Leipzig hat in der kommenden Bundestagswahl wieder zwei Direktmandate zu vergeben: eines im Norden (Wahlkreis 152) und eines im Süden (Wahlkreis 153). Um diese bewerben sich zwölf Kandidaten der etablierten Parteien. Im Interview erzählen diese, warum sie gewählt werden möchten, wie sie die Stadt sehen und was sie im Falle eines Wahlsiegs in Angriff nehmen wollen. In der fünften Folge äußert sich Barbara Höll, die bereits im Bundestag sitzt und der Partei Die Linke angehört. Sie kandidiert für das Direktmandat im Leipziger Norden. Höll ist lesben- und schwulenpolitische Sprecherin sowie steuerpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Wie viel haben Sie zuletzt für eine Fahrt mit der Straßenbahnfahrt bezahlt?
Ich habe noch vor der Preiserhöhung ein Viererticket geholt und das kostet 9,20 Euro. In Leipzig bewege ich mich zu Fuß, mit der Straßenbahn, mit dem Auto und mit dem Fahrrad fort. Nur die Buslinien nutze ich nicht. Das sind die Querverbindungen, da kenne ich mich nicht so richtig aus.
Wenn Sie an die letzte Legislaturperiode zurückdenken, was hat Sie am meisten geärgert?
Oh da gibt es so Einiges. Ich möchte aber drei, vier Dinge nennen. Mit am meisten geärgert hat mich, dass Schwarz-Gelb nicht in der Lage war, den eigenen Koalitionsvertrag zu erfüllen. Das betrifft insbesondere die Gleichstellung von Homosexuellen. Mehrere Bereiche sind offen geblieben und Änderungen sind erst erfolgt, als das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Wir haben die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft bis heute nicht ganz erreicht. Es war klar, dass das Bundesverfassungsgericht die steuerliche Gleichstellung fordern würde. Und trotzdem hat die Bundesregierung bis zum letzten Moment mit der Umsetzung gewartet und hat sich dann für eine minimale Umsetzung entschieden, sprich es erfolgt nur eine Gleichstellung hinsichtlich des Ehegattensplittings. Sie hätte wenigstens noch die Chance nutzen und eine Generalklausel im Steuerrecht verankern sollen. Immer dann, wenn von Ehe gesprochen wird, wären die eingetragenen Lebenspartnerschaften mitgemeint. Das wäre für die Betroffenen als auch für die Finanzämter einfacher. So, wie es jetzt ist, ist es nur ein Armutszeugnis, weil es nur eine Reaktion ist, eine Reaktion im Minimum, die nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht.
Des Weiteren ärgert mich nach wie vor, dass die Bundesregierung so gut wie nichts gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse getan hat und den Betroffenen einen Mindestlohn, der die Existenz sichern würde, bis heute verwehrt.
Auch ärgert mich, dass es keine vernünftige steuerliche Entlastung für untere und mittlere Einkommen gegeben hat, obwohl dies umzusetzen nicht schwer wäre. Man bräuchte nur den Tarifverlauf in der Einkommensteuer entsprechend anzupassen, unseren Vorschlag für einen sogenannten durchgehend-linear-progressiven Tarif haben wir unterbreitet.
Ein weiterer Punkt, über den ich mich ärgere: Die Bundesregierung hat trotz vollmundiger Versprechen den Katalog mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz nicht entrümpelt. So bestehen zahlreiche Kuriositäten weiter.
Auch ärgere ich mich als steuerpolitische Sprecherin besonders darüber, dass die Bundesregierung nicht genügend gegen Steuerbetrüger vorgeht. Im Gegenteil, das Schweizer Steuerabkommen hätte Steuersündern sogar den roten Teppich ausgerollt. Und die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung in schweren Fällen lehnt die Bundesregierung bis heute ab, obwohl dieses Instrument von Steuerbetrügern systematisch missbraucht wird.
Was hat Sie am meisten gefreut in der vergangenen Legislaturperiode?
