Was passiert eigentlich in einem Wettbewerb, bei dem von Anfang an politische Instanzen den Daumen drauf halten, um zu verhindern, dass es ein Ergebnis gibt, das sie nicht begreifen oder nicht wollen? Ab welchem Zeitpunkt wird die bürokratische Regelungslust zur Manipulation? War es am 1. Juli 2013 so weit, als ein "Bewertungsgremium" das Ergebnis des Wettbewerbs um das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal einfach auf den Kopf stellte?

Die L-IZ hatte extra nachgefragt, ob die entscheidenden Instanzen in dieser “Bewertungsphase” vielleicht deutlichen Druck ausgeübt hatten, um das Ergebnis so zu lenken, dass es vielleicht im Oktober im Leipziger Stadtrat ein positives Votum für den Denkmalsbau gibt. Es ist nicht nur der Leipziger OBM, der mit einem “Nein” des Stadtrates eine Niederlage einstecken müsste, es wären auch die Geldgeber Bund und Land. Der Bund, der den Löwenanteil der 6 Millionen Euro für das Denkmal bereitstellen würde, hatte von Anfang an auf ein Wettbewerbsverfahren nach europäischem Vergaberecht gedrängt. Das hat sich zwar für architektonische und stadtplanerische Projekte einigermaßen bewährt, setzt aber – wenn es um künstlerische Wettbewerbe geht – sehr enge Grenzen.

Wenn das Ganze dann noch mit den Plänen einer Stadtverwaltung verquirlt wird, ein 20.000 Quadratmeter großes Stadtareal als Platz neu zu gestalten, dann wird’s ganz komplex. Und den drei Preisträgern des Wettbewerbs ist auf jeden Fall zugute zu halten, dass sie den Spagat eindrucksvoll gemeistert haben.

Eigentlich gab es im Frühjahr 2013 keinen neuen Wettbewerb. Es ging nur noch darum, die drei Preisträgerentwürfe so weit zu überarbeiten, dass sich die breite Diskussion der Bürgerschaft darin widerspiegelt und auch der komplette Platz durchgestaltet wird. Für diese Überarbeitung der Entwürfe sollte es noch einmal Punkte geben. Dafür wurde die ursprüngliche Punktevergabe nochmals aufgeschnürt. Doch nach welchen Kriterien die “neuen” Punkte vergeben werden sollten, erfuhren die Wettbewerbsbeteiligten nicht. Aber genau das hätte man ja eigentlich auch als Laie erwartet, wenn das (nicht mit der Wettbewerbsjury identische) Bewertungsgremium “die Weiterentwicklung der drei Preisträgerentwürfe auch auf Grundlage der Hunderten von Bürgerhinweisen und -anregungen” und “nach den Hinweisen aus der Juryentscheidung von 2012” bewerten sollte.Jeweils 10 Punkte waren zu vergeben. Jeder Punkt war untersetzt mit einem Kriterium. Es ging also nicht nach einer Skala “find ich toll / find ich weniger toll”, sondern nach der klaren Entscheidung: Dies und jenes wurde von den Wettbewerbern gut umgesetzt – oder eben nicht.

Zehn Personen gehörten dem “Bewertungsgremium” an: Oberbürgermeister Burkhard Jung, der Bürgermeister für Kultur, Michael Faber, Stadtplanungsamtschef Jochem Lunebach und Stadtrat Roland Quester von Seiten der Stadt Leipzig; ferner Dr. Michael Roik als Vertreter des Bundes, Dr. Monika Zimmermann als Vertreterin des Freistaates Sachsen, Christine D. Hölzig vom Sachverständigenforum “Kunst am Bau und im öffentlichen Raum”, Prof. Dr. Rainer Eckert vom Zeitgenössischen Forum Leipzig, sowie Prof. Dr. Stefanie Endlich und Prof. Dr. Dieter Daniels als Kunstwissenschaftler.

Genug Leute, die keineswegs unabhängig entschieden, sondern ganz im Interesse ihres Amtes. Und was am Ende dabei herauskam, kritisierte am 2. Juli dann Roland Quester: Er distanzierte sich von der Entscheidung des Gremiums. Die L-IZ fragte dann den OBM an, Susanne Kucharski-Huniat, die Leiterin des Kulturamtes, antwortete. Aber die Antworten verstörten die Sieger des eigentlichen Wettbewerbs – M+M und ANNABAU – noch mehr.

“Im Gegensatz zu den von Frau Kucharsky-Huniat gemachten Aussagen haben wir bis heute keine Informationen über nachvollziehbare Bewertungskriterien dieses zweiten neu hinzugefügten Verfahrensschrittes erhalten, obwohl wir seit dessen Bekanntwerden darum baten”, stellen sie fest. “Die von der Kulturamtsleiterin angeführte so genannte ‘Bewertungsmatrix’, die uns erst am 21. Juni, das heißt weit nach Abgabe der Überarbeitung zugesendet wurde, gibt weder über Kriterien noch über das Bewertungssystem bezüglich den erfragten Anforderungen Auskunft.”

