Leipzig hat in der kommenden Bundestagswahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der siebten Folge äußert sich Holger Krahmer, der für die FDP derzeit noch im Europaparlament in Brüssel sitzt und nach Berlin in den Bundestag wechseln möchte. Er kandidiert für das Direktmandat im Leipziger Süden.
Wie viel haben Sie zuletzt für eine Fahrt mit der Straßenbahn bezahlt?
Das war in Brüssel und das war keine Straßenbahn, sondern ein Bus. Das kostet dort 1,40 Euro für eine Kurzstrecke. In Leipzig, als ich das letzte Mal verglichen habe, hatte die gleiche Strecke sogar einen teureren Preis. Genau kann ich es nicht sagen.
Als terminüberladener Mensch nutze ich zu 80 Prozent der Zeit das Auto. Geht nicht anders, es sei denn es gibt eine gute Zugverbindung. Ich bin nun seit einigen Jahren im Mandat und das bringt viele Abendveranstaltungen mit sich, manchmal in den entlegensten Dörfern. Das geht sinnvollerweise nur mit dem Auto. Aber zugegebenermaßen bin ich kein häufiger Nahverkehrsnutzer in Leipzig. Ergibt sich halt aus der Situation. Ich habe noch eine Firma hier, bin also in Brüssel, Straßburg, Leipzig, Berlin und Dresden unterwegs. Und deswegen ist bei mir die Leipziger Straßenbahn eher ein seltenes Verkehrsmittel.
Wenn Sie an die vergangene Legislaturperiode zurückdenken, was hat Sie am meisten geärgert?
Mich hat am meisten geärgert, dass es meiner Partei nicht gelungen ist, das zentrale Versprechen des letzten Wahlkampfes umzusetzen, nämlich den Bürger zu entlasten. Wir haben heute – sowohl absolut gesehen als auch im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung – die höchste Steuerbelastung, welche es jemals gegeben hat. Und ich glaube, dass es ein Fehler ist, darüber nachzudenken – egal über welche Einkommensklassen man da redet – dem Staat immer weiter Geld in die Haushalte zu stecken. Es ist Zeit für Entlastung. Leider hat die FDP sich nicht durchgesetzt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zuerst sind wir da an Schäuble gescheitert, später ein bisschen an uns selbst, das ist das Hauptproblem.
Und zweitens, was mich massiv geärgert hat, ist diese, doch sehr kopflose Energiewende, der kein Konzept zu Grunde lag, sondern im Grunde nur eine opportunistische Wahlkampfstimmung kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg war. Man glaubte, dass nach dem Unglück von Fukushima hier noch eine Stimmung drehen zu können, indem man Atomkraftwerke abschaltet. Das war mit Sicherheit falsch, dort sind Entscheidungen zu korrigieren, denn die Folge ist letztendlich, dass wir galoppierende Energiepreise haben, sowohl für Privathaushalte als auch für die Industrie. Niemand um uns herum, so sage ich als Europapolitiker, folgt uns auf diesem Weg. Und deswegen sind auch dringende Korrekturen nötig.
Und worüber haben Sie sich am meisten gefreut?
Gefreut habe ich mich darüber, dass es dieser Regierung in sehr turbulenten Zeiten gelungen ist, das deutsche Schiff auf Kurs zu halten. Wer quer durch die europäische Union guckt, sieht doch überall eine Menge Probleme und teilweise sehr einschneidende Schwierigkeiten, gerade soziale Schwierigkeiten, sind im Gange. Wir sind hier ein bisschen auf der Insel der Glückseligkeit und ich glaube nicht, dass es dauerhaft so bleiben kann. Da sind sicherlich noch unbequeme Entscheidungen im Zusammenhang mit der Eurokrise zu treffen aber man muss unterm Strich sagen, dass die Regierung unter sehr, sehr unglücklichen Umständen in den letzten vier Jahren ziemlich das Beste daraus gemacht hat.
Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie wiedergewählt werden?
Ich würde ja von Brüssel nach Berlin wechseln – übrigens ein Unikum, das hat es in der FDP noch nie gegeben, dass ein Europaparlamentarier nach Berlin gewechselt ist. Es tut Berlin recht gut, wenn mehr Leute mit Brüssel-Kompetenz kommen, denn letztendlich werden viele politische Entscheidungen mittlerweile in Brüssel getroffen und in Deutschland nur umgesetzt.