Gefreut hat mich am meisten, dass es uns trotz allem gelungen ist, mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft ein Stück voranzukommen. Und gefreut hat mich auch, dass wir im Bereich des Mindestlohnes einen Durchbruch erzielt haben. Im Jahr 2005 ist Die Linke damit im Wahlkampf angetreten, als andere Parteien noch gesagt haben: Das geht nicht, das ist zu schwierig und, und, und. Inzwischen ist es Thema in allen Parteien und ich bin optimistisch, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich machen werden: einen gesetzlichen Mindestlohn.
Ebenso hat mich gefreut, dass die Bedeutung einer Einkommensteuertarifreform in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt ist. Und auch, dass unser Konzept gut von den Medien aufgegriffen wurde.
Welche Projekte werden Sie für Leipzig in Angriff nehmen, wenn Sie den Einzug wieder schaffen, also das Direktmandat holen?
Nun, ich trete an für ein Bundestagsmandat, das heißt es geht um die Bundesgesetzgebung, die sich mittelbar oder unmittelbar auf Leipzig auswirken wird. Deshalb ist es schwierig zu sagen, welches Projekt speziell für Leipzig gemeint ist. Wichtig für diese Stadt wird – und das sind die Themen der Linken – dass wir beim Mindestlohn wirklich vorankommen und dass wir den Umgang mit den Renten klären. Wir brauchen endlich die Angleichung des Rentenwertpunktes Ost an den Rentenwertpunkt West, brauchen die Beibehaltung des Höherberechnungsfaktors des Lohn-Niveaus. Es muss eine Grundsicherung im Alter geben. Und wir brauchen, das ist in Leipzig, der Armutshauptstadt Sachsens, von entscheidender Bedeutung: Wir brauchen endlich Änderungen bezüglich Hartz IV. Steuerpolitisch brauchen wir endlich eine Reform des Einkommensteuertarifes, sodass untere und mittlere Einkommen steuerlich entlastet werden. Unser Vorschlag hierzu liegt auf dem Tisch.
Warum sollten die Leipziger Sie wählen?
Die Leipziger sollten mich wählen, weil sie mich kennen als eine langjährige Politikerin, die sich wirklich engagiert – in Berlin, in Sachsen und in Leipzig – für die Belange hier, für soziale Gerechtigkeit, vor allem für Steuergerechtigkeit, das ist mein Fachgebiet. Viele Anliegen von Leipziger Bürgerinnen und Bürgern habe ich die letzten Jahre im Bundestag thematisiert und die Bundesregierung um Klärung gebeten. Die Leipzigerinnen und Leipziger wissen bei mir: Die Frau redet nicht nur, die macht das auch. Ich glaube, diese Erfahrung haben viele Leipziger unter anderem auch im Oberbürgermeisterwahlkampf machen können. Das Wahlergebnis hat dafür gesprochen, dass Vertrauen da ist, in jene Positionen, die ich vertrete.
Was machen Sie, wenn Sie den Einzug nicht schaffen?
Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht, weil ich davon ausgehe, dass wir als Linke unser jetzt stabiles Ergebnis von acht Prozent noch steigern werden. Ich habe das Gefühl, viele Menschen sind enttäuscht. Sie rechnen damit, dass eine große Koalition kommt. Aber gerade in dieser Situation wissen sie auch, dass es zumindest eine starke Opposition braucht. Als Kontrolle, als Stimme, die Anliegen in das Parlament hineinbringt und wieder heraus. Und als wirkliche Kraft, die Themen setzen kann, an denen die anderen Parteien nicht vorbei kommen.
Was sind Leipzigs drängendste drei Probleme?
Als die drängendsten drei Probleme für Leipzig sehe ich die hohe Arbeitslosigkeit, die hohe Kinderarmut sowie die Situation bei den Mieten. Durch die hohe Arbeitslosigkeit haben wir jetzt schon einen großen Teil an Kindern, die in armen Verhältnissen groß werden. Und wir werden in Zukunft noch mehr alte Leute sehen, die mit Mini-Renten auskommen müssen. Wenn ich Leute sehe, die im Alter Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen, dann geht mir das sehr ans Herz. Das darf es nicht geben.
