Das Gefühl hat sich am Mittwoch, 28. August, im Penta Hotel Leipzig beim Wahlforum der beiden Leipziger Wirtschaftskammern bestätigt: Fernsehen ist das denkbar ungeeignetste Format, um komplexe politische Zusammenhänge deutlich zu machen. Jedenfalls das derzeit in Deutschland praktizierte Moderatorenfernsehen. Nicht nur beim Thema Energiepolitik gelang es MDR-Moderator Andreas F. Rook nicht, die neun anwesenden Direktkandidaten zu einer richtigen Faktendiskussion zu bewegen. Beim Thema Steuern ging's erst recht drunter und drüber.
Das begann schon bei der Zahl 44 Milliarden Euro, die Rook als Steuermehreinnahme im ersten Halbjahr 2013 gehört haben will. Woher nur? Auch der MDR hat so etwas nicht vermeldet. Die offizielle Zahl, die das Bundesamt für Statistik vor einer Woche meldete, sind 8,5 Milliarden Euro, ein kleines Plus von 0,6 Prozent. Wobei man wieder deutlich unterscheiden muss: Tatsächlich sind es nur die Staatseinnahmen insgesamt. Die Steuern machen etwa nur die Hälfte der Staatseinnahmen aus. Sie sind im ersten Halbjahr um 3,8 Prozent gestiegen – am stärksten die Einkommens-, Gewerbe- und Körperschaftssteuern. Was vor allem den Kommunen endlich mal ein bisschen mehr Geld in die Kassen spielte – auch wenn das kleine Plus die saftigen Mindereinnahmen der letzten Jahre nicht ausgleicht.
Die Einnahmen bei den Sozialbeiträgen (Krankenkasse, Rente …) nahmen um 2,8 Prozent zu. Aber in beiden Fällen ist der Grund für die höheren Staatseinnahmen die Tatsache, dass wieder mehr Menschen in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit sind. Insofern haben natürlich Thomas Feist und Bettina Kudla, die beiden Direktkandidaten der Leipziger CDU, Recht: Wer die Wirtschaft stärkt und Arbeitsplätze schafft, stärkt die Staatseinnahmen.
Sozial sei das auch, betonten beide. Denn das Ziel der Politik müsse sein, so viele Menschen wie möglich dahin zu bringen, dass sie von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können.
Andererseits stimmt auch, was Grüne-Kandidatin Monika Lazar anmerkt: “Seit 2005 sind 500 Milliarden Euro neue Schulden dazugekommen.” Trotz steigender Steuereinnahmen schafft es die Bundesrepublik nicht, das Defizit im Staatshaushalt zu beseitigen. Was macht man da als Moderator? Lässt man die Kandidaten der fünf im Bundestag vertretenen Parteien launig darüber streiten, welcher Finanzminister daran nun schuld ist? – So hat es Andreas F. Rook gemacht. Da gab es dann zwar den obligatorischen Applaus für jene Statements, die die hohen Steuerbelastungen für Unternehmen und Erwerbstätige rüffelten und eine echte Steuerentlastung “für den Mittelstand” forderten.
Aber da mittlerweile jeder unter Mittelstand etwas anderes versteht, blieb auch diese Diskussion, wo alle Steuerdiskussionen mittlerweile verläppern: im Reich der falschen Verheißungen. Natürlich ist die “kalte Progression” ein Thema – und jede Regierung ist gut beraten, hier einen schlüssigen Vorschlag vorzulegen. Denn wenn schon die kleinste Lohnerhöhung dazu führt, dass der Arbeitnehmer in die nächsthöhere Steuerklasse rutscht und das zusätzliche Geld quasi 1:1 wieder beim Staat abgeben muss, dann ist das auch für Unternehmer frustrierend – sie geben mehr Lohn, aber ihre Fachkräfte haben nichts davon. Was aber schon zugespitzt ist.
Denn Fakt ist auch: Die Steuerreform der Schröder-Regierung, die 2005 in Kraft trat, hat das Problem deutlich gemildert. Der Steuersatz von 15 Prozent wird praktisch nicht schon bei 10.000 Euro Jahreseinkommen fällig, sondern erst ab 20.000. 20 Prozent werden nicht bei 20.000 Euro fällig, sondern erst bei 30.000. Auch den Spitzensteuersatz hat die Schröder-Regierung deutlich abgesenkt. Was alles übrigens viel mehr zum Wirtschaftsaufschwung ab 2006 beigetragen hat als die ganze hochgefeierte “Agenda 2010”.
Das Jammern über die Steuersätze hört trotzdem nicht auf. Aus Unternehmersicht zu recht, denn das wirklich bedrückende an der deutschen Steuergesetzgebung ist das Steuerdickicht. Selbst die Steuerbehörden schauen längst nicht mehr durch bei all den Ausnahmetatbeständen und Besonderheiten. So fiel denn fast sehnsuchtsvoll der Name von Prof. Paul Kirchhof, der 2005 im Schattenkabinett von Angela Merkel auftauchte und eine echte Vereinfachung des deutschen Steuerrechts in Aussicht stellte. Die IHK hat in ihren Wahlprüfsteinen auch die Kosten benannt, die das “Bürokratiemonster namens Steuerrecht” die deutschen Unternehmen jedes Jahr kostet. Die 3,8 Milliarden Euro, die die Abgabe der Steuererklärung allein an Kosten verursacht, ist nur ein Teil der Summe. Da fallen Kosten für Abschlusserstellungen, Archivierung, Dokumentationspflicht usw. an. Auf über 3,8 Milliarden Euro kommt die IHK-Liste.