Für Leipzig wird es vor allem darum gehen, dass die Verhinderung von Steuererhöhungen und da, wo das möglich ist, Steuerentlastungen, auch jedem Leipziger gut tun. Ich glaube, dass die Zeit des Solidaritätszuschlags abgelaufen ist. Die Diskussion, welche geführt wird, ist müßig, denn das Geld, was jeder Steuerzahler als quasi Zuschlag zur Einkommenssteuer bezahlt, geht nicht vornehmlich in die neuen Bundesländer sondern verschwindet im normalen Bundeshaushalt. Und ich glaube, dass es angezeigt ist, dass der Solidaritätszuschlag gestrichen wird oder zumindest ein klarer Zeitplan geschaffen wird. Dann entlastet es jeden und das hilft mit Sicherheit auch der Leipziger Wirtschaft.
Ich halte sehr viel davon, dass wir in Deutschland die vernachlässigte Straßeninfrastruktur in Ordnung bringen. Wir haben einen riesigen Investitionsstau, das betrifft gerade den Straßenzustand in Leipzig, gerade in den Wohngebieten. Das ist zwar nicht vorrangig eine Bundesaufgabe aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dort auch aus Bundesmitteln heraus eine Prioritätensetzung passieren muss. Ich glaube auch nicht, dass Bürger wirklich ein Verständnis dafür haben, dass wir den griechischen Staat vor der Pleite retten aber gleichzeitig zu Hause keine Möglichkeit haben – ich denke da an Schleußig, wo ich wohne – einfach eine Stadtteilstraße in Ordnung zu bringen, die vor Schlaglöchern strotzt.
Warum sollten die Leipziger Sie wählen?
Ich glaube mit mir kriegt man einen Politiker mit Ecken und Kanten, der nicht nur als Parteisoldat agiert, sondern dadurch aufgefallen ist, dass er eine eigene Meinung hat. In der letzten Legislatur haben wir langfristig wirkende strategische Fehlentscheidungen getroffen, die es zu korrigieren gilt sowohl bei der Eurorettung als auch bei der Energiewende. Daran will ich mitarbeiten.
Ich gehöre nicht zu jenen, die jedem Meinungsmainstream hinterher laufen, sondern zu jenen, die durchaus bereit sind, gegen den Strich zu bürsten und zum Beispiel die Sinnhaftigkeit einer, teilweise sehr hysterischen, Umwelt- und Klimapolitik in Frage zu stellen: Was kostet’s? Was bringt’s, wenn wir eine Umweltzone einrichten, wenn wir den Klima-Aktionsplan für irgendeine Kommune machen oder eine neue Steuer unter dem CO2-Label einführen. Dies muss mehr in den Vordergrund rücken und nicht nur: Fühlen wir uns gut dabei?
Und was planen Sie, wenn Sie den Einzug nicht schaffen?
Wenn ich den Einzug nicht schaffe, habe ich einen Wählerauftrag im europäischen Parlament bis Mitte 2014, also bis nächstes Jahr noch. Und danach fühle ich mich jung genug und dynamisch genug um mich neuen Herausforderungen zu widmen. Ich habe immer gesagt, ich will nicht Berufspolitiker auf Lebenszeit bleiben. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich jetzt unter keinen Umständen um eine dritte Legislaturperiode im europäischen Parlament bewerben werde.
Ich habe immer gesagt: Zwei Mal, dann ist gut. Denn ich bin nicht als Berufspolitiker geboren worden, ich habe vorher einen vernünftigen Beruf gehabt und ich fühle mich durchaus in der Lage danach wieder ins richtige Leben einzusteigen. Gerade in unserer Partei zeichnen sich viele dadurch aus, dass sie eben nicht Kreissaal-Hörsaal-Plenarsaal-Karrieren machen. Ein politisches Mandat ist für mich Dienst am Volk auf Zeit.
Und das soll’s auch bleiben. Deswegen lege ich jetzt mein Gewicht in die Waagschale, um aus dem europäischen Parlament in den Bundestag zu wechseln, sofern der Wähler das mitträgt. Wenn nicht, müssen diese Aufgabe dann in Berlin andere Leute wahrnehmen und ich werde mich neuen Aufgaben widmen. Aber ich werde logischerweise der Politik immer verbunden bleiben.
Was sind denn Leipzigs drängendste drei Probleme?