Das Spannende dabei ist, dass der Bewertungsmaßstab auch noch komplett geändert wurde. In der Jury-Entscheidung im Sommer 2012 wurde die Platzierung mit Punkten bewertet: 9 Punkte für den 1., 8 für den 2., 7 für den 3. Das multipliziert mit dem Faktor 40 ergibt dann 360, 320 und 280 Punkte. Das “Bewertungsgremium” aber vergab die Punkte nach gusto zwischen 0 und 10. Daraus wurde dann ein Durchschnitt errechnet und mit 20 multipliziert.Hätte man dieselbe Wertung wie im Wettbewerb genutzt, hätte es 9 x 20 Punkte für die Erstplatzierten in dieser “Bewertungsrunde”, 8 x 20 für die Zweitplatzierten und 7 x 20 für die Dritten gegeben. So wie da am Montagabend, 1. Juli, getippt wurde, hätte es also ein Ergebnis von 500, 480 und 460 Punkten geben müssen, genau so, wie es im Juli der Presse lang und breit erklärt worden war. M+M /ANNABAU wären knappe Sieger geblieben. Das Ergebnis wäre nicht so komplett auf den Kopf gestellt worden.

Und so haben die eigentlichen Wettbewerbssieger einige mehr als berechtigte Fragen: “Ebenso wenig wurde uns die genaue Zusammensetzung des Bewertungsgremiums und die exakte Zahl der Stimmberechtigten genannt. Auch hier waren die Informationen missverständlich und entsprachen nicht der schlussendlichen Situation”, stellen sie fest. “Wir konnten den Regularien des Verfahrens, so wie es schlussendlich ablief, somit gar nicht zustimmen, da sie uns bis zum Schluss nicht bekannt oder transparent waren. Vielmehr haben wir an der Legitimation des Verfahrens von Anfang an gezweifelt. Eine – vor allem auch rechtliche – Aufklärung der Notwendigkeit dieses zusätzlichen Verfahrensschrittes ist uns die Stadt, trotz mehrfachen Nachfragens, bisher schuldig geblieben.”

Die Stadtverwaltung hat also die Bewertungsrunde gestartet, ohne die Beteiligten über die Bewertungskriterien zu informieren. Und sie hat damit einen zusätzlichen Wettbewerbsschritt eingefügt, den sie nicht begründen kann.

“Wir beteiligten uns an dem Verfahrensschritt in der Annahme, die oben genannten Informationen würden uns noch rechtzeitig zukommen. Zudem gingen wir davon aus, dass bei gewissenhafter und qualitativer Überarbeitung der an uns gestellten Anforderungen im Pflichtenheft, eine entsprechend nachvollziehbare Bewertung erfolgt”, stelle M+M/ANNABAU fest. “Die Korrektheit des eingeschobenen Verfahrens und seines Ablaufs, seine Legitimation und die neuerliche Bewertung zweifeln wir jedoch grundlegend an. – Der offene Brief des Jurymitglied und Stadtrates Roland Quester, in dem er sich vom Verfahren distanziert, hat uns in unseren Bedenken am korrekten Verfahrensverlauf und der neu vorgenommenen Bewertung bestätigt.”

Susanne Kucharski-Huniat warnt zwar davor, der Fall “Freiheits- und Einheitsdenkmal” könnte zu Klagen führen, wenn ihn der Stadtrat im Oktober für beendet erklärt. Aber das, was da am 1. Juli beim Zurechtbiegen des Wettbewerbsergebnisses passiert ist, deutet darauf hin, dass eine Zustimmung des Stadtrates erst recht für Gerichtskosten sorgt. Denn ein rechtlich belastbares Wettbewerbsergebnis hat die Stadt Leipzig jetzt nicht mehr.

Einer findet die Sache nach wie vor in Ordnung – OBM Burkhard Jung in seiner Kolumne auf leipzig.de: www.leipzig.de/de/buerger/politik/obm/Hier-schreibt-Oberbuergermeister-Burkhard-Jung-Fuer-die-Freiheit-Drei-Denkmal-Entwuerfe-stehen-zur-Auswahl-25814.shtml

Die Bewertung vom 1. Juli als PDF zum download.

Die angewendete Matrix als PDF zum download.

Nachtrag, 8. Juli: Die Umrechnung der Platzierungen in Punkte hat augenscheinlich die Stadt selbst vorgenommen. Man hat also zwei verschiedene Punktesysteme, die alle beide nichts mit der Jury-Wertung zu tun haben, die lediglich die Reihenfolge der Preisträger ermittelt. Das Ergebnis dieser Jury-Wertung hätte zu 60 Prozent in die Entscheidung eingehen müssen. (Anm. d. Red.)

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