber bis dahin gibt es erst mal eine große Hürde.
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