Das drängendste Problem ist die finanzielle Situation der Stadt. Unter der sehr angespannten Haushaltssituation subsumiert sich fast alles, was in Leipzig Probleme aufwirft. Es wird teilweise ignoriert, dass wir vor finanziellen Herausforderungen stehen, bei denen ich sehr gespannt bin, ob die Kommune das überhaupt leisten kann. Wir haben dramatische Situationen in den kommunalen Unternehmen: Es ist beispielsweise nicht klar, was passiert, wenn es ein Urteil gegen die kommunalen Wasserwerke gibt und es ist ein riesiger Schuldenberg bei der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft vorhanden. Gleichzeitig werden in Leipzig immer noch zu viele – ich sage das mal auf Deutsch – Wünsch-Dir-Was-Projekte diskutiert. Hier wird zu viel über das Geld ausgeben geredet und zu wenig darüber, wie es erwirtschaftet wird. Leipzig ist eine wunderschöne, attraktive Stadt aber die wirtschaftliche und die ökonomische Situation ist an einer Zahl sehr gut messbar, nämlich den Unterbringungskosten für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Sie sind höher als die Gewerbesteuereinnahmen.
Das heißt, wir haben viel zu viele Menschen, die quasi am Alimentierband des Staates hängen und gleichzeitig muss man sich sorgen um die Frage, tun wir hier genug für die Leute, die etwas unternehmen wollen, die eigene Risiken tragen und vorankommen wollen? Ich bin sicher, dass viele sich dieser Situation nicht bewusst werden. Das wird erst zum Tragen kommen, wenn tatsächlich mal eine Stadt in so große Finanznöte kommt, dass das Regierungspräsidium mit einer Zwangsverwaltung droht und die Straßenlaternen abends aus bleiben. Die Kreditfähigkeit der Stadt ist längst Thema bei den Kreditgebern und ich denke, dass wir einen Mantel des Schweigens über die Situation haben, der nicht mehr sehr lange aufrecht erhaltbar ist.
Beamen Sie sich gedanklich ins Jahr 2030. Wie hat sich Leipzig verändert?
Ich hoffe, dass wir mit Dresden aufschließen, denn man muss neidlos anerkennen, dass Dresden in jeder Hinsicht die Nase vorn hat. Dort ist das Verschuldungsproblem bei weitem nicht so groß, die Stadt ist sehr attraktiv für Tourismus und für wirtschaftliche Aktivitäten. Da sollten wir uns als Leipziger darüber im Klaren sein. Wenn es zwei – Berlin immer ausgenommen, es ist sowieso ein Mikrokosmos – wenn es zwei dynamische, attraktive ostdeutsche Städte gibt, dann sind das Dresden und Leipzig. Und da möchte ich bitte Leipzig auf derselben Augenhöhe sehen, sowohl wirtschaftlich als auch sozial und kulturell.
Wie stehen Sie zum Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?
Im Moment halte ich das nicht für zielführend. Fakt ist, dass wir, verglichen mit anderen europäischen Ländern, zwar besser dastehen aber auch in Deutschland ist die Staatsverschuldung erschreckend hoch. Sicher kommen wir deshalb um eine Neuordnung der Länder wahrscheinlich gar nicht umhin. Ich bin aber Realist genug, zu sagen, dass so eine Neuordnung nicht aus politischem Willen passieren wird. Dafür sind zu viele Besitzstände, zu viele Pfründe zu sichern. Erst, wenn irgendjemand vor einer Zahlungsunfähigkeit steht, wird es dazu kommen. Sachsen würde es im Moment auch nicht gut tun.
Wir würden noch schwächere Länder um uns herum irgendwie aufnehmen müssen. Sachsen ist das ostdeutsche Land, das auch die Nase vorn hat, sowohl was die wirtschaftliche Entwicklung, als auch Bevölkerungsentwicklung – wir haben einen Zuzug von Menschen – anbelangt. Das geht von seiner guten Politik aus, angefangen von Kurt Biedenkopf bis zur aktuellen Staatsregierung. So eine Diskussion können wir daher für Sachsen eher nicht brauchen.
Würden Sie Ihren Kindern den Job als Bundestagsabgeordneter empfehlen?
Ich empfehle grundsätzlich jedem, sich für die politischen Belange des Landes, der Kommune, et cetera, zu interessieren und sich einzumischen. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich nach der Wende anfing, mich für Politik zu interessieren. Viele, gerade jüngere Menschen in unserem Land, wissen nicht zu schätzen, wie gut es ihnen hier geht. Sie nehmen viele Alltagsbequemlichkeiten als selbstverständlich hin, die erstens erarbeitet und wofür zweitens immer neue politische Interessensausgleiche gesucht werden müssen. Es wäre fatal, wenn sich immer weniger Menschen dafür interessierten, auf welchem Wege und durch wen politische Entscheidungen getroffen werden. Deswegen würde ich meine Kinder immer motivieren, sich zu interessieren, sich einzumischen. Das heiß nicht, dass man immer gleich für irgendetwas kandidieren muss.
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