Was aber eben auch heißt: Vom deutschen Steuererklärungs-Bürokratiemonster lebt ein ganzer Wirtschaftszweig.Für Diskussionen sorgen derzeit die Pläne von SPD, Grünen und Linken, Vermögen in Deutschland wieder stärker zu besteuern. Das wäre eigentlich nur ein marginales Thema für eine Leipziger Diskussion. Denn betroffen wären in der Region die Wenigsten. Die Allerwenigsten. Doch die Heftigkeit der Diskussion zeigte auch, dass die meisten Leipziger Unternehmer sich mit dem Ansinnen der drei Oppositionsparteien nicht wirklich beschäftigt haben. Auch wenn es dann auf einmal um Kunstwerke und chinesische Vasen ging und Holger Krahmer (FDP) der Linke-Kandidatin Höll vorwarf, sie wolle über die Vermögensbesteuerung die Wohnungen der Reichen ausspionieren.
Dabei hatte sie nur zu erklären versucht, wie der Bund bis 1997 die Vermögensbesteuerung in Deutschland organisiert hatte. Es ging schlicht um die Frage: Lässt sich eine Vermögensbesteuerung sinnvoll organisieren?
Natürlich lässt sich das machen. Ob es sinnvoll ist, darüber streiten die Parteien zu recht. Denn der Mythos ist ja lebendig: Leute, die viel Vermögen haben, investieren es auch wieder in Unternehmen und kurbeln damit die Wirtschaft an.
Das stimmt in Teilen. Aber dazu muss es Anreize geben. Die unter anderem darin bestehen, dass Betriebsvermögen eben nicht besteuert wird, dass es Untergrenzen gibt für die Vermögensbesteuerung und dass sich das Ganze nur auf reale Gewinne bzw. Einkommen bezieht, nicht auf Unternehmensumsätze. Dazu haben SPD, Grüne und Linke drei durchaus voneinander abweichende Konzepte. Und das Wahlforum wäre das Podium gewesen, sich die Konzepte einmal erläutern zu lassen.
Doch wenn Daniela Kolbe (SPD), Barbara Höll (Linke) oder Monika Lazar (Grüne) ansetzten, die Feinheiten der Modelle zu erläutern, wurde nicht nur ein Teil des Publikums unruhig – auch der Moderator versuchte wieder eiligst auf das Niveau des Milchmädchens herunter zu kommen: “Aber was ist mit meinem Portemonnaie?” – Nichts ist damit. Beim MDR wird wohl kaum jemand in die Verlegenheit kommen, Vermögenssteuer zahlen zu müssen. Bei den meisten Parteien liegt die Bemessungsuntergrenze bei 1 Million Euro Einkommen.
Da kann man an eine kleine Landtagsanfrage von Dietmar Pellmann (Die Linke) erinnern: In Leipzig gibt es nach den Steuererklärungen des Jahres 2010 ganze 22 Einkommensmillionäre. Der OBM und der Gewandhausgeschäftsführer gehören übrigens genauso wenig dazu wie die Geschäftsführer der Kommunalunternehmen. Über diese Kategorie wird diskutiert.
Und trotzdem erwies sich das Thema Vermögenssteuer als der Brenner des Abends. Wird der Staat einfach nicht satt, wie FDP-Kandidat Marcus Viefeld recht emotional erklärte? Darf man “dem Staat” nicht noch mehr Geld in die Hände geben? – Ein einhelliges Kopfnicken gab es durchaus, als kurz angesprochen wurde, der Staat könne ein paar Ausgaben sparen und seinen Haushalt sanieren.
Nur: Nachgefragt wurde nicht. Es wäre ganz bestimmt erhellend gewesen zu erfahren, wer wo sparen würde, wenn er könnte.
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Denn “der Staat” ist eben nicht der Staat. Wie oben benannt, werden die Hälfte der Staatseinnahmen von den Sozialkassen eingesammelt. Die erwirtschaften – dank der guten Konjunktur – Überschüsse. Der Bund freilich lief auch im ersten Halbjahr 2013 im Minus, hat fürs Jahresende ein Minus von 13 bis 17 Milliarden Euro eingeplant. Da stecken die Kosten für die Jobcenter genauso mit drin wie die Bedienung der 2 Billionen Euro Kredit, die die Bundesrepublik mittlerweile aufgenommen hat.
Und die Kommunen – das betonte Mike Nagler, der als Parteiloser für die Linke kandidiert, mehrfach und aus eigener Erfahrung – haben nach wie vor ein Einnahmeproblem. Denn wenn Kommunen wie Leipzig keine finanziellen Spielräume mehr haben, sind sie gezwungen, kommunales Eigentum zu verkaufen. 2008 im Fall der Stadtwerke Leipzig durch Mike Nagler und das APRIL-Netzwerk verhindert. Im Fall von HL komm und Perdata 2012 nicht verhindert. Die nächsten finanziellen Engpässe deuten sich an – um 10 Prozent muss OBM Burkhard Jung den Leipziger Haushalt 2014 kürzen, weil Steuereinnahmen wegzufallen drohen.
Nagler erinnerte zu recht daran, dass Kommunen mit ihren Investitionsprogrammen Hunderten Unternehmen in der Region Aufträge und Umsätze verschaffen.
Und Daniela Kolbe (SPD) erinnerte ebenso zu recht daran, dass nicht nur die zunehmend maroder werdende Infrastruktur in Deutschland zu einem Problem wird, sondern auch an anderer Stelle das Geld fehlt, um die Bundesrepublik fit für den Wettbewerb zu halten: Forschung, Bildung und ein flächendeckendes Breitbandinternet.
Aber da sind wir beim dritten und letzten Thema des Wahlforums.
Dazu morgen mehr an dieser Stelle.
Die Meldung von Deutschlandradio zu den Steuermehreinnahmen: www.dradio.de/aktuell/2226139/
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