Oliver Reiner ist hauptberuflich da, wo sächsische Landespolitiker zu Stippvisiten kommen. "Unten" - wenn man dieses Wort mag. Bei denen, die in den Nächten lieber ausbrechen, tanzen und von anderen Wegen träumen oder sich aus persönlichen Problemen dem Gruppendruck einer Klasse eher entziehen, als pünktlich zum Erreichen des Klassenziels in der Schule aufzuschlagen. Oliver Reiner ist da, wo so manchem gerade noch der Hauptschulabschluss gelingt.

In der Arbeitsgemeinschaft der freien Träger der Jugendhilfe in Leipzig (AGFT) sind in Leipzig auch die noch existierenden 43 Schulsozialarbeiter beheimatet. Pünktlich zum Start des neuen Schuljahres hat er für diese, die Jugendlichen und deren Familien eine einfache Botschaft: “Unten” ist kein Geld mehr da. Das Schuljahr beginnt – der Leipziger Schulsozialarbeiter geht.

Zwei Jahre war Geld da für ein Programm, welches offensichtliche Erfolge zeitigte. Mit Geldern vom Bund wurden an 18 Leipziger Brennpunktschulen Schulsozialarbeiterstellen eingerichtet, um etwas zu verhindern, was andere gern mit Strafen lösen würden. Die Schulabbrecherquote in Leipzig zu senken. Was auch gelang, wie eine Bildungsstudie des Deutschen Caritasverbandes zeigt. “So halbierte sich die Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss in Leipzig … von 12,22 (2009) auf 6,36 Prozent (2011)”, weiß Oliver Reiner, der selbst als Geschäftsführer des Soziokulturellen Zentrums “Die VILLA” auch die Schulsozialarbeit an zwei Schulen im Leipziger Osten verantwortet. Während man also in Leipzig noch lang und breit über Schulschwänzereien lamentiert, könnte hier der Ausweg sein. Denn aus jungen Menschen, die aus verschiedensten Gründen dem Unterricht fernbleiben, werden allzu leicht die späteren Abbrecher.

Oliver Reiner zum Aufgabenfeld der “Eingreiftruppe”: “Sie sorgen für ein gutes Klassenklima, kümmern sich bei Ärger mit Lehrern und in den Familien, vermitteln bei Mobbingfällen und initiieren vielfältige Angebote von der Stärkung des Selbstbewusstseins bis zur Berufsorientierung. Damit ermöglichen sie den Lehrern sich wieder mehr auf ihre Aufgabe der Wissensvermittlung zu konzentrieren.”

Klingt gut, scheint zu helfen und wird nun offenbar nicht neu bestellt.

Denn in dem Hin- und Her zwischen der zum Jahresende auslaufenden Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Frage wer nun nach absolvierter Testphase weiter bezahlen soll, ist das berüchtigte Ping-Pong-Spiel zwischen der Kommune Leipzig, dem Land Sachsen und dem Bund in vollem Gange.
Laut Oliver Reiner sieht es der Bund in Zeiten einer 10-prozentigen Leipziger Haushaltseinsparrunde scheinbar ziemlich rosig: “Im Bundessozialministerium geht man dennoch davon aus, dass der Stadt Leipzig ausreichend Geld für die Weiterführung dieser wichtigen Leistung zur Verfügung steht. So entlastet die schrittweise Anhebung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von 45 Prozent im Jahr 2012 auf 100 Prozent ab dem Jahr 2014 die Stadtkasse spürbar. Aus Sicht des Bundessozialministeriums sollte dieses frei werdende Geld für Schulsozialarbeit verwendet werden.”

In Leipzig habe sich die Stadtspitze unterdessen dagegen entschieden, obwohl der Schulsozialarbeit im erst im letzten Sommer beschlossenen Jugendhilfeplan höchste Priorität eingeräumt wurde, so Reiner weiter. Eine bereits fertige Vorlage wurde dem Stadtrat nicht vorgelegt und verschwand stattdessen wieder in der Schublade unter Sonstiges. Nun “… appellierte der Sozialbürgermeister Prof. Fabian an die Bundesregierung, weitere Mittel zur Finanzierung von Schulsozialarbeit bereitzustellen.” In einer Mitteilung seines Dezernates vom 18. Juli 2013 heißt es: “Dem Deutschen Bundestag liegt derzeit ein Antrag des Bundesrates zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Weiterfinanzierung von Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horteinrichtungen – vor. Darin wird die Entfristung der Bundesfinanzierung für Schulsozialarbeit gefordert. Der Antrag wird auch vom Deutschen Städtetag ausdrücklich unterstützt. Dieser hat mit Beschluss vom 23. April 2013 eine Fortsetzung der erfolgreichen Förderung der Schulsozialarbeit gefordert.”

Ob dies gelingt, steht derzeit in den Sternen. Ein Ruf aus Leipzig, der laut Bildungsverantwortung auch Richtung sächsische Landesregierung gehen könnte, vielleicht sogar müsste. Das sächsische Bildungsministerium kann sich derzeit jedoch scheinbar zurückzulehnen und weiter auf das flächendeckende Neueinstellungsprogramm bei den Lehrern verweisen. Zu seinem Thema jedenfalls hat Reiner nur etwas aus dem Nachbarland Thüringen gehört, wo man die dort vorhandenen 200 Stellen vorsorglich in den Landeshaushalt übernommen hat.

In Leipzig stehen die Zeichen derweil auf Protest. Die Schulkonferenzen und Elternvertretungen verschiedener Schulen bereiten laut Reiner für den Herbst massive Aktionen vor. “Der erste Sozialarbeiter hat aufgrund der unklaren persönlichen Perspektive bereits seine Schule verlassen und einen andere Tätigkeit aufgenommen” ,so Reiner. Das löst zwar das Problem mit den hohen Schulschwänzerzahlen und der Schulabbrecherquote nicht, aber entlastet den Steuersack.

Anm. d. Red / Korrektur.: Leider sind wir bei den Prozentzahlen nicht gründlich in der Nachrecherche gewesen. Dies bitten wir zu entschuldigen. Vielen Dank an einen aufmerksamen Leser! “Herr Reiner hat leider die Zahlen verwechselt, er zitiert die Zahlen vom Landkreis Leipzig (12,22 auf 6,36 % Verringerung Schulabbrecher). Für Leipzig gilt: 2009: 14,12%, 2011: 13,36%. Also kaum geändert.” Was einerseits die Prozentzahlen auf einem erschreckend höheren Niveau darstellt und zugleich in Frage stellt, ob die zwei Jahre genügen, um Effekte feststellen zu können. Die Halbierung im Landkreis lässt jedoch eine gute Prognose auch für Leipzig zu. Wenn diese Art der Schulsozialarbeit weiter angeboten werden kann.

Die Schulen
www.leipzig.de/de/buerger/newsarchiv/2011/Schulsozialarbeit-an-zehn-Grund-und-sechs-Mittelschulen-freie-trager-gesucht-21337.shtml

Pressemitteilung Prof. Fabian vom 18. Juli 2013
http://notes.leipzig.de/alle/Presseecke.nsf/WebArchiviertePD/8BF12E2A49C163DCC1257BAC0033D69B?opendocument

Zur Bildungsstudie des Deutschen Caritasverbandes
www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/kinderundjugendliche/bildungschancen/karte_bildungschancen

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