Und dann müssen wir auch aufpassen, dass die Mieterhöhungen nicht ungebremst fortschreiten. Wir haben in Leipzig zwar noch eine sehr auskömmliche Situation für Mieter, doch auch hier ziehen in bestimmten Stadtteilen die Mieten schon an. Gepaart mit der hohen Arbeitslosigkeit darf das nicht darin münden, dass sich die Stadtviertel dann auseinander entwickeln und die Ärmeren an den Stadtrand gedrängt werden. Es macht auch den Charme von Leipzig aus, dass hier alles noch gut durchmischt ist. Leipzig darf nicht das nächste Berlin werden.
Beamen Sie sich gedanklich ins Jahr 2030. Wie hat sich Leipzig verändert?
Also im Jahr 2030 werde ich dann auch – ich muss rechnen – im Rentenalter sein. Das heißt, ich gehöre dann zu einer großen Gruppe, welche die Stadt bevölkert. Für mich ist nicht entscheidend, wie Oberbürgermeister Jung sagt, wie groß die Stadt dann sein wird. Für mich zählt, wie zufrieden die Menschen hier leben. Wenn die jetzige Entwicklung nicht gestoppt wird, werden wir einen großen Anteil von Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter mit wenig Einkommen haben. Das würde sich auf viele Bereiche auswirken, denn gerade Senioren – wenn sie mit Finanzen auskömmlich ausgestattet sind – nutzen Kultur und engagieren sich. Sie machen für das Zusammenspiel der Generationen viel aus.
Ich wünsche mir auch, dass Leipzig dann wirklich kinderfreundlich ist. Meines Erachtens ist das gleichbedeutend mit seniorenfreundlich, denn wenn man auf Kinder schaut, erfasst man ältere Menschen mit. Also, wenn es keine Parkbänke gibt, können sich weder die Muttis mit dem Kinderwagen noch die Papas, die zugucken, wie ein Kind spielt, noch ältere Menschen hinsetzen und zwischendurch ausruhen. Leipzig wird im Jahre 2030 noch grüner sein und ich hoffe, dass bis dahin keine weiteren Bausünden entstehen, wie zum Beispiel am Burgplatz. Und ich hoffe, dass die Stadt den Charme als Bürgerstadt, mit wahrlich engagierten Bürgern, behält.
Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, ein Großbundesland Mitteldeutschland zu schaffen?
Das wird die Zukunft sein, weil wir überlegen müssen, wie die Verwaltungsstrukturen bürgerfreundlich zu gestalten sind. Das heißt so nah wie möglich an den Bürgern und andererseits auch effektiv zu sein. Das erreicht man am besten, indem man die Mittelstrukturen reduziert. Gleichzeitig darf man den Menschen nicht etwas wegnehmen, sondern sie müssen dabei einen Zugewinn an Bürgerfreundlichkeit haben. So etwas darf man nicht oktroyieren, es muss wachsen und es muss auch klar sein, was es den Bürgern bringt. Was vor Ort zu machen geht, muss dort erledigt werden. Übergeordnetes kann stärker konzentriert werden. Das kann die wirtschaftliche Kraft der einzelnen Bundesländer stärken. Es beträfe ja nicht nur Mitteldeutschland, sondern es sind bundesweite Überlegungen. Wenn wir den Wirtschaftsraum Leipzig und Halle nehmen, hat sich gezeigt, dass es an vielen Punkten hinderlich ist, dass zwischen den Städten eine Ländergrenze verläuft. Und deshalb glaube ich, dass größere Strukturen auch Gewinne für die Bürger erzielen.
Würden Sie Ihren Kindern den Job als Bundestagsabgeordnete empfehlen?
Ohje. (lacht) Also, ich habe ja drei Kinder. Zwei sind schon erwachsen, meine Tochter kommt jetzt aufs Gymnasium. Meine Söhne haben sich nicht dafür entschieden, Politik zu machen. Alle meine drei Kinder sind aber schon immer, durch dieses Aufwachsen mit einer Mama als Politikerin, sehr an Politik interessiert. Sie haben einen sehr wachen, sehr kritischen Blick. Doch die Arbeit als Bundestagsabgeordnete ist sowieso nichts, was ich jemandem, ob meinen Kindern oder anderen, als eine Karriereplanung empfehlen würde. Hier muss man schon mit dem Herzen komplett dabei sein